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DIE SEHNSUCHT NACH SCHÖNEREM LEBEN

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* und Vorschneidern und Mundschenken und Küchenmeistern glich der
Aufführung eines großen und ernsten Schauspiels. Der ganze Hof aß
in Gruppen zu zehn, in abgesonderten Zimmern, bedient und be-
wirtet wie der Herr, alles sorgfältig nach Rang und Stand geordnet.
Alles war so gut geregelt, daß all diese Gruppen rechtzeitig nach ihrer
Mahlzeit den Herzog, der noch an der Tafel saß, begrüßen konnten:
„pour luy donner gloire“x).
In der Küche (man stelle sich die heroische Küche vor, jetzt der
einzige erhaltene Überrest des herzoglichen Palastes zu Dijon, mit ihren
sieben riesenhaften Herdstellen) sitzt der diensttuende Koch in einem
Sessel zwischen Herd und Anrichte, von wo aus er den ganzen Raum
übersehen kann. In seiner Hand muß er einen großen hölzernen Löffel
halten, „der ihm zu zweierlei Zwecken dient: zum ersten, um Suppe
und Saucen zu kosten, zum andern: um die Küchenjungens aus der
Küche zu treiben, ihre Pflicht zu tun, und wenn nötig, auch mal
draufzuschlagen“. Bei seltenen Gelegenheiten, z. B. bei den ersten
Trüffeln oder dem ersten Hering erscheint der Koch wohl einmal selbst
zum Servieren, eine Fackel in der Hand.
Für den gravitätischen Höfling, der uns dies alles beschreibt, sind
es heilige Mysterien, von denen er mit Respekt und einer Art scho-
lastischer Wissenschaftlichkeit spricht. Als ich Page war, sagt La Marche,
war ich noch zu jung, um Fragen von preseance und Zeremoniell zu
verstehen * 2)- Er legt seinen Lesern wichtige Fragen über Vorrang und
Hof dienst vor, um sie mittels seiner reifen Kenntnis zu lösen. Warum
wohnt der Koch und nicht der Junker von der Küche des Herrn Mahl-
zeit bei? Auf welche Weise muß der Koch angestellt werden? Wer
muß ihn im Falle von Abwesenheit vertreten: der Bratmeister (hateur)
oder der Suppenmeister (potagier)? Hierauf antworte ich, sagt der
weise Mann: Wenn am Hofe eines Fürsten ein Koch angestellt werden
muß, müssen die Hofmeister (maitres d’hötel) die Junker der Küche
(escusiers de cuisine) und alle diejenigen, die in der Küche angestellt
sind, einen nach dem andern aufrufen; und durch feierliche Wahl, von
jedem unter seinem Eid vollzogen, muß der Koch angestellt werden.

4*

x) La Marche, IV, Estat de la maison, p. 34 ss.
2) La Marche, I, p. 277.
 
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