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Kunstgeschichtliche Würdigung- der Bauwerke.

müssen wir auch die Annahme zurückweisen, das Artemision habe erst unter den Römern
zu einer Zeit des künstlerischen Verfalls seine Vollendung erhalten. Hätte die Kaiserzeit
sich an dem Tempel, dem Altare oder den Bauten der Agora betätigt, so würde es ihr
selbst in dem Bestreben, sich dem Alten anzupassen, wohl nicht gelungen sein, die eigene
Auffassung im Blattwerk und den Kymatien vollständig zu verleugnen1). Im Gegenteil
bleibt trotz der Mängel der Ausführung der Stilcharakter der Bauwerke stets derselbe.

Der Athene-Tempel in Prione hatte seine Vollendung Alexander dem Großen zu
verdanken; ein anderes bedeutendes Bauwerk Toniens, das Didymaion, war unvollendet ge-
blieben. Die Magnesier hingegen scheinen alle Kräfte aufgeboten zu haben, um die be-
gonnenen Bauten ohne Verzug zu Ende zu führen, selbst auf die Gefahr hin, daß die
Leistungen der Werkleute in den wichtigeren Teilen allein befriedigend ausfielen, sonst
aber nur für den flüchtigen Anblick genügten.

Die beschleunigte Arbeitsweise sicherte den Bauwerken jene Einheit des Entwurfs,
die wohl nur wieder die Kaiserfora in Rom dargeboten haben. Die Formen des Tempel-
baucs lösten sich jetzt aus überlieferter Gebundenheit und wurden den erweiterten Aufgaben
gemäß umgebildet, während der Zwang des Bedürfnisses lehrte, die Baustoffe ihren Eigen-
schaften entsprechend zuzurichten und zu bearbeiten. Das waren Fortschritte, deren Trag-
weite über die örtlichen Verhältnisse hinausreichte, Errungenschaften, auf denen die Ent-
wicklung der römischen Architektur sich aufbauen konnte. Was aber den Denkmälern
der Stadt Magnesia einen besonderen Wert verleiht, ist, daß sie mit dem Namen eines Bau-
künstlers verknüpft sind, durch dessen Tätigkeit vornehmlich die hellenistische Baukunst
zu ihrer Bedeutung geführt wurde.

*) Beim Bau des Kundtempels des Augustus und der Borna auf der Burg von Athen wurden die
Formen des Erechtheions vorsätzlich nachgeahmt; aber selbst an diesem kleinen Bauwerk verrät sich die
Hand des jüngeren Bildhauers in der veränderten Wiedergabe der Kymatien. Am Didymaion bei Milet
sind infolge der lang ausgedehnten Baiizeit die Zwischenblätter der ionischen Kymatien oftmals als Pfeil-
spitzen umgestaltet, die sich vom Grunde ablösen.
 
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