DER RITTERGEDANKE
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kommt in der ritterlichen Literatur auf; zuerst wird sie in den Voeux
du paon von Jacques de Longuyon um 1312 angetroffen1). Die Wahl
der Helden verrät den engen Zusammenhang mit der ritterlichen
Romantik: Hector, Cäsar, Alexander, — Josua, David, Judas Macca-
bäus, — Artur,1 Karl der Große und Gottfried von Bouillon. Von
seinem Lehrmeister Guillaume de Machaut übernimmt Eustache Des-
champs den Gedanken; er widmet ihm zahlreiche Gedichte2). Er ist
es wahrscheinlich gewesen, der das Bedürfnis nach Symmetrie, welches
für den spätmittelalterlichen Geist so charakteristisch ist, befriedigte,
indem er den neun preux neun preuses hinzufügte. Er suchte dafür
einige, zum Teil ziemlich sonderbare, klassische Figuren zusammen
aus Justinus und anderer Literatur: unter anderen Penthesilea,Tomyris,
Semiramis, und verhunzte die meisten Namen gehörig. Dies verhinderte
nicht, daß die Idee Beifall fand, und so findet man preux und preuses
bei den späteren, wie in Le Jouvence], wieder. Sie stehen auf Teppichen
abgebildet, man denkt Wappen für sie aus; beim Einzug Heinrichs VI.
von England zu Paris 1431 gehen alle achtzehn ihm voran3).
Wie lebendig die Vorstellung während des 15. Jahrhunderts und
noch später geblieben ist, beweist die Tatsache, daß man sie parodierte:
Molinet läßt seine Laune aus an einer Neunzahl „preux de gourman-
dise“4). Noch Franz I. kleidete sich ab und zu „ä l’antique“, um einen
der preux vorzustellen5).
Deschamps hat jedoch noch auf eine andere Weise als durch weib-
liche pendants die Vorstellung erweitert. Er verknüpfte die Verehrung
aller Heldentugend mit dem Heute, versetzte sie in die Sphäre des
aufkommenden französischen militärischen Patriotismus, indem er den
Neunen einen Zeit- und Landgenossen als zehnten preux hinzufügte:
1) P. Meyer, Bull, de la soc. des anc. textes fran?ais, p. 45—54.
2) Deschamps, Nr. 12, 93, 207, 239, 362, 403, 432, 652, I, p. 86, 199, II, p. 29,
69, X, p. xxxv, ixxvi ss.
3) Journal d’un bourgeois, p. 274. In der Mitte des sechzehnten Jahr-
hunderts kennt John Coke sie noch als The nyne worthyes, The debate between
the Heraldes, ed. L. Pannier et P. Meyer, Le debat des herauts d’armes, p. 108,
§ 171, während Cervantes sie als „todos los nueve de la fama“ nennt; Don
Quijote, I, 5.
4) Molinet, Faictz et Dietz, f. 151 v.
5) La Curne de Sainte Palaye, II, p. 88.
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kommt in der ritterlichen Literatur auf; zuerst wird sie in den Voeux
du paon von Jacques de Longuyon um 1312 angetroffen1). Die Wahl
der Helden verrät den engen Zusammenhang mit der ritterlichen
Romantik: Hector, Cäsar, Alexander, — Josua, David, Judas Macca-
bäus, — Artur,1 Karl der Große und Gottfried von Bouillon. Von
seinem Lehrmeister Guillaume de Machaut übernimmt Eustache Des-
champs den Gedanken; er widmet ihm zahlreiche Gedichte2). Er ist
es wahrscheinlich gewesen, der das Bedürfnis nach Symmetrie, welches
für den spätmittelalterlichen Geist so charakteristisch ist, befriedigte,
indem er den neun preux neun preuses hinzufügte. Er suchte dafür
einige, zum Teil ziemlich sonderbare, klassische Figuren zusammen
aus Justinus und anderer Literatur: unter anderen Penthesilea,Tomyris,
Semiramis, und verhunzte die meisten Namen gehörig. Dies verhinderte
nicht, daß die Idee Beifall fand, und so findet man preux und preuses
bei den späteren, wie in Le Jouvence], wieder. Sie stehen auf Teppichen
abgebildet, man denkt Wappen für sie aus; beim Einzug Heinrichs VI.
von England zu Paris 1431 gehen alle achtzehn ihm voran3).
Wie lebendig die Vorstellung während des 15. Jahrhunderts und
noch später geblieben ist, beweist die Tatsache, daß man sie parodierte:
Molinet läßt seine Laune aus an einer Neunzahl „preux de gourman-
dise“4). Noch Franz I. kleidete sich ab und zu „ä l’antique“, um einen
der preux vorzustellen5).
Deschamps hat jedoch noch auf eine andere Weise als durch weib-
liche pendants die Vorstellung erweitert. Er verknüpfte die Verehrung
aller Heldentugend mit dem Heute, versetzte sie in die Sphäre des
aufkommenden französischen militärischen Patriotismus, indem er den
Neunen einen Zeit- und Landgenossen als zehnten preux hinzufügte:
1) P. Meyer, Bull, de la soc. des anc. textes fran?ais, p. 45—54.
2) Deschamps, Nr. 12, 93, 207, 239, 362, 403, 432, 652, I, p. 86, 199, II, p. 29,
69, X, p. xxxv, ixxvi ss.
3) Journal d’un bourgeois, p. 274. In der Mitte des sechzehnten Jahr-
hunderts kennt John Coke sie noch als The nyne worthyes, The debate between
the Heraldes, ed. L. Pannier et P. Meyer, Le debat des herauts d’armes, p. 108,
§ 171, während Cervantes sie als „todos los nueve de la fama“ nennt; Don
Quijote, I, 5.
4) Molinet, Faictz et Dietz, f. 151 v.
5) La Curne de Sainte Palaye, II, p. 88.