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Vimana

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es mit einem riesigen »Sakramentshaus« zu tun, dessen architekto-
nische Voraussetzungen durchaus im Umkreise plastischer Vor-
stellungen zu suchen sind, genau wie bei uns das Wunderwerk des
Adam Kraft im Lorenzer Chor zu Nürnberg die Tat einer höchsten
bildhauerischen Begabung ist.
Wird der ganze Baukomplex als Vimana oder Götterwagen be-
zeichnet (Abb. 12), wie schon erwähnt, so heißt der Turm über dem
Allerheiligsten Sikhara. Womit eigentlich die oberste Bekrönung,
der Kreuzblume unserer Dome vergleichbar, gemeint ist. Die Außen-
konturen des Sikhara sind leicht kurvig geführt, so daß man nicht
zu Unrecht von einer Spierenform gesprochen hat. Der Gesamt-
eindruck wird beherrscht von der regelmäßigen Folge horizontaler
Gliederungen, die den Schichten der Steinpackungen unmittelbar
entsprechen. Letzten Endes ist diese künstlerische Auswertung
der Horizontalen eine Folge der Konstruktion, der Scheinwölbungen,
in demselben Sinne, wie der Vertikalimus des gotischen Aufbau-
systems im Pfeiler-, Rippen- und Strebewerk unmittelbar mit dem
statischen Gerüst der Kathedralen zusammenhängt. Was bei uns
freilich auf die rein architektonische und kristallinische Wirkung
beschränkt bleibt, wird in der Horizontalgotik Orissas einmal maß-
los überwuchert von bildnerischen und ornamentalen Zutaten, zum
andern durch die Nachahmung älterer Holzkonstruktionen den
wesentlichen Möglichkeiten und inneren Gesetzen des monumen-
talen Steinbaues entzogen.
Den kurvig geführten Außenkonturen der Tempeltürme ent-
spricht im Inneren ein übersteiler, fast lanzettförmiger Spitzbogen,
dessen ganze Höhlung von ewigem Dunkel erfüllt ist. Die kleine
Zella des Allerheiligsten beherbergt ein Kultsymbol Wishnus oder
Civas. Brahmanen und Bajaderen versammeln sich zu orgiastischen
Kulten. Der Dienst £ivas gipfelt in einer für abendländische Be-
griffe schlechthin obszönen Handlung. Das phallische Zeichen,
der Lingam, wird mit zerlassener Butter und köstlichen Spezereien
gesalbt. Auch die ganze Form des Sikhara wird durch die
erotische Phantasie des Hindu ins Phallische umgedeutet, wie der
Siamese heute noch seine Phraprangs, die ja mittelbar von den
 
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