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VIERTES KAPITEL
Bertrand du Guesclin1). Auch diese Vorstellung hatte Erfolg: Ludwig
von Orleans ließ in den großen Saal von Coucy das Bild des tapfern
connetable als zehnten preux auf nehmen2). Es hatte seinen guten
Grund, daß Orleans dem Gedächtnis des Guesclin eine besondere Sorg-
falt widmete; er selbst war von dem connetable über die Taufe ge-
halten worden, und dieser hatte ihm dabei ein Schwert in die Hand
gegeben. Von der Gestalt des tapfern und berechnenden Bretonischen
Kriegsmannes geht eine national-militärische Heldenverehrung aus.
Man muß feststellen, daß diese im 15. Jahrhundert noch nicht an erster
Stelle Jeanne d’Arc gilt. Allerlei Heerführer, die neben ihr oder gegen
sie gekämpft hatten, nehmen in der Phantasie der Zeitgenossen einen
viel größeren und ehrenvolleren Platz ein als das Bauernmädchen aus
Domremy. Viele sprechen von ihr noch ohne Rührung oder Verehrung,
mehr wie von einer Kuriosität. Chastellain, der seine burgundischen
Gefühle, wenn es gerade paßte, merkwürdig gegen einen pathetischen,
französischen Loyalismus auszutauschen verstand, dichtet ein „my-
stere“ auf den Tod Karls VII., in dem alle Anführer, die für ihn
die Engländer bekämpft haben, wie eine Ehrengalerie von Tapferen,
eine Strophe hersagen, die ihre Taten erwähnt: Dunois, Jean de Bueil,
Xaintrailles, La Hire sind dabei und eine ganze Anzahl weniger be-
kannte3). Es mutet einen Augenblick so an wie eine Reihe Napoleo-
nischer Generäle. Aber die Jungfrau fehlt dabei.
Die burgundischen Fürsten hoben sich in ihren Schatzkammern
eine Anzahl Heldenreliquien romantischer Art auf: ein Schwert von
Sankt Georg, mit seinem Wappen geschmückt, ein Schwert, das
„messire Bertran de Claiquin“ (du Guesclin) gehört hatte, einen Zahn
des Ebers von Garin le Loherain, den Psalter, aus dem der heilige Lud-
wig in seiner Kindheit lernte4). Wie laufen hier die Phantasiesphären
x) Deschamps, Nr. 206, 239, II, p. 27, 69, Nr. 312, II, p. 324, Le lay du
tres bon connestable B. du Guesclin.
2) S. Luce, La France pendant la guerre de cent ans, p. 231: Du Guesclin,
dixieme preux.
3) La niort du roy Charles VIL, Chastellain, VI, p. 440.
4) Laborde, II, p. 242, no. 4091; 138, no. 242, id. p. 146, no. 3343, p. 260,
no 4220, p. 266, no. 4253. Der Psalter wurde während des spanischen Erbfolge-
krieges durch Joan van den Berg erworben, den Kommissar der Generalstaaten
in Belgien, und liegt nun in der Leidener Universitätsbibliothek.
VIERTES KAPITEL
Bertrand du Guesclin1). Auch diese Vorstellung hatte Erfolg: Ludwig
von Orleans ließ in den großen Saal von Coucy das Bild des tapfern
connetable als zehnten preux auf nehmen2). Es hatte seinen guten
Grund, daß Orleans dem Gedächtnis des Guesclin eine besondere Sorg-
falt widmete; er selbst war von dem connetable über die Taufe ge-
halten worden, und dieser hatte ihm dabei ein Schwert in die Hand
gegeben. Von der Gestalt des tapfern und berechnenden Bretonischen
Kriegsmannes geht eine national-militärische Heldenverehrung aus.
Man muß feststellen, daß diese im 15. Jahrhundert noch nicht an erster
Stelle Jeanne d’Arc gilt. Allerlei Heerführer, die neben ihr oder gegen
sie gekämpft hatten, nehmen in der Phantasie der Zeitgenossen einen
viel größeren und ehrenvolleren Platz ein als das Bauernmädchen aus
Domremy. Viele sprechen von ihr noch ohne Rührung oder Verehrung,
mehr wie von einer Kuriosität. Chastellain, der seine burgundischen
Gefühle, wenn es gerade paßte, merkwürdig gegen einen pathetischen,
französischen Loyalismus auszutauschen verstand, dichtet ein „my-
stere“ auf den Tod Karls VII., in dem alle Anführer, die für ihn
die Engländer bekämpft haben, wie eine Ehrengalerie von Tapferen,
eine Strophe hersagen, die ihre Taten erwähnt: Dunois, Jean de Bueil,
Xaintrailles, La Hire sind dabei und eine ganze Anzahl weniger be-
kannte3). Es mutet einen Augenblick so an wie eine Reihe Napoleo-
nischer Generäle. Aber die Jungfrau fehlt dabei.
Die burgundischen Fürsten hoben sich in ihren Schatzkammern
eine Anzahl Heldenreliquien romantischer Art auf: ein Schwert von
Sankt Georg, mit seinem Wappen geschmückt, ein Schwert, das
„messire Bertran de Claiquin“ (du Guesclin) gehört hatte, einen Zahn
des Ebers von Garin le Loherain, den Psalter, aus dem der heilige Lud-
wig in seiner Kindheit lernte4). Wie laufen hier die Phantasiesphären
x) Deschamps, Nr. 206, 239, II, p. 27, 69, Nr. 312, II, p. 324, Le lay du
tres bon connestable B. du Guesclin.
2) S. Luce, La France pendant la guerre de cent ans, p. 231: Du Guesclin,
dixieme preux.
3) La niort du roy Charles VIL, Chastellain, VI, p. 440.
4) Laborde, II, p. 242, no. 4091; 138, no. 242, id. p. 146, no. 3343, p. 260,
no 4220, p. 266, no. 4253. Der Psalter wurde während des spanischen Erbfolge-
krieges durch Joan van den Berg erworben, den Kommissar der Generalstaaten
in Belgien, und liegt nun in der Leidener Universitätsbibliothek.