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DIE POLITISCHE UND MILITÄRISCHE BEDEUTUNG usw. 135
seine prächtige Rüstung der Gefahr wegen von einem andern tragen,
aber es heißt, daß es geschieht, um sich selbst als gewöhnlicher Krieger
besser auf die Probe zu stellen*). Als die jungen Herzöge von Berry
und der Bretagne Karl dem Kühnen in seiner „guerre du bien public“
folgen, tragen sie, wie man Commines erzählte, Scheinpanzer aus
Satin mit vergoldeten Nägelchen’2).
Überall lugt die Lüge aus den Löchern des ritterlichen Staats-
kleides hervor. Die Wirklichkeit verleugnet fortwährend das Ideal.
Daher zieht es sich immer mehr in die Sphäre von Literatur, Fest und
Spiel zurück; nur dort behauptete sich die Illusion des schönen ritter-
lichen Lebens; dort ist man untereinander in der Kaste, in welcher
derartige Gefühle einzig und allein Geltung haben.
Es ist erstaunlich, wie die Ritterlichkeit auf der Stelle versagt, so-
bald sie sich gegenüber Nichtgleichwertigen geltend machen müßte.
Sobald es sich um niedere Klassen handelt, fehlt jedes Bedürfnis nach
ritterlicher Hoheit. Der edle Chastellain hat nicht das geringste Ver-
ständnis für die trotzige Bürgerehre des reichen Brauers, der seine
Tochter nicht dem Soldaten des Herzogs geben will und Leib und
Gut daran wagt, um sich dem Herzog zu widersetzen 3). Froissart er-
zählt, ohne irgendwelche Ehrfurcht, wie Karl VI. die Leiche Philipps
von Artevelde sehen wollte. „Quand on l’eust regarde une espasse on
le osta de lä et fu pendus ä un arbre. Velä le darraine fin de ehe
Philippe d’Arteveile4).“ Der König hätte sich selbst nicht gescheut, der
Leiche einen Fußtritt zu geben, „en le traitant de vilain“5). Die grau-
samsten Greuel der Adligen gegen die Bürger von Gent im Krieg von
1382, als sie vierzig Getreideschiffer verstümmelt und mit ausge-
stochenen Augen zur Stadt senden, vermindern Froissarts Leiden-
schaft für das Ritterwesen keinen Augenblick0). Chastellain, der in
den Heldentaten von Jacques de Lalaing und seinesgleichen schwelgt,
erwähnt ohne irgendwelche Sympathie die eines unbekannten Genti-
D Chastellain, I, p. 260; La Marche, I, p. 89.
2) Commines, I, p. 55.
3) Chastellain, III, p. 82 ff.
4) Froissart, IX, p. 220; XI, p. 202.
6) Ms. Chronik von Oudenarde, bei Rel. de S. Denis, I, p. 2291.
®) Froissart, XI, p. 58.
 
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