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II. HOLLAND

Nach seinen eigenen Worten hält Dürer die Darstellung der
Leiden Christi für die vornehmste Aufgabe der Kunst. Er selbst
kehrte denn auch immer wieder zu diesem Thema zurück. In sei-
ner ersten Fassung (1498) überwog noch die erzählende Phantasie
die formale Bändigung. Die Verlebendigung der Vorgänge, der er
einerseits durch möglichst anschauliche Schilderung der attribu-
tiven Momente und durch reiche, psychologisch abgestufte Fi-
gurenensembles zu dienen hoffte, hemmte er auf der anderen
Seite gerade durch die koordinierende Vielheit der Einzelzüge.
Vom Standpunkt der Renaissanceforderung aus bilden die
kleinen Passionsserien, die kl. H. P. und die K. P., die ungleich
vollkommeneren Lösungen. Hier ist die individuelle Gestaltung
der Themen in Einklang gebracht mit absoluter Anschaulichkeit,
mit jener innerbildlichen Geschlossenheit des Vorgangs, die den
neuen Anforderungen an überzeugende Darstellung entsprach.
Es genügt, um an zwei Extremen diese Begriffe zu illustrieren,
Dürers Beweinung B. 43, kl. H. P. mit der Geertgens in Wien zu
vergleichen. Dass Geertgen die innere Einheit durch das Heraus-
blicken einer Figur aufgab, zeigt schon, dass jenem anscheinend
so strengen kompositorischen Schema, dem die Hauptfiguren ein-
geordnet sind, keine ebensolche Strenge der innerbildlichen Kon-
zentration entspricht. Tatsächlich sind alle Figuren in ihrem Ge-
fühlsgehalt und ihrem Verhalten völlig isoliert. Der einzigen Geste
des Johannes antwortet nichts. Auch der Leichnam ist in einer
Sonderexistenz gegeben. Jede aktionale Verbindung zwischen
ihm und den Trauernden ist aufgehoben. Räumlich völlig isoliert
enthält das Bild noch eine weitere sehr bewegte Scene, die mit der
Haupterzählung als einer formalen Einheit nichts zu tun hat und
nur durch die novellistische Beziehung mit ihr verbunden ist.

*) L.-F. S. 295 und 297: „Dann durch Malen mag angezeigt werden das Leiden
Christi und wiird gebraucht im Dienst der Kirchen.” „Dann die Kunst des Molens
würd gebraucht im Dienst der Kirchen und dadurch angezeigt das Leiden Christi.”
 
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