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ZWEITES KAPITEL

andern in Ehrenbezeugungen zuvorkommen wird. Philipp ist in großer
Angst, daß der Dauphin ihm entgegenreiten wird; spornstreichs reitet
er weiter und schickt Bote auf Bote, um den Dauphin zu veranlassen,
ihn doch dort, wo er ist, abzuwarten. Käme der Königssohn ihm per-
sönlich entgegen, dann würde er selbst umkehren, so beschwor er ihn,
und so weit wegreiten, daß dieser ihn nirgends finden würde, denn es
würde ihm, dem Herzog, zum Spott und zur Schande gereichen, und
würde ihm von der ganzen Welt ewiglich vorgehalten werden. Mit
bescheidenem Abstand vom gewohnten Gepränge reitet Philipp in die
Stadt Brüssel hinein; hastig steigt er vor dem Palast ab, tritt ein und
läuft schnell weiter. Da erblickt er den Dauphin, der mit der Herzogin
sein Gemach verlassen hat und ihm auf dem Hof mit offenen Armen
entgegenkommt. Sofort entblößt der alte Herzog sein Haupt, kniet einen
Augenblick nieder und läuft dann hastig weiter. Die Herzogin hält den
Dauphin fest, damit dieser keinen Schritt tue, der Dauphin hält ver-
gebens den Herzog fest, um ihn zu verhindern zu knieen, und versucht
umsonst, ihn zum Aufstehen zu veranlassen. Beide weinen vor Rüh-
rung, sagt Chastellain, und alle Dabeistehenden mit ihnen.
Während des ganzen Verbleibs dieses Mannes, der alsbald als König
der ärgste Feind seines Hauses werden sollte, überbietet sich der Her-
zog in chinesischer Unterwürfigkeit. Er bezeichnet sich und seinen Sohn
„de si meschans gens“, er läßt sein sechzigjähriges Haupt naß regnen,
er bietet dem Dauphin all seine Länder an1). „Celuy qui se humilie
devant son plus grand, celuy accroist et multiplie son honneur envers
soy-mesme, et de quoy la bonte mesme luy resplend et redonde en
face.“ Mit diesen Worten beschließt Chastellain den Bericht, wie der
Graf von Charolais sich hartnäckig weigert, zusammen mit der Königin
Margaretha von England und ihrem jungen Sohn das Waschbecken
vor der Mahlzeit zu gebrauchen. Die Edlen sprachen den ganzen Tag
davon: der Fall wurde dem alten Herzog vorgelegt, der durch zwei
Edle das Für und Wider von Karls Haltung verfechten ließ. Das feu-
dale Ehrgefühl war noch so lebendig, daß man diese Dinge anscheinend
wirklich noch bedeutungsvoll, schön und erhebend fand. Wie ist es

q Chastellain, III, p. 196—212, 290, 292, 308, IV, p. 412—414, 428; Alienor de
Poitiers, p. 209, 212.
 
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