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https://doi.org/10.11588/diglit.67098#0042
38
Tropischer Barock
Tempeltürmen Orissas abzuleiten sind, als Zeichen zeugender
Manneskraft ausdeutet1).
Metaphysisches und Erotisches durchdringen sich bei den Indern
überall. Wie unsere Kathedralen die Gemeinschaft der Heiligen
in adeligen Bildwerken darbieten, so sind über die Tempel Orissas
verschwenderisch alle Möglichkeiten der indischen Ais amandi aus-
gebreitet2 3). Was ein oft allzu derber Witz mittelalterlicher Stein-
metzen verschämt und schüchtern in oberen Regionen, an Dächern
und Türmen christlicher Sakralbauten als groteske Wasserspeier zu
verwirklichen wagte, wurde zu Konarak lebensgroß dem Blicke
aller preisgegeben8). Nur möglich, wo das Ewig-Eindeutige zur
Religion geworden ist!
Südindischer Barock
Die eigenlebige Kunst im südlichen Teile Vorderindiens beginnt
schon in frühen Jahrhunderten und hat einen breiten Auslauf4 *).
Ungestört durch islamische Einfälle konnte sich hier hinduistische
Phantasie ungehemmt entfalten und später jenes Maximum bau-
licher und plastischer Gestalten hervorbringen, das man treffend
»tropischen Barock« genannt hat. Manche sehen in den Werken
dieses geographischen Bezirkes den besonderen Ausdruck des dravi-
dischen Volkes, das im Süden seit langem ansässig war und zu den
vorarischen Elementen des späteren hinduistischen Menschheits-
komplexes gehört. So spricht Fergusson von dem Dravidian-Style.
J) Die Tempeltürme Orissas erinnern in etwa auch an riesige Pinien-
zapfen, gleichfalls uralte Symbole der Fruchtbarkeit, die schon auf
assyrischen Reliefs vorkommen. Man denke ferner an die berühmte
Pigna in Rom. Für Augsburg gilt der Pinienzapfen seit römischer Zeit
als Stadtzeichen.
2) Vgl. Das Kamasutram des Vatsayana (die indische Liebes-
kunst). Deutsche Ausgabe von Rich. Schmidt. Berlin 1907ff.
3) Einige Abbildungen bei: William Cohn, Indische Plastik. Berlin 1920.
*) Vgl. Jouveau-Dubreuil, Archeologie du Sud de Finde. Annales de
Musee Guimet. Paris 1914.
Tropischer Barock
Tempeltürmen Orissas abzuleiten sind, als Zeichen zeugender
Manneskraft ausdeutet1).
Metaphysisches und Erotisches durchdringen sich bei den Indern
überall. Wie unsere Kathedralen die Gemeinschaft der Heiligen
in adeligen Bildwerken darbieten, so sind über die Tempel Orissas
verschwenderisch alle Möglichkeiten der indischen Ais amandi aus-
gebreitet2 3). Was ein oft allzu derber Witz mittelalterlicher Stein-
metzen verschämt und schüchtern in oberen Regionen, an Dächern
und Türmen christlicher Sakralbauten als groteske Wasserspeier zu
verwirklichen wagte, wurde zu Konarak lebensgroß dem Blicke
aller preisgegeben8). Nur möglich, wo das Ewig-Eindeutige zur
Religion geworden ist!
Südindischer Barock
Die eigenlebige Kunst im südlichen Teile Vorderindiens beginnt
schon in frühen Jahrhunderten und hat einen breiten Auslauf4 *).
Ungestört durch islamische Einfälle konnte sich hier hinduistische
Phantasie ungehemmt entfalten und später jenes Maximum bau-
licher und plastischer Gestalten hervorbringen, das man treffend
»tropischen Barock« genannt hat. Manche sehen in den Werken
dieses geographischen Bezirkes den besonderen Ausdruck des dravi-
dischen Volkes, das im Süden seit langem ansässig war und zu den
vorarischen Elementen des späteren hinduistischen Menschheits-
komplexes gehört. So spricht Fergusson von dem Dravidian-Style.
J) Die Tempeltürme Orissas erinnern in etwa auch an riesige Pinien-
zapfen, gleichfalls uralte Symbole der Fruchtbarkeit, die schon auf
assyrischen Reliefs vorkommen. Man denke ferner an die berühmte
Pigna in Rom. Für Augsburg gilt der Pinienzapfen seit römischer Zeit
als Stadtzeichen.
2) Vgl. Das Kamasutram des Vatsayana (die indische Liebes-
kunst). Deutsche Ausgabe von Rich. Schmidt. Berlin 1907ff.
3) Einige Abbildungen bei: William Cohn, Indische Plastik. Berlin 1920.
*) Vgl. Jouveau-Dubreuil, Archeologie du Sud de Finde. Annales de
Musee Guimet. Paris 1914.