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ZWEITES KAPITEL
Und auf die zweite Frage: weder der Bratenmeister noch der Suppen-
meister können ihn vertreten, sondern gleichfalls durch Wahl soll der
Vertreter des Kochs ernannt werden. - Warum stehen die panetiers
und Mundschenken als erster und zweiter Rang über den Vorschnei-
dern und Köchen? Weil ihr Amt das Brot und den Wein betrifft, heilige
Dinge, verklärt durch die Würde des Sakraments').
Man sieht, es gibt hier eine tatsächliche Verbindung zwischen den
Gedankensphären des Glaubens und denen der Hofetikette. Es ist
nicht zuviel gesagt, daß sich in jenem Apparat schöner und edler
Lebensformen ein liturgisches Element birgt, das die Würdigung jener
Formen gleichsam in eine quasi religiöse Sphäre emporgezogen hat
Nur dies kann die außergewöhnliche Wichtigkeit erklären, die man,
nicht nur im spätem Mittelalter, allen Fragen von Vorrang und Anstand
beimajL |
Im alten russischen Reich vor den Romanows hatte sich der Streit
um den Vorrang am Thron zu einem festen Departement des Staats-
dienstes entwickelt. Jene Form kennen die westlichen Staaten des
Mittelalters nicht, aber auch hier spielt der Neid um den Vorrang eine
große Rolle. Es würde leicht fallen, die Beispiele dafür zusammenzu-
fassen. Hier handelt es sich jedoch darum, die Ausschmückung der
Lebensformen zu einem schönen und erhebenden Spiel und das
Wuchern jener Formen bis zum leeren Aufwand anschaulich zu
machen. Dazu folgende Beispiele. Die schöne Form kann gelegentlich
die zweckmäßige Handlung gänzlich beiseitedrängen. Direkt vor der
Schlacht bei Crecy haben vier französische Ritter die Schlachtordnung
der Engländer rekognosziert. Der König, voller Ungeduld ihren Bericht
erwartend und langsam über das Feld reitend, hält sein Pferd an, als
er sie zurückkommen sieht. Sie dringen durch das Gedränge der Kriegs-
leute vor bis zu dem König. „Was gibt’s Neues, meine Herren?“ fragt
der König. Sie sahen sich gegenseitig an, ohne ein Wort zu sprechen,
denn keiner wollte vor seinem Kameraden reden. Und der eine sagte
zum andern: „Herr, sagt Ihr es, sprecht Ihr zum König, ich werde nicht
vor Euch sprechen.“ So stritten sie eine Weile hin und her, weil keiner
„par honneur“ zu sprechen anfangen wollte. Bis der König es einem
*) La Marche, IV, Estat de la maison, p. 34, 51, 20, 31.
ZWEITES KAPITEL
Und auf die zweite Frage: weder der Bratenmeister noch der Suppen-
meister können ihn vertreten, sondern gleichfalls durch Wahl soll der
Vertreter des Kochs ernannt werden. - Warum stehen die panetiers
und Mundschenken als erster und zweiter Rang über den Vorschnei-
dern und Köchen? Weil ihr Amt das Brot und den Wein betrifft, heilige
Dinge, verklärt durch die Würde des Sakraments').
Man sieht, es gibt hier eine tatsächliche Verbindung zwischen den
Gedankensphären des Glaubens und denen der Hofetikette. Es ist
nicht zuviel gesagt, daß sich in jenem Apparat schöner und edler
Lebensformen ein liturgisches Element birgt, das die Würdigung jener
Formen gleichsam in eine quasi religiöse Sphäre emporgezogen hat
Nur dies kann die außergewöhnliche Wichtigkeit erklären, die man,
nicht nur im spätem Mittelalter, allen Fragen von Vorrang und Anstand
beimajL |
Im alten russischen Reich vor den Romanows hatte sich der Streit
um den Vorrang am Thron zu einem festen Departement des Staats-
dienstes entwickelt. Jene Form kennen die westlichen Staaten des
Mittelalters nicht, aber auch hier spielt der Neid um den Vorrang eine
große Rolle. Es würde leicht fallen, die Beispiele dafür zusammenzu-
fassen. Hier handelt es sich jedoch darum, die Ausschmückung der
Lebensformen zu einem schönen und erhebenden Spiel und das
Wuchern jener Formen bis zum leeren Aufwand anschaulich zu
machen. Dazu folgende Beispiele. Die schöne Form kann gelegentlich
die zweckmäßige Handlung gänzlich beiseitedrängen. Direkt vor der
Schlacht bei Crecy haben vier französische Ritter die Schlachtordnung
der Engländer rekognosziert. Der König, voller Ungeduld ihren Bericht
erwartend und langsam über das Feld reitend, hält sein Pferd an, als
er sie zurückkommen sieht. Sie dringen durch das Gedränge der Kriegs-
leute vor bis zu dem König. „Was gibt’s Neues, meine Herren?“ fragt
der König. Sie sahen sich gegenseitig an, ohne ein Wort zu sprechen,
denn keiner wollte vor seinem Kameraden reden. Und der eine sagte
zum andern: „Herr, sagt Ihr es, sprecht Ihr zum König, ich werde nicht
vor Euch sprechen.“ So stritten sie eine Weile hin und her, weil keiner
„par honneur“ zu sprechen anfangen wollte. Bis der König es einem
*) La Marche, IV, Estat de la maison, p. 34, 51, 20, 31.