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SIEBENTES KAPITEL

sehen Knappen, der es wagte, Lalaing allein anzugreifen1). La Marche
meint mit einer gewissen Naivität von den Heldentaten, die ein Genter
aus dem Volk verrichtete, daß sie von Wichtigkeit gewesen wären,
wenn es sich um „un homme de bien“ gehandelt hätte2).
Auf jede Weise zwang sonst die Wirklichkeit die Geister zur
Verneinung des ritterlichen Ideals. Die Feldherrnkunst hatte seit
langem die Turnierhaltung aufgegeben; der Krieg des 14. und
15. Jahrhunderts arbeitete mit Beschleichen und Überraschen, es war
ein Krieg von Streifzügen und Raubanfällen. Die Engländer hatten
zuerst das Absitzen der Ritter in der Schlacht eingeführt, und es
wurde von französischer Seite übernommen3). Eustache Deschamps
meint spottend, daß es dazu diene, das Fliehen zu verhindern4). Zur
See, sagt Froissart, ist es furchtbar kämpfen, denn dort kann man
nicht entweichen und fliehen 5)- Außergewöhnlich naiv tritt die Un-
zulänglichkeit der ritterlichen Auffassungen als militärisches Prinzip
in der D ebat des herauts d’armes de France et d’Angleterre zutage, einem
Traktat von etwa 1455, in welchem in der Form eines Zwiegesprächs
der Vorrang Frankreichs oder Englands umstritten wird. Der eng-
lische Herold hat den französischen gefragt, warum sein König nicht,
wie der englische, eine große Schiffsmacht unterhält. Nun, antwortet
der französische Herold, das hat er nicht nötig und außerdem: der
französische Adel schätzt den Landkrieg mehr als den zur See, aus
verschiedenen Gründen: „car il y a danger et perdicion de vie, et
Dieu scet quelle pitie quant il fait une tourmente (Sturm), et si est
la maladie de la mer forte ä endurer ä plusieurs gens. Item, et la
dure vie dont il fault vivre, qui n’est pas bien consonante ä noblesse6)-“
Wenn auch noch von geringer Wirkung, so kündigte doch schon das
Geschütz die zukünftigen Veränderungen des Krieges an. Es war wie
eine ironische Symbolik, daß die Zierde der fahrenden Ritter „ä la

‘) Chastellain, II, p. 259.
2) La Marche, II, p. 324.
3) Chastellain, I, p. 28; Commines, I, p. 31; vgl. Petit Dutaillis bei Lavisse,
Histoire de France, IV2, p. 33.
4) Deschamps, IX, p. 80; vgl. vs. 2228, 2295; XI, p. 173.
°) Froissart, II, p. 37.
6) Le debat des herauts d’armes, § 86, 87, p. 33.
 
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