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Das Grabdenkmal des Königs Chephren.

Aber so dürfen wir nicht mit den alten Ägyptern rechten. Denn diese uralten Schöp-
fungen sind nicht aus verfeinertem Kunstempfinden heraus geboren, sondern aus den prak-
tischen Aufgaben, die das Leben stellte. In der Frühzeit gibt es keine rein ästhetischen
Willkürlichkeiten. Jede Form hat ihren praktischen Zweck oder ihren alten Sinn.

Und ebenso müssen auch für die merkwürdige Folge: Torbau, Aufgang, Tempel
Gründe praktischer Natur vorhanden gewesen sein. Welcher Art waren nun diese Gründe?

Es ist sicher, daß die Grabdenkmäler der Könige nicht ganz einsam am Wüsten-
rande gelegen haben, wie heutzutage, sondern dicht benachbart größeren menschlichen
Niederlassungen. Solche werden entstanden sein durch Handwerker und Soldaten, die zu
dem Bau kommandiert waren, durch Aufseher und Beamte, durch Kaufleute und alle diejenigen,
die direkt oder indirekt bei dem Riesenbau beschäftigt waren. Aber auch vornehmere
Leute, Männer in hohen Ämtern und Ehrenstellungen, ja wahrscheinlich der königliche Herrscher
selber wird hier zeitweise residiert haben, um unter eigenem Auge das Werk wachsen zu
sehen, welches das bedeutendste der Regierungszeit des Pharao sein, welches ihm „ewiges
Leben“ verleihen sollte.

Man darf wohl der von Steindorff ausgesprochenen Meinung folgend annehmen, daß
der König mehrere Residenzen gehabt habe, ebenso wie sie die Könige des neuen Reiches
hatten. Z. B. hatte Amenophis IV. mehrere Residenzen im Stadtgebiet von Teil Amarna. Der
Hauptpalast wird regelmäßig in oder bei der Landeshauptstadt zu suchen sein. Eine der
nur zeitweise bewohnten Nebenresidenzen gehört zu dem dem Toten- und Gedächtniskult
gewidmeten Tempel1. Ebenso mag es, bei der konservativen ägyptischen Sitte, auch im
alten Reich gewesen sein: Zu dem königlichen Grabdenkmal wird wohl auch eine königliche
Residenz gehört haben, in der der König zeitweise während der Bauausführung und auch
später vielleicht in gewissen Festzeiten seinen Aufenthalt nahm. Im Gegensatz dazu steht die
zuerst von Erman ausgesprochene Ansicht1 2, daß jeder König des alten Reiches nur eine
einzige Residenz gehabt habe, welche je nach der Lage des im Bau begriffenen Grabdenkmals
gewechselt habe von Abu Rowasch bis nach Dahschur, während die Hauptstadt dauernd an
derselben Stelle blieb. Ob es für den König wohl sehr angenehm gewesen wäre, dauernd in
der Nähe einer solchen Arbeitsstätte zu wohnen!

Von solchen Pyramidenstädten, die auch die Texte vielfach erwähnen3, sind mehrfach
Reste nachgewiesen worden. Bei Daschur befand sich eine Stadt vor der Pyramide des
Snefru. An den Torbau des Sahu-re schlossen sich hohe Mauern an. Auch bei den Gise-
Pyramiden ist im Tale eine mächtige Steinmauer mit einem Tor sichtbar, die wohl zu einer
solchen Pyramidenstadt gehörte.

Offenbar lag der Torbau regelmäßig innerhalb der Mauern dieser Stadt. Das Grab-
denkmal dagegen, oben auf der weithin sichtbaren Höhe, war für sich durch Mauern um-
geben; zwei getrennte, einzeln umwehrte Plätze, die aber doch einer Verbindung bedurften.
Und dazu diente der gedeckte Aufgang.

Von der „Stadt des Chephren“, die noch zur Zeit der VI. Dynastie bestanden haben

1) Vgl. Hölscher, Das Hohe Tor von Medinet Habu S. 48ff.

2) Erman, Ägypten S. 242ff. Vergl. auch Breasted, Geschichte Ägyptens, S. 76 und Borchardt, Sahu-re I S. 5.

3) s. ÄZ. 42, (1905), S. iff.
 
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