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Hirschel, Grete
Le livre des Quatre Dames von Alain Chartier: Studien zur französischen Minnekasuistik des Mittelalters — Heidelberg, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.51682#0057
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Reizend naiv sind das sich umarmende Hirtenpaar im Hintergrund
und ihre kleinen wurmartigen Schafe. Die Architektur steht in
keinem so argen Mißverhältnis zu den Figuren, wie es sonst meist
der Fall ist3. Doch die Bestandteile des landschaftlichen Dekors
sind entsprechend der üblichen Vernachlässigung gegenüber der
figürlichen Darstellung von auffallender Falschheit der Verhält-
nisse und Primitivität der Ausführung. Die Blumen, die das
Rasengestrichel beleben sollen, sind willkürlich ohne jede Ver-
kürzung hingesetzte bunte Kreuzchen, die Bäume klein und busch-
artig, das Laub durch gelbliche Kreise angedeutet. Sie stehen einen
Baumtypus dar, den z. B. auch eine aus dem “Tresor des Histoires“
vom Anfang des 15. Jahrhunderts stammende Miniatur zeigt4. Dort
finden sich auch die abgehauenen Baumstümpfe wie auf KII.
Ebenso wie das Gras ist das Wasser der in starker Aufsicht ge-
zeichneten Quelle in vertikaler Strichelung dargestellt. Seltsam sind
die in ihren Flugbewegungen zum Teil gut beobachteten, unge-
schickten Riesenvögel am blauen, mit horizontalen Goldwölkchen
geschmückten Himmel. Die Farben sind matt und blaß, nur
stellenweise durch ein wenig Gold belebt.
Trotz der Mittelmäßigkeit der künstlerischen Ausführung be-
weist K I von neuem das seit Beginn des 15. Jahrhunderts immer
deutlicher hervortretende Interesse an der Gestaltung eines freien
Raumes, Landschaft, Tieren und Vögeln. Wie meisterlich schon
zu Beginn des Jahrhunderts diese Probleme behandelt wurden,
zeigen Wunderwerke der Miniaturmalerei wie die den Brüdern
van Eyck zugeschriebenen Illustrationen des leider verbrannten
Turin-Mailänder Gebetbuches5 6, “Les tres riches heures du duc
de Berry“, das Werk der Brüder von Limburg0, und die prächtigen
Miniaturen aus dem “Livre de la Chasse“ von Gaston Phebus
(Bibi. Nat. Fr. 616)7.
So ist es durchaus kein Zufall, daß den Illustrator des “Livre
des quatre Dames“ gerade die Darstellung einer Frühlingsland-
schaft reizte, die der Anfang des Gedichtes schildert. Sie gab ihm
Gelegenheit, Pflanzen und Tiere im freien Raume darzustellen,
während das Figürliche erst in zweiter Linie in Betracht kam.
K II stellt die Begegnung des Dichters mit den vier Damen dar.
Von einem in blau, gold und schwarz ornamental gemusterten

3 Z. B. auch auf KII und Arsl.
4 Vgl. Martin, Henry, La miniature fran^aise, Paris 1923. PI. 98.
(Bibi, de 1’Arsenal, 5077, fol. 375).
5 Hulin de Loo, Georges, Heures de Milan, Brüssel 1911.
6 Durrieu, Paul, Les tres riches heures de Jean de France, duc
de Berry, Paris 1904.
7 M a r t i n, Henry, La miniature framjaise, Paris 1923, PI. 84
und 85.

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