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DTE SEHNSUCHT NACH SCHÖNEREM LEBEN

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von ihnen befiehlt1). — Noch völliger mußte die Zweckmäßigkeit der
schönen Form weichen im Fall vom messire Gaultier Rallart, Chevalier
du guet zu Paris 1418. Dieses Haupt der Polizei pflegte nie die Runde
zu machen, ohne von drei oder vier voraufgehenden Musikanten be-
gleitet zu werden, die lustig bliesen, so daß das Volk sagte, daß er gleich-
sam die Gauner warne: Flieht, denn ich komme2 3). Dieser Fall steht
nicht vereinzelt da. 1465 findet man aufs neue, daß der Bischof von
Evreux, Jean Balue, die nächtliche Runde in Paris mit Klarinetten,
Trompeten und andern Musikinstrumenten macht, „qui n’estoit pas
acoustume de faire ä gens faisans guet“8). Selbst auf dem Schafott
wurden die Ehren von Rang und Stand streng beobachtet: das vom
connetable de Saint Pol ist reich mit gestickten Lilien geschmückt, das
Betkissen und das Augentuch sind von karmesinrotem Sammet, und
der Henker ist jemand, der noch nie einen andern hingerichtet hat, ein
zweifelhaftes Vorrecht für den Verurteilten4).
Das Wetteifern in Höflichkeiten und Aufmerksamkeiten, das jetzt
einen kleinbürgerlichen Charakter angenommen hat, war im Hofleben
des 15. Jahrhunderts außergewöhnlich stark entwickelt. Man empfand
es als eine eigene unerträgliche Schande, wenn man den Höhergestellten
nicht den Platz ließ, der ihnen gebührte. Die burgundischen Herzöge
lassen ihren königlichen Verwandten in Frankreich peinlich genau den
Vorrang; Johann ohne Furcht erwies seiner jungen Schwiegertochter,
Michelle de France, allzeit übertriebene Ehre; er nannte sie Madame,
kniete immer vor ihr auf dem Boden und wollte sie stets bedienen,
was sie jedoch nicht leiden wollte5 *). Als Philipp der Gute vernimmt,
daß sein Vetter, der Dauphin, im Zwist mit seinem Vater nach Brabant
entwichen ist, unterbricht er die Belagerung von Deventer, die eine
Expedition zur Unterdrückung Frieslands einleiten sollte, und eilt nach
Brüssel zurück, um den hohen Gast zu bewillkommnen. Je näher man
der Begegnung kommt, um so mehr wird es ein Wettlauf, wer dem
*) Froissart, ed. Luce, III, p. 172.
2) Journal d’un bourgeois, § 218, p. 105.
3) Chronique scandaleuse, I, p. 53.
4) Molinet, I, p. 184; Basin, II, p. 376.
5) Alienor de Poitiers, Les honneurs de la cour, ed La Curne de Sainte
Palaye, Memoires sur l’ancienne chevalerie, 1781, II, p. 201.
 
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