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Robert, Carl
Hallisches Winckelmannsprogramm (Band 17): Die Iliupersis des Polygnot — Halle a. S., 1893

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https://doi.org/10.11588/diglit.6003#0073
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Die (Joiuposition.

Alicr noch ist die Scala nicht rollständig; denn in der dritten Hauptgruppe, die sicli hier
/.wischen die Helenagruppe und die grosse Gruppe auf der Burg ganz in derselben Weise ver-
bindend einschieht. wie bei der Nekyia die Gruppe der kindischen Mädchen zwischen die Phaidra-
und die Orpheusgruppe, sehen wir Andromaohe, die Wittwe des Hektor, das Ideal der Gattin und
Mutter, wie sie ihrem dem Tod verfallenen Knaben zum letzten Male die Brust reicht. Andromache.
Helena. Briseis in einer leise aufsteigenden Ljnie. o fitv yag Ilolvyvmzoc. cc/a&ös y/fro/par/oc Die
um Andromache versammelten Töchter des Priamos. darunter die gleichfalls dem Tode geweihte
Polyxena, schliessen diese Gruppe schöner Frauen wirkungsvoll ab.

Heber der Andromache- und der Helenagruppe, die zusammen die rechte, Hauptabteilung
des Bildes ausmachen, zieht sich auf der Höhe des Berges eine lange Reihe von Figuren hin. Zuerst
drei Griechen, die, bei dem nächtlichen Kampf verwundet, die Stadt verlassen und zum Lager zurück-
kehren mussten. Grollend sitzen sie jetzt auf den Uferhöheu und harren, bis die glücklicheren
Kriegsgefährten aus der zerstörten Stadt zurückkehren. Dann folgen vier gefangene Trojanerinnen,
„nicht mehr wie sonst eingeteilt in Familien, der Mutter, dem Vater, dem Bruder, dem Gatten an
der Seite, soudern zusammengerafft, gleich einer Heerde in die Enge getrieben" ((Goethe). Diese
Frauen vermitteln wieder die Verbindung mit den unter ihnen stehenden gefangenen Priamostöchteru.
während die isoliert auf halber Berghöhe sitzende Xeuodike die Gruppe nach links abschliesst und zu der
Scene in der Stadt hinüberleitet. Noch wirksamer aber werden beide Abteilungen durch die an dieser
Stelle im untern Teil des Bildes angebrachte Figur des Nestor verbunden, namentlich wenn wir
ihn uns aus dem Lager der Stadt zuschreitend denken: s. oben S. 42 f. Kr spielt in der Composition
dieselbe Rolle, wie iu der Nekyia Antikleia. die ihm gerade gegenüberstellt.

Genau in die Mitte des Bildes ist aus Erwägungen, die von dem Inhalt der Darstellung
gänzlich unabhängig waren, die Neoptolemos-Gruppe gekommen. Fast zwei Drittel der ganzen
Bildhöhe nimmt sie ein. Durch diesen ausgezeichneten Platz wird Neoptolemos in noch viel höherem
Grade als durch den von Pausanias hervorgehobenen l instand, dass er allein noch kämpfend dar-
gestellt ist. als die Hauptperson des ganzen Bildes bezeichnet. Und dass hierfür nicht nur die
poetische Tradition, sondern eine locale Rücksicht massgebend war, wird schon bei Pausanias
treffend bemerkt: die Lesche der Kuidier lag gerade oberhalb des Neoptolernos-Grabes. Und nicht
minder dient, wie schon gezeigt S. 62 f. zur Verherrlichung Delphis die Figur des Phokers Epeios,
der nicht weit von Neoptolemos und ganz nahe dem Centrum des Bildes die stolze trojanische Mauer,
die von Götterhäuden erbaute, der Erde gleich macht.

Wenden wir uns vom Centrum zu den beiden Enden der Darstellung, so springt hier die
strenge Symmetrie sowohl nach Inhalt als nach Aufbau sofort in die Augen; rechts werden die Zelte
des Menelaos und Neoptolemos abgebrochen, ein Schiff zur Abfahrt gerüstet, links scheiden die
Antenoriden von ihrem Heimathause, ein armseliges Lasttier wird mit den dürftigen Resten der
Habe, aber auch mit dem Feuer vom Herde der Väter bepackt; rechts Siegesjubel und lautes ge-
schäftiges Treiben, links Totenstille, tiefe Trauer um die zerstörte Stadt und den getöteten Sohn.
Die mit einer bewegten Genrescene einsetzende, durch siegesfrohe und trauernde Gruppen fort-
geführte, endlich in der Vorführung des toten Königs, der misshandelten Seherin, der erschlagenen
 
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