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feiten Ihrer jüngsten Fräulein Tochter für möglich, für
wahrscheinlich?" fragte er erstarrend.
Der Alte rieb sich die Hände, als wasche er sie in
Unschuld, dann kam etwas wie Rührung über ihn:
„Ich habe Sie immer wie einen Sohn geliebt, Willi-
bald. Ost schrieb ich Ihrem Vater: .Dein JnNge, werter
Freund, ist so recht ein Mensch nach meinem Herzen,
fleißig, streng rechtschaffen, von klarem Blick für das Ge-
schäftslebcn, kurz, ein junger Mann, dem ich mit Freuden
meine Angelegenheiten in die Hand lege/ Wie sollte ich
nun nicht wünschen. Sie ganz an mich zu fesseln?"
Der Bewerber wurde nicht klug aus dcö alten Herrn
wahrer Meinung. Daß auch bei ihm irgend ein Rück-
halt lauerte, daß nicht alles zwischen ihnen so klar und
sicher war wie früher, fühlte er mehr, als daß cs ihm
irgendwie ausgesprochen worden wäre. Er schied auö dem
kleinen Comptoir mit der Absicht, nun unentwegt vorzu-
gehen und sich unter keinen Umständen länger Hinhalten
zu lassen.
Um Mittag ging er in die Ehlermannsche Villa. Hier-
war er oft ein freudig empfangener Gast gewesen. Auf
die schlichte alte Dame und ihre gute Meinung für ihn
glaubte er fest rechnen zu können. Ihr Wesen gegen ihn
war immer unverändert geblieben. Wie oft hatte sic ihn
bei seinem Kommen angelacht und gesagt: „Heut hab' ich
Ihne ein LieblingSesse gekocht, gelt, das wird schmecke!"
Ja, die Mutter sollte ihn zu Hermine führen, auf
deren Fürsprache — wenn es doch etwas dergleichen be-
dürfen sollte — konnte er rechnen.
Die Kommerzieurätin empfing ihren jungen Freund
in einem kleinen, einfachen Zimmer dcö niedrigen Zwischen-
geschoßes, das eigentlich für die Dienerschaft bestimmt war.
In ihren vom Tapezier prächtig ausgestatteten Salons
hielt sie es nie lange aus. Hier hauste nur Isidore in
ihrer einsamen „Größe", wie sie selbst meinte, wenn sie
mit nie endender Bewunderung Möbel und Stoffe be-
trachtete und sich freute, dazu zu gehören.
„Wie hibsch, daß Se e'mal ganz extra zu mir komme,
mei goldiges Holzmüllerche," sagte die dicke Frau gütig:
„was verschafft mir denn die Ehr'?"
„Ich möchte eine große Bitte an Sic richten, Frau
Kommerzieurätin."
„Kommen Se, setzcn's sich zu mir und dann sagen's,
was Se wollen."
„Ein lange gehegter Herzenswunsch."
„Na, na, nur immer frisch weg; thnn Se sich nct so
ausrege!"
„Ich zähle auf Ihre Güte, Ihre freundliche Vermitt-
lung. — Sie wissen lange, daß ich Fräulein Hermine
liebe. Schon vor Jahresfrist schien mir unter uns allen
ein gewisses schweigendes Ucbercinkommen zu bestehen,
das meine Hoffnungen bestätigte. Jetzt mochte ich nun
endlich —"
„Ach, gehe Se, liebes Holzmüllerche, da müsse Sc doch
zu Ehlermann oder zur Hermine selbst —"
„Wenn Sie nun für mich bei Ihrer Tochter —"
„Ich? Na, meinetwegen nimmt Se das Mädche doch
net. Die hat ihren eig'nen Kopf — ganz ihren eig'ncn.
Ich, das wisse Sc Wohl, Holzmüller, ich habe nichts gegen
Sie. Mir wären Se der allerliebste, goldigste Schwieger-
sohn, den ich mir in der weiten Gotteöwelt denken könnt'.
Aber ich bin nicht das Mädche und Hermine ist längst
net wie ich. Ja, die ist apart, die will 'was Besonderes.
Heutzutage sind so die junge Dinger. Was soll man da-
gegen mache? Sie wachsen einem über den Kopf und
sie sind 'mal so."
Auch hier also Zweifel, Unvermögen, seine Wünsche zu
unterstützen. „Möchten Sie mich denn zu Fräulein
Hermine führen, verehrte Frau Kommerzieurätin?"
„Gewiß, alsmal — wird's beste sein! Die ist nct
blöde, die schenkt Ihne reine Wein ein. Kommen Sc
nur und mache Se kein so langes Gesicht, Holzmüllcrche.
Em Freier muß hübsch munter auf 'in Poste sein."
Sie watschelte ihm voran und er folgte, mit peinlichen
Empfindungen ringend.
Vor der hohen Flügelthür iin ersten Stock blieb sie
stehen, man hörte Isidore mit dem hölzernen Anschläge
der Anfängerin einen Galopp trommeln.
Die Mutter wandte sich um und sagte:
„Ich weiß nct, wie ich unser Dörche aus dem Salon
wegkrieg'. Das Kind ist ein bißchc neugierig, und alles
braucht se net zu wisse. Wcun Se sich eine Treppe höher
mit hinauf bemühe möchte, will ich Se in Hermines
eig'nes Stübche bringe."
Während die gute Frau in ihrer freundlichen Weise
weiter plauderte, gelangten sic in den zweiten Stock.
„Nu' warten Sc ein bißche, ich will doch erst schaue,
wie es da drinne aussieht."
Mit diesen Worten verschwand die Frau hinter dcr
nächsten Thür.
Nach ein paar Minuten, die Willibald eine Ewigkeit
dünkten, kam sie zurück, winkle ihm und sagte: „Kommen
Se als herein."
Hermine stand mitten in dem hübschen, zierlich aus-
gestatteten Raum. Sie war sehr rot, sah ihn aber ge-
rade und ehrlich an. Leise begann sie:
„Mutter sagt mir, daß Sic mich gern allein sprechen
möchten."
Illustrirte Welt.
Die alte Dame war hinter des Eingeführten Rücken
aus dem Zimmer verschwunden.
Hermine deutete auf einen ihrer rosaseidcnen Lehnsessel
und setzte sich auf den andern.
Er nahm Platz und hob mit bewegter Stimme an:
„Ich brauche Ihnen kaum zu sagen, Fräulein Ehlcrmann,
weshalb ich komme. Sie sind eine offene Natur und ich
bin es auch. Warum sollen wir unS mit nichtssagenden
Worten aufhalten? Seit den zwei Jahren, in welchen
ich hier, als einer der nächsten Hausfreunde, bei Ihren
Eltern verkehre, habe ich Sie mit immer wachsendem
Interesse beobachtet. Interesse ist vielleicht nicht daS
rechte, ausreichende Wort: es ist Zuneigung — Liebe —"
seine Stimme zitterte. „Ich glaubte lange und wage es
noch heute zu hoffen, — sonst würde ich nicht hier sein —
daß eine ähnliche Empfindung sich in Ihnen rege. Mit
ängstlicher Sorge meinte ich nun aber in der letzten Zeit
wahrzunehmcn, daß etwas zwischen unS getreten sei. Es
wäre ja möglich, daß ich Sie unwissentlich verletzt hätte,
daß es etwas unter uns auszugleichen gäbe. Ilm nun
endlich alle Zweifel zu lösen und unser Verhältnis wo-
möglich so zu befestigen, wie ich cs mir lange ersehne, bin
ich hier, Fräulein Hermine," er sprang leidenschaftlich be-
wegt empor und streckte ihr seine Rechte entgegen — „darf
ich hoffen, oder soll der schönste Traum meines Lebens zu
Ende sein?"
Sie stand ihm wie mit Blut übergossen und nieder-
geschlagenen Auges gegenüber. Seine auSgestreckte Hand
schien sie nicht zu sehen, vielleicht war es wirklich nicht
der Fall, sie drehte einen kleinen goldenen Reif mit blauem
Stein, den ihr Klara geschenkt, unablässig an ihrem
Finger rund um.
Eine peinliche Stille folgte auf seine Frage. Endlich
antwortete sie mit bebenden Lippen : „Es ist vielleicht ganz
gut, Herr Holzmüller, daß wir uns einmal ordentlich aus-
sprechen. So etwas Halbes und Unklares wie eS zwischen
uns war, ist mir auch gegen die Natur. Ich will Ihnen
ganz gewiß nichts vermachen, sondern aufrichtig sagen,
Ivie eS in mir auösieht und dann wollen wir, als zwei
gute Freunde und vernünftige Menschen, miteinander über-
legen, was am besten sein wird."
Sie bat ihn noch einmal, sich zu setzen, und begann
dann, fast in dem gewöhnlichen frischen Ton, mit dem sie
sonst sprach, ihm ihre Stimmung zu schildern. Wie un-
beschreiblich sie die Geselligkeit freue, wie schrecklich gern
sic tanze, wie wunderschön sie es finde, so jung und frei
zwischen allen den neuen Leuten und Eindrücken dahinzu-
gehen. Jeder Tag, den sie lebe, bringe ihr eine Fülle von
Glück und Abwechslung, und sie wolle augenblicklich gar
nichts anderes, als daö eine Weile ungestört genießen,
waö ihr jetzt beschiedcn sei.
„Ich möchte Sie gewiß nicht betrüben," fuhr sie herz-
lich fort. „Aber wie kann ich mich verloben, wenn ich
noch gar keine Lust dazu spüre? Machen Sie, bitte, kein
so unglückliches Gesicht. Ich sage ja durchaus nicht nein.
Ich habe Sic immer sehr gern gehabt und Ihnen daS
auch gezeigt, wie ich nun einmal nicht anders kann, abcr
heiraten möchte ich wirklich noch nicht."
Er war blaß geworden und hatte sich langsam erhoben.
„Ich fühle, Sie wollen mir nicht wehe thnn, und da-
für muß ich Ihnen dankbar sein. Aber zugleich fühle ich
auch, daß Sie mich nicht lieben, daß Ihre Freundlichkeit,
Ihr ganzes Verhalten gegen mich die Ursache eines Miß-
verständnisses geworden ist, das ich in diesem Augenblicke
bedaurc."
Sie erschrak: „O nein!" rief sie und hob die Hände
bittend in die Höhe, „alles, was ich gcthan oder gesagt,
habe ich gerade so gemeint. Ich will nicht nein sagen,
lassen Sie es nicht aus sein zwischen uns! Gönnen Sie
mir nur noch ein Jahr der Freiheit, des fröhlichen Ge-
nießenS meiner Mädchenzcit!"
Er verneigte sich steif: „Hoffentlich läßt mein warmes
Gefühl sich so lange mit der geringen Aussicht, die Sie
mir geben, hinsristeu, Fräulein Ehlermanu," damit verließ
er eiligen Schrittes, um die ihm schmerzliche Unterredung
zu beenden, das Zimmer.
Draußen stand er einen Augenblick still, nm sich zu
sammeln: er fand aber kaum Zeit, seine große Bewegung
nicderzukämpfen, schon erschien aus einem Seitengange die
Mutter, welche sich ihrem eigenwilligen Kinde gegenüber
so wenig cinzumischen gewagt, und sah mit teilnehmenden
und neugierigen Augen zu ihm auf.
„Na?" fragte die Frau eifrig, „wie ist sie gewcsc?
Wie ist die Geschichte abgclause?"
Er zuckte die Achseln, es war ihm ganz unmöglich,
eine Schilderung der eben stattgehabtcn Unterredung zu
geben, und er brachte nur unzusammcnhäugcnde Worte
hervor.
„Ach, mei Göttche, mei Göttche! Ich seh' schon, net
zum Beste," fuhr sie traurig fort, „ja, ja, ich sagt' cs
gleich, das Herrche läßt sich nct hisse und net locke, das
iS 'mal so! Aber —" wie Sonnenschein zog es über ihr
gutmütiges, rotes Gesicht, ihr kam ein Gedanke, ein tröst-
licher Einfall. „Es is noch net aller Tage Abend, ich
weiß, was ich thu'!"
Er vermochte nicht länger auf sie zu hören," sagte ihr
rasch Lebewohl und eilte die Treppe hinunter.
Sein ganzes Empfinden war schmerzlich aufgewühlt
! und verstört. Er gönnte ja einem so jungen, so fröh-
I lichen Wesen wie Hermine Ehlermann gewiß alle Lebens-
freuden. Es würde ihm nicht einfallen, seine Braut oder-
junge Frau wie eine Nonne zu halten. Er selbst war
hcitcr und gesellig geartet. Wenn das Mädchen sich ihm
nicht verbinden wollte, um mit ihm gemeinsam ihres
Lebens froh zn werden, so liebte sie ihn offenbar nicht.
Das fühlte er in seiner unzerstörbar heißen Neigung für
sie ganz deutlich.
Plötzlich schoß ihm der Argwohn, welchen er in Be-
ziehung auf ihren Vater gehegt, durch den Kopf Ent-
sprang ihre Weigerung aus Eitelkeit? War ihre Ab-
lehnung auS dem Wunsch entstanden, in jpnem vornehmeren
Kreise, der sich ihr durch die Freundin erschlossen, wciter
zu verkehren, wie sie eS als die Seine nicht wohl können
würde?
Ja, der glänzende Schimmer, die Vornehmheit des
äußeren Wesens, der Klingklang von Namen und Titeln
hatten eS ihr angcthan!
Er meinte in dieser schmerzerfüllten Stunde hell-
sehend zu erkennen, daß sie, die er trotz der eben erfahrenen
Kränkung wie sein anderes Ich liebte, deren Gegenliebe er-
trotz allem zu fühlen glaubte, sich in den Netzen des
Scheins und der Eitelkeit verstrickt und gefangen habe.
Zugleich wurde ihm aber auch mit tiefem Weh klar, daß
er selbst außer stände sei, sie zur Umkehr von dem Pfade,
der sie verlockte, zu bestimmen.
Willibald suchte, von diesen peinlichen Gedanken be-
stürmt, die einsamsten Gassen auf und erreichte auf Um-
wegen seine Wohnung.
Als er hier anlangtc, war sein Entschluß gefaßt. Er-
kennte und wollte Hermine noch nicht aufgeben. So viel
er eS vermochte, wollte er ihr nahe bleiben, sie beobachten
und Einfluß auf sie zu gewinnen suchen. Vielleicht würde
cs ihm doch noch gelingen, sie aus den Kreisen, in die sie
ihrer Geburt nach nicht gehörte, wieder an sich und an
seine gediegenen bürgerlichen Verhältnisse zu fesseln.
Etwa eine halbe Stunde, nachdem Holzmüller das
Haus des Fabrikanten verlassen, betrat eS Klara von
Brabcck, nm, wie cs ihr die größte Freude bereitete, Her-
mine zu besuchen. Es war die gewöhnliche Zeit, um die
sie, nach einem Morgenspaziergangc mit der Mutter, vor-
zusprcchen pflegte.
Die Thür im Entresol, zu dem kleinen Wohnzimmer
der Hausfrau, stand angelehnt, und kaum erreichte Klara
die Treppe, so steckte die Kommerzieurätin ihr dickes Ge-
sicht, jetzt mit dem Ausdruck der Niedergeschlagenheit, aus
der Thür und winkte Klara zu sich her:
„Bitte, liebes Fräule, uf 'en Augeublickchc."
„Was wünschen Sic, liebe gnädige Frau?"
„Kommen Sie 'mal ein bißche herein, mein Kind."
Die Thür schloß sich hinter dem jungen Mädchen.
„Sie könne mir 'n furchtbare Gefalle thun, Fräulein
von Brabcck."
„Ist etwas Besonderes mit Hermine geschehen ?" fragte
Klara besorgt.
„Ja — und nein. Der Willibald Holzmüller hat
um sie angchaltc."
„Ah, so ist mein liebstes Herrche Braut!"
„Ne — ne, se will 'n ja net."
„Will ihn nicht?" Die Frage klang sehr erstaunt.
„Aber ich weiß doch seit langem, daß sie ihn liebt."
„Ich dacht'S auch," sagte die Mutter weinerlich, und
dann erzählte sie, was heute morgen geschehen, und daß
Hermine den Bewerber habe ablaufcn lassen.
„Aber ich begreife nicht —"
„Sic wird eS Ihne wohl sage, warum sie ihn mit 'en
mal nct mag. Und nu wollt' ich recht schön bitte, daß
Cie ihr ein bißche znrede thun. Sie gibt ja alles auf
gnädig Fränlc, Herr Holzmüller ist wirklich ein ganz gol-
diger Mensch, >vo nix dran auSzusctze is. Sie kann
kci' netteren Mann kriege. Er hat sie schon lange lieb,
ist Ehlermanns rechte Hand in der Fawrik, bekommt
'mal 'n schönes Vermöge und paßt so recht zu uns und
in unser Hans. Wenn Sie ihr zuredc, besinnt sic sich
vielleicht und nimmt ihn doch. Es wäre mir die größte
HerzenSsreud'."
Als Klara bei Hermine eintrat, saß Liese am Fenster,
hielt die Hände im Schoß gefaltet und starrte hinaus,
auf ihren Zügen lagen Verstimmung und Trotz. Sic
flog der Eintrctcnden entgegen: „O, wie ich mich nach
Dir gesehnt habe!"
„Herzchen, ich bitte Dich nm Gottes willen, weshalb
hast Du ihn abgewicsen?"
„Also, Du weißt schon —"
„Deine Mutter; sie ist sehr unglücklich und begreift
Dich nicht."
Hermine warf den Kopf zurück: „Möglich, aber ich
soll doch heiraten, nicht sic."
„Komm, mein Liebling, beruhige Dich und erzähle mir,
wie alles gekommen, und weshalb Du so merkwürdig
andern Sinnes geworden bist."
Klara hatte Len Arm um die Freuudiu gelegt, und
dann saßen sie wie gewöhnlich am Fenster einander gegen-
über.
Hermine gab so genau wie möglich ihre Unterredung
nut Willibald wieder. — Als der Bericht zu Ende war,
schüttelte die Freundin den Kopf und sagte:
feiten Ihrer jüngsten Fräulein Tochter für möglich, für
wahrscheinlich?" fragte er erstarrend.
Der Alte rieb sich die Hände, als wasche er sie in
Unschuld, dann kam etwas wie Rührung über ihn:
„Ich habe Sie immer wie einen Sohn geliebt, Willi-
bald. Ost schrieb ich Ihrem Vater: .Dein JnNge, werter
Freund, ist so recht ein Mensch nach meinem Herzen,
fleißig, streng rechtschaffen, von klarem Blick für das Ge-
schäftslebcn, kurz, ein junger Mann, dem ich mit Freuden
meine Angelegenheiten in die Hand lege/ Wie sollte ich
nun nicht wünschen. Sie ganz an mich zu fesseln?"
Der Bewerber wurde nicht klug aus dcö alten Herrn
wahrer Meinung. Daß auch bei ihm irgend ein Rück-
halt lauerte, daß nicht alles zwischen ihnen so klar und
sicher war wie früher, fühlte er mehr, als daß cs ihm
irgendwie ausgesprochen worden wäre. Er schied auö dem
kleinen Comptoir mit der Absicht, nun unentwegt vorzu-
gehen und sich unter keinen Umständen länger Hinhalten
zu lassen.
Um Mittag ging er in die Ehlermannsche Villa. Hier-
war er oft ein freudig empfangener Gast gewesen. Auf
die schlichte alte Dame und ihre gute Meinung für ihn
glaubte er fest rechnen zu können. Ihr Wesen gegen ihn
war immer unverändert geblieben. Wie oft hatte sic ihn
bei seinem Kommen angelacht und gesagt: „Heut hab' ich
Ihne ein LieblingSesse gekocht, gelt, das wird schmecke!"
Ja, die Mutter sollte ihn zu Hermine führen, auf
deren Fürsprache — wenn es doch etwas dergleichen be-
dürfen sollte — konnte er rechnen.
Die Kommerzieurätin empfing ihren jungen Freund
in einem kleinen, einfachen Zimmer dcö niedrigen Zwischen-
geschoßes, das eigentlich für die Dienerschaft bestimmt war.
In ihren vom Tapezier prächtig ausgestatteten Salons
hielt sie es nie lange aus. Hier hauste nur Isidore in
ihrer einsamen „Größe", wie sie selbst meinte, wenn sie
mit nie endender Bewunderung Möbel und Stoffe be-
trachtete und sich freute, dazu zu gehören.
„Wie hibsch, daß Se e'mal ganz extra zu mir komme,
mei goldiges Holzmüllerche," sagte die dicke Frau gütig:
„was verschafft mir denn die Ehr'?"
„Ich möchte eine große Bitte an Sic richten, Frau
Kommerzieurätin."
„Kommen Se, setzcn's sich zu mir und dann sagen's,
was Se wollen."
„Ein lange gehegter Herzenswunsch."
„Na, na, nur immer frisch weg; thnn Se sich nct so
ausrege!"
„Ich zähle auf Ihre Güte, Ihre freundliche Vermitt-
lung. — Sie wissen lange, daß ich Fräulein Hermine
liebe. Schon vor Jahresfrist schien mir unter uns allen
ein gewisses schweigendes Ucbercinkommen zu bestehen,
das meine Hoffnungen bestätigte. Jetzt mochte ich nun
endlich —"
„Ach, gehe Se, liebes Holzmüllerche, da müsse Sc doch
zu Ehlermann oder zur Hermine selbst —"
„Wenn Sie nun für mich bei Ihrer Tochter —"
„Ich? Na, meinetwegen nimmt Se das Mädche doch
net. Die hat ihren eig'nen Kopf — ganz ihren eig'ncn.
Ich, das wisse Sc Wohl, Holzmüller, ich habe nichts gegen
Sie. Mir wären Se der allerliebste, goldigste Schwieger-
sohn, den ich mir in der weiten Gotteöwelt denken könnt'.
Aber ich bin nicht das Mädche und Hermine ist längst
net wie ich. Ja, die ist apart, die will 'was Besonderes.
Heutzutage sind so die junge Dinger. Was soll man da-
gegen mache? Sie wachsen einem über den Kopf und
sie sind 'mal so."
Auch hier also Zweifel, Unvermögen, seine Wünsche zu
unterstützen. „Möchten Sie mich denn zu Fräulein
Hermine führen, verehrte Frau Kommerzieurätin?"
„Gewiß, alsmal — wird's beste sein! Die ist nct
blöde, die schenkt Ihne reine Wein ein. Kommen Sc
nur und mache Se kein so langes Gesicht, Holzmüllcrche.
Em Freier muß hübsch munter auf 'in Poste sein."
Sie watschelte ihm voran und er folgte, mit peinlichen
Empfindungen ringend.
Vor der hohen Flügelthür iin ersten Stock blieb sie
stehen, man hörte Isidore mit dem hölzernen Anschläge
der Anfängerin einen Galopp trommeln.
Die Mutter wandte sich um und sagte:
„Ich weiß nct, wie ich unser Dörche aus dem Salon
wegkrieg'. Das Kind ist ein bißchc neugierig, und alles
braucht se net zu wisse. Wcun Se sich eine Treppe höher
mit hinauf bemühe möchte, will ich Se in Hermines
eig'nes Stübche bringe."
Während die gute Frau in ihrer freundlichen Weise
weiter plauderte, gelangten sic in den zweiten Stock.
„Nu' warten Sc ein bißche, ich will doch erst schaue,
wie es da drinne aussieht."
Mit diesen Worten verschwand die Frau hinter dcr
nächsten Thür.
Nach ein paar Minuten, die Willibald eine Ewigkeit
dünkten, kam sie zurück, winkle ihm und sagte: „Kommen
Se als herein."
Hermine stand mitten in dem hübschen, zierlich aus-
gestatteten Raum. Sie war sehr rot, sah ihn aber ge-
rade und ehrlich an. Leise begann sie:
„Mutter sagt mir, daß Sic mich gern allein sprechen
möchten."
Illustrirte Welt.
Die alte Dame war hinter des Eingeführten Rücken
aus dem Zimmer verschwunden.
Hermine deutete auf einen ihrer rosaseidcnen Lehnsessel
und setzte sich auf den andern.
Er nahm Platz und hob mit bewegter Stimme an:
„Ich brauche Ihnen kaum zu sagen, Fräulein Ehlcrmann,
weshalb ich komme. Sie sind eine offene Natur und ich
bin es auch. Warum sollen wir unS mit nichtssagenden
Worten aufhalten? Seit den zwei Jahren, in welchen
ich hier, als einer der nächsten Hausfreunde, bei Ihren
Eltern verkehre, habe ich Sie mit immer wachsendem
Interesse beobachtet. Interesse ist vielleicht nicht daS
rechte, ausreichende Wort: es ist Zuneigung — Liebe —"
seine Stimme zitterte. „Ich glaubte lange und wage es
noch heute zu hoffen, — sonst würde ich nicht hier sein —
daß eine ähnliche Empfindung sich in Ihnen rege. Mit
ängstlicher Sorge meinte ich nun aber in der letzten Zeit
wahrzunehmcn, daß etwas zwischen unS getreten sei. Es
wäre ja möglich, daß ich Sie unwissentlich verletzt hätte,
daß es etwas unter uns auszugleichen gäbe. Ilm nun
endlich alle Zweifel zu lösen und unser Verhältnis wo-
möglich so zu befestigen, wie ich cs mir lange ersehne, bin
ich hier, Fräulein Hermine," er sprang leidenschaftlich be-
wegt empor und streckte ihr seine Rechte entgegen — „darf
ich hoffen, oder soll der schönste Traum meines Lebens zu
Ende sein?"
Sie stand ihm wie mit Blut übergossen und nieder-
geschlagenen Auges gegenüber. Seine auSgestreckte Hand
schien sie nicht zu sehen, vielleicht war es wirklich nicht
der Fall, sie drehte einen kleinen goldenen Reif mit blauem
Stein, den ihr Klara geschenkt, unablässig an ihrem
Finger rund um.
Eine peinliche Stille folgte auf seine Frage. Endlich
antwortete sie mit bebenden Lippen : „Es ist vielleicht ganz
gut, Herr Holzmüller, daß wir uns einmal ordentlich aus-
sprechen. So etwas Halbes und Unklares wie eS zwischen
uns war, ist mir auch gegen die Natur. Ich will Ihnen
ganz gewiß nichts vermachen, sondern aufrichtig sagen,
Ivie eS in mir auösieht und dann wollen wir, als zwei
gute Freunde und vernünftige Menschen, miteinander über-
legen, was am besten sein wird."
Sie bat ihn noch einmal, sich zu setzen, und begann
dann, fast in dem gewöhnlichen frischen Ton, mit dem sie
sonst sprach, ihm ihre Stimmung zu schildern. Wie un-
beschreiblich sie die Geselligkeit freue, wie schrecklich gern
sic tanze, wie wunderschön sie es finde, so jung und frei
zwischen allen den neuen Leuten und Eindrücken dahinzu-
gehen. Jeder Tag, den sie lebe, bringe ihr eine Fülle von
Glück und Abwechslung, und sie wolle augenblicklich gar
nichts anderes, als daö eine Weile ungestört genießen,
waö ihr jetzt beschiedcn sei.
„Ich möchte Sie gewiß nicht betrüben," fuhr sie herz-
lich fort. „Aber wie kann ich mich verloben, wenn ich
noch gar keine Lust dazu spüre? Machen Sie, bitte, kein
so unglückliches Gesicht. Ich sage ja durchaus nicht nein.
Ich habe Sic immer sehr gern gehabt und Ihnen daS
auch gezeigt, wie ich nun einmal nicht anders kann, abcr
heiraten möchte ich wirklich noch nicht."
Er war blaß geworden und hatte sich langsam erhoben.
„Ich fühle, Sie wollen mir nicht wehe thnn, und da-
für muß ich Ihnen dankbar sein. Aber zugleich fühle ich
auch, daß Sie mich nicht lieben, daß Ihre Freundlichkeit,
Ihr ganzes Verhalten gegen mich die Ursache eines Miß-
verständnisses geworden ist, das ich in diesem Augenblicke
bedaurc."
Sie erschrak: „O nein!" rief sie und hob die Hände
bittend in die Höhe, „alles, was ich gcthan oder gesagt,
habe ich gerade so gemeint. Ich will nicht nein sagen,
lassen Sie es nicht aus sein zwischen uns! Gönnen Sie
mir nur noch ein Jahr der Freiheit, des fröhlichen Ge-
nießenS meiner Mädchenzcit!"
Er verneigte sich steif: „Hoffentlich läßt mein warmes
Gefühl sich so lange mit der geringen Aussicht, die Sie
mir geben, hinsristeu, Fräulein Ehlermanu," damit verließ
er eiligen Schrittes, um die ihm schmerzliche Unterredung
zu beenden, das Zimmer.
Draußen stand er einen Augenblick still, nm sich zu
sammeln: er fand aber kaum Zeit, seine große Bewegung
nicderzukämpfen, schon erschien aus einem Seitengange die
Mutter, welche sich ihrem eigenwilligen Kinde gegenüber
so wenig cinzumischen gewagt, und sah mit teilnehmenden
und neugierigen Augen zu ihm auf.
„Na?" fragte die Frau eifrig, „wie ist sie gewcsc?
Wie ist die Geschichte abgclause?"
Er zuckte die Achseln, es war ihm ganz unmöglich,
eine Schilderung der eben stattgehabtcn Unterredung zu
geben, und er brachte nur unzusammcnhäugcnde Worte
hervor.
„Ach, mei Göttche, mei Göttche! Ich seh' schon, net
zum Beste," fuhr sie traurig fort, „ja, ja, ich sagt' cs
gleich, das Herrche läßt sich nct hisse und net locke, das
iS 'mal so! Aber —" wie Sonnenschein zog es über ihr
gutmütiges, rotes Gesicht, ihr kam ein Gedanke, ein tröst-
licher Einfall. „Es is noch net aller Tage Abend, ich
weiß, was ich thu'!"
Er vermochte nicht länger auf sie zu hören," sagte ihr
rasch Lebewohl und eilte die Treppe hinunter.
Sein ganzes Empfinden war schmerzlich aufgewühlt
! und verstört. Er gönnte ja einem so jungen, so fröh-
I lichen Wesen wie Hermine Ehlermann gewiß alle Lebens-
freuden. Es würde ihm nicht einfallen, seine Braut oder-
junge Frau wie eine Nonne zu halten. Er selbst war
hcitcr und gesellig geartet. Wenn das Mädchen sich ihm
nicht verbinden wollte, um mit ihm gemeinsam ihres
Lebens froh zn werden, so liebte sie ihn offenbar nicht.
Das fühlte er in seiner unzerstörbar heißen Neigung für
sie ganz deutlich.
Plötzlich schoß ihm der Argwohn, welchen er in Be-
ziehung auf ihren Vater gehegt, durch den Kopf Ent-
sprang ihre Weigerung aus Eitelkeit? War ihre Ab-
lehnung auS dem Wunsch entstanden, in jpnem vornehmeren
Kreise, der sich ihr durch die Freundin erschlossen, wciter
zu verkehren, wie sie eS als die Seine nicht wohl können
würde?
Ja, der glänzende Schimmer, die Vornehmheit des
äußeren Wesens, der Klingklang von Namen und Titeln
hatten eS ihr angcthan!
Er meinte in dieser schmerzerfüllten Stunde hell-
sehend zu erkennen, daß sie, die er trotz der eben erfahrenen
Kränkung wie sein anderes Ich liebte, deren Gegenliebe er-
trotz allem zu fühlen glaubte, sich in den Netzen des
Scheins und der Eitelkeit verstrickt und gefangen habe.
Zugleich wurde ihm aber auch mit tiefem Weh klar, daß
er selbst außer stände sei, sie zur Umkehr von dem Pfade,
der sie verlockte, zu bestimmen.
Willibald suchte, von diesen peinlichen Gedanken be-
stürmt, die einsamsten Gassen auf und erreichte auf Um-
wegen seine Wohnung.
Als er hier anlangtc, war sein Entschluß gefaßt. Er-
kennte und wollte Hermine noch nicht aufgeben. So viel
er eS vermochte, wollte er ihr nahe bleiben, sie beobachten
und Einfluß auf sie zu gewinnen suchen. Vielleicht würde
cs ihm doch noch gelingen, sie aus den Kreisen, in die sie
ihrer Geburt nach nicht gehörte, wieder an sich und an
seine gediegenen bürgerlichen Verhältnisse zu fesseln.
Etwa eine halbe Stunde, nachdem Holzmüller das
Haus des Fabrikanten verlassen, betrat eS Klara von
Brabcck, nm, wie cs ihr die größte Freude bereitete, Her-
mine zu besuchen. Es war die gewöhnliche Zeit, um die
sie, nach einem Morgenspaziergangc mit der Mutter, vor-
zusprcchen pflegte.
Die Thür im Entresol, zu dem kleinen Wohnzimmer
der Hausfrau, stand angelehnt, und kaum erreichte Klara
die Treppe, so steckte die Kommerzieurätin ihr dickes Ge-
sicht, jetzt mit dem Ausdruck der Niedergeschlagenheit, aus
der Thür und winkte Klara zu sich her:
„Bitte, liebes Fräule, uf 'en Augeublickchc."
„Was wünschen Sic, liebe gnädige Frau?"
„Kommen Sie 'mal ein bißche herein, mein Kind."
Die Thür schloß sich hinter dem jungen Mädchen.
„Sie könne mir 'n furchtbare Gefalle thun, Fräulein
von Brabcck."
„Ist etwas Besonderes mit Hermine geschehen ?" fragte
Klara besorgt.
„Ja — und nein. Der Willibald Holzmüller hat
um sie angchaltc."
„Ah, so ist mein liebstes Herrche Braut!"
„Ne — ne, se will 'n ja net."
„Will ihn nicht?" Die Frage klang sehr erstaunt.
„Aber ich weiß doch seit langem, daß sie ihn liebt."
„Ich dacht'S auch," sagte die Mutter weinerlich, und
dann erzählte sie, was heute morgen geschehen, und daß
Hermine den Bewerber habe ablaufcn lassen.
„Aber ich begreife nicht —"
„Sic wird eS Ihne wohl sage, warum sie ihn mit 'en
mal nct mag. Und nu wollt' ich recht schön bitte, daß
Cie ihr ein bißche znrede thun. Sie gibt ja alles auf
gnädig Fränlc, Herr Holzmüller ist wirklich ein ganz gol-
diger Mensch, >vo nix dran auSzusctze is. Sie kann
kci' netteren Mann kriege. Er hat sie schon lange lieb,
ist Ehlermanns rechte Hand in der Fawrik, bekommt
'mal 'n schönes Vermöge und paßt so recht zu uns und
in unser Hans. Wenn Sie ihr zuredc, besinnt sic sich
vielleicht und nimmt ihn doch. Es wäre mir die größte
HerzenSsreud'."
Als Klara bei Hermine eintrat, saß Liese am Fenster,
hielt die Hände im Schoß gefaltet und starrte hinaus,
auf ihren Zügen lagen Verstimmung und Trotz. Sic
flog der Eintrctcnden entgegen: „O, wie ich mich nach
Dir gesehnt habe!"
„Herzchen, ich bitte Dich nm Gottes willen, weshalb
hast Du ihn abgewicsen?"
„Also, Du weißt schon —"
„Deine Mutter; sie ist sehr unglücklich und begreift
Dich nicht."
Hermine warf den Kopf zurück: „Möglich, aber ich
soll doch heiraten, nicht sic."
„Komm, mein Liebling, beruhige Dich und erzähle mir,
wie alles gekommen, und weshalb Du so merkwürdig
andern Sinnes geworden bist."
Klara hatte Len Arm um die Freuudiu gelegt, und
dann saßen sie wie gewöhnlich am Fenster einander gegen-
über.
Hermine gab so genau wie möglich ihre Unterredung
nut Willibald wieder. — Als der Bericht zu Ende war,
schüttelte die Freundin den Kopf und sagte: