Illa strikte Welt.
71
Stiller Verkehr.
utter, kouimst du näher nur,
wenn kein drittes in der Nabe?
Bist du selber, selber hier,
wo an deinem Grab ich siebe?
Dein gedenk' ich immerdar.
Draußen auch und allerwege:
Dennoch drängt es, Jahr um Fahr,
Daß ich hier die Blumen pflege.
Schön're blüh'» wohl, ohne Zabl:
Keine lieb' ich, wie die deinen:
Die beim Scheiden jedesmal
Stil! mir nachzublicken scheinen.
Aus „Neue Gedichte" von Sigmund Schott. Stuttgart, Deutsche Verlags-
Ein höfischer Roman.
(Porträt S. 72.)
Vor kurzem erst haben wir an dieser Stelle Gelegenheit ge-
habt, das fünfundzwanzigjährige Regierungsjubiläum König Karts
von Rumänien zu feiern, und konnten dabei unserer Freude Aus-
druck geben, daß es endlich einmal einem der verschiedenen deutschen
FUrstenjöhne, deren Haupt das Schicksal nut einer Krone der
Balkanhalbinsel geschmückt hatte, gelungen war, sich in den Herzen
seiner Unterthanen einen sicheren Halt zu erringen, so daß er in
schönster Uebereinstimmung mit den Rumänen und getragen von
ihrer Liebe dieses seltene Fest begehen konnte. In der jüngsten
Vergangenheit nun drohte diesem schönen friedlichen Vcrhältnisse
Gefahr, und zwar von weiblicher Seite. Die Königin Elisabeth,
eine geborene Prinzessin von Wied, ist bekanntlich eine Dichterin
und hat unter dem poetischen Namen Carmen Sylva die Welt
schon mit manch reizender Gabe ihres bedeutenden Talentes
erfreut. Wie so viele dichterisch angelegte Naturen, versteht auch
sie es nicht, ihre poetischen Traumgebilde ganz von der Wirklich-
keit zu trennen, und so ist sie denn mit dieser letzteren kürzlich
arg in Konflikt geraten. Sie fühlte sich als Dichterin sehr zu
einer ihrer Hofdamen, Helene von Vacaresco, hingezogen, da das
junge Mädchen auch ein nicht unbedeutendes poetisches Talent
besaß. Ein Bändchen von ihr verfaßter Verse wurde vor einiger
Zeit seitens der französischen Akademie mit einem Preise gekrönt.
Ebenso ist sie eine eifrige Sammlerin von alten Volksliedern
ihres Heimatlandes. Namentlich ist es ihr gelungen, während
ihres mehrjährigen Aufenthaltes auf den im Thalc der Dimbo-
vitza gelegenen Gütern ihres Vaters, des früheren Polizeiprüfckten
von Bukarest und jetzigen rumänischen Gesandten in Wien, die
nur schwer zu bekommenden Lieder der dort lebenden Zigeuner
zu sammeln, die sich dem Besten an die Seite stellen, was wir
in dieser Dichtungsgattung besitzen. Carmen Sylva, der die
Bojarentochter ihre Sammlungen vorletzte, war entzückt über
den hohen poetischen Wert dieser Lieder, übertrug sic ins Deutsche
und ließ sie als „Lieder aus dem Dimbovitzathale", mit einem
Vorworte versehen, im Druck erscheinen. Die eifrige Sammlerin
aber erhob die Königin-Dichterin zu ihrer Lieblingsvorlcserin
und Teilnehmerin an ihren poetischen Arbeiten und Plänen.
Außer Carmen Sylva existirte jedoch noch eine Person am Hose,
welche an der romantischen und poetischen Bojarentochter großes
Gefallen fand, das war der fechsundzwanzigjährige Thronfolger,
Prinz Ferdinand von Hohenzollern. Er verliebte sich in die
Hofdame und bot ihr schließlich seine Hand. Die Königin war
entzückt über dieses Verhältnis und wurde die mächtige Beschützerin
und Bundesgenossin der Liebenden. Allein schon der Gedanke,
daß auf diese Weise einer Dichter-Königin eine andere Dichter-
Königin nachfolgen würde, begeisterte sie für dieses Eheprojekt,
und der gute König Karl konnte dem vereinten Ansturm von
Tante und Neffe nicht standhalten, er gab auch seine Einwilli-
gung. Da aber trat die strenge Dame Politik, die keinen
romantischen Anwandlungen zugänglich ist, mit ihrem kalten und
harten Veto dazwischen. Denn alle hervorragenden Staats-
männer des Landes, die der König in dieser Angelegenheit um
Rat fragte, sprachen sich ganz entschieden gegen diese Heirat aus,
und namentlich bekam die Königin dabei sehr wenig rücksichts-
volle und deutliche Aeußerungen zu hören, die ihr poetisches
Empfinden tief verletzten und einen krankhaft erregten Zustand
in ihr hervorriefen. Nach langem Widerstande fügte sich Prinz
Ferdinand dem an ihn gestellten Verlangen und trat nach einen,
schmerzlichen, thrüncn- und fchwürereichen Abschied von der Ge-
liebten eine Reise ins Ausland an, die ihn zunächst zu seinen
Eltern nach Sigmaringen führte, während Helene von Vacaresco
von der Königin dem Schauplatze ihres seligen Licbestraumes
entführt wurde. Ob dies nun der endgiltige Schluß des Romans
, oder nur der Schluß des ersten Teiles ist, das wird die Zukunft
lehren.
Der schlafende Wächter.
(Bild S. 73.)
Man soll einen Mann zu nichts machen, wozu er nicht taugt,
vor allem nie als Kindermädchen verwenden. Der Großvater
auf unseren. Bilde meint es gewiß aufs Beste nut l-mem Eickel-
chen. Trotzdem ist er eingeschlafen, und sein Genöße, der Spitz-
hund, thut unter der Bank dasselbe. Mittlerweile ist das Bübchen
in seiner Wiege wach geworden, hat sich in der Stube mn seinen
Hellen Augen umgesehen und dann fein sachte der Pfeife ve-
mächtigt, die dem nickenden Alten entfallen ist. Und man wird
doch ohne weiteres zugeben, daß der Bube noch Zeit hat, ehe er
zu rauchen beginnt! Aber das kommt alles davon, wenn man
die unrichtigen Leute zu so wichtigen Vertrauensstellungen zu-
läßt. Es ist ein Bildchen voll anmutigen und harmlo,cn Humors,
dieses allerliebste Genrebild I. Schlesingers, welches wir hlemit
in getreuer Reproduktion unseren Lesern und Freunden bieten.
N i q u e - A st.
Kriminal-Roman
von
Wevtfiokö.
(Fortsetzung.)
'MHM^nrch das geöffnete Fenster dcS ZimmcrS, in wcl-
chem Martha arbeitend saß, drang die laue
-st/ Frühlingönwrgcnluft und ihr Hauch schien etwas
Balsamisches und Berauschendes zu haben, denn
daS junge Mädchen war in so tiefe Träumereien ver-
sunken, daß sie nicht einmal auf lllka achtete, die wieder
zu ihren Füßen saß und eifrig arbeitete, bin und wieder
einen listigen, raschen Blick auf die junge Herrin werfend.
Wovon träumte Martha? Hätte man sie gefragt,
womit ihre Gedanken sich beschäftigten, so hätte sie viel
leicht behauptet, sie denke an Hedwig von Kvntala, in
Wirklichkeit aber dachte sie an deren Bruder. Die Scene
blieb ihr unvergeßlich, in der sie die Seligkeit empfunden
hatte, ihn, nach dem plötzlichen Schusse des Mordgesellen
unverletzt zu scheu. Es war ihr, als fahre sie wieder in
dem Wagen zusammen mit Hedwig und deren Bruder, alö
höre sie den Hufschlag der iu rasendstem Galopp dahin-
jagenden Pferde. . . vom GutShofe her ertönte Hufschlag.
Ulka sprang anS Fenster und rief:
„Der Herr Oberkontrollenr!"
Im nächsten Augenblick sprang, wie von einem elek-
trischen Schlage getroffen, Martha von ihrem Platze auf
und stand neben Ulka.
In der That, da war Kontala. Gin Knecht nahm
ihm die Zügel ab und der junge Mann schwang sich anS
dein Sattel.
Martha trat vom Fenster zurück, denn um alles iu der
Welt hätte sic sich iu diesem Augenblicke nicht von ihm
sehen lassen mögen. Weöhalb, wußte sie selbst nicht, aber
sie fühlte, wie ihr Gesicht glühte, als ob ihr die Adern in
den Schläfen springen wollten, sie fühlte, wie ihre Brust
wogte und arbeitete, sie fühlte ein Zittern iu ihrem Körper,
und nur undeutlich sah sic um sich herum die Gegenstände
im Zimmer.
Sie setzte sich wieder nieder, weil sie bemerkte, daß
Ulka fragend auf sic blickte. Aber so sehr sic sich auch
austreugtc, so sehr sie auch die Fiugcr zusammeupreßtc,
um die Nadel festzuhalten, diese zuckte bin uud her, daS
Zittern der Finger konnte Martha nicht überwinden, uud
es dauerte einige Zeit, bis sic entdeckte, daß auö ihren
Augen Thräncn tropften. Wenn sie nur gewußt hätte,
warum daS geschah?
Es wurde an die Thür geklopft.- Die alte Wirt-
schafterin kam und meldete, das gnädige Fräulein möchte
nach dem Besuchszimmer kommen, eS sei jemand da, der
sie zu sprechen wünsche.
Martha stand aus, und als sie die ersten Schritte
zu machen versuchte, kam es ihr vor, als werde es ihr
kaum gelingen, bis zur Thür zu gehen. Aber dann faßte
sie sich, fuhr sich mit dem Taschentuch über die Augen,
und folgte der Wirtschafterin bis nach dem Zimmer, in
welchem gewöhnlich die Mahlzeiten eingenommen wurden,
uud in welchem sic Otto von Kvntala neben ihrem Vater
sitzen sah.
Er sprang bei ihrem Eintritt auf uud trat ihr mit
ausgestrcckter Hand entgegen. Zögernd legte sic ihre
Rechte iu die seinige, uud daun hörte sic mit zu Boden
gesenkten Augen, wie er sagte:
„Ich freue mich herzlich, mein gnädiges Fräulein, Sie
wiederzusehen, und ich bin beauftragt worden, Ihnen die
aufrichtigsten Grüße und den Dank meiner Schwester zu
überbringen."
Martha antwortete nicht, denn ihre Kehle war wie
zugeschnült. Sie hob nur auf einen Augenblick die Augen-
lider, nnd ein dankbarer Blick traf den jungen Mann,
der ganz hingerissen schien von dem Zauber der Lieb-
lichkeit und Jungfräulichkeit, der über diesem jungen
Mädchen lag.
„Unser kleines Seelchen," sagte jetzt eine volle Stimme,
„ist noch immer verschüchtert und sehr erschreckt von den
Vorfällen der vergangenen Nacht."
Unwillkürlich sah Kontala nach der Richtung, ans der
die Stimme kam, und bemerkte Fenna, welche seitwärts
von Martha stand, und mit ihrer eigentümlichen, blenden-
den und doch kalten Schönheit unwillkürlich zu einem
Vergleich herausfordern mußte.
Femia näherte sich jetzt Martha, legte den Arm um
die Taille des Mädchens und zog dasselbe an sich. Im
nächsten Augenblicke fühlte Martha, Ivie ein elektrisches
Zucken durch ihren Körper ging, und auf ihrer Stiru
brannte etwas, wie ein glühendes Fencrmal. Femia hatte
die Stieftochter an sich gezogen und geküßt.
Unmittelbar darauf empfand Martha ein Gefühl der
Empörung und des Zornes, das ihr selbst unbegreiflich
schien. Aber dieses Gesühl trug dazu bei, ihr die nötige
Festigkeit und Haltung wiederzugeben, die sie von dem
Augenblicke an verloren hatte, als sie Kontala erblickte.
Als sie jetzt zu ihm aufsah, sah sic ihn lächeln,, wohl
über daS eigentümliche Bild, daS Martha in den Armen
FcmiaS bot. Dann sagte er:
„Sie sind also auch durch die Schüsse erschreckt
worden?"
„Allerdings!" sagte Fra» von Sembitzka, „wir sind
gestört worden, »och mehr aber unser kleiner Liebling hier,
welcher allerdings nicht gewöhnt ist, nachtS durch kriege-
rischen Lärm geweckt zu werden."
„ES handelte sich," sagte Kvntala, „mn etwas sehr
Wichtiges. Zwei meiner Leute behaupten iu der Nähe
Ihres ParkcS .Pique-Asst gesehen zu haben, und sic
haben Feuer auf die Erscheinung gegeben."
Ein lautes Lachen klang plötzlich durch den Raum,
ein Lachen, daö gar kein Ende nehmen zu wollen schien,
uud daS doch so eigentümlich, so hölzern klang. Frau
Femia schien von einer Lustigkeit ergriffen, gegen welche
sic sich kaum mehr sträuben konnte.
Diese Lustigkeit wirkte sehr verschieden auf die An-
wesenden. Sembitzki selbst lächelte, weil er sich jetzt dazu
berechtigt glaubte, während seine Frau lachte. Martha
war bestürzt uud Otto von Kvntala sah erstaunt auS.
„Sie verzeihen," sagte Femia endlich, „wenn ich so
ungezogen war, zu lachen, aber Sie glauben nicht, wie sehr
ich mich schon feit langer Zeit über daS Märchen von
Piguc-Aß amüsirc!"
„lieber daS Märchen?" fragte Kontala erstaunt.
„Gewiß, gewiß!" entgegnete eifrig Frau von Scm-
bitzka, „nichts als ein Märchen, ich versichere Sie! —
Ich hätte nicht geglaubt, daß Sie sich auch durch die Er-
findungsgabe unserer Leute täuschen lasten würden. Sic
glauben nicht, Ivie sehr bereit diese Menschen sind, zn
erfinden. Es liegt wohl in ihrem Natioualcharaktcr, daß
sie so viel Sinn für Erfindungen und Erdichtungen haben,
und so genügt denn eine Kleinigkeit, ein ganz geringer
Kern, nm eine Sage um denselben zu weben. Ich ver-
sichere Sie, ich glaube nicht an Pique-Aß, und die wirk
liehen Schmuggler auch nicht. Vielleicht ist cs ja den
Leuten ganz recht, wenn die Nichtcingewcihtcn an irgend
eine geheimnisvolle Persönlichkeit glauben, welche maskirl
und verkleidet, Ivie eine mysteriöse Macht die Unter-
nehmungen der Schmuggler leitet. Ich glaube nicht daran
und könnte Ihnen augenblicklich einen Gegenbeweis liefern,
Ivie leicht hier Sagen und Märchen entstehen. Sehen
Sic hinaus in diesen unschuldigen Park. Betrachten Sie
ihn genau uud sehen Sie, ob er wohl so aussieht, als
wandelten nachtS Gespenster unter seinen Bäumen? Und
doch knüpft sich an ihn eine düstere Sage, welche auch
hier uusern kleinen Liebling," — Frau Femia zog Martha
an sich, waS diese schaudernd duldete — „in solch furcht-
baren Schrecken gesetzt hat. Angeblich wandelt dort all-
nächtlich der Geist irgend eines früheren Schloßbcsitzcro
umher, uud ich versichere Sie, cS gibt auf dem Hofe eine
ganze Anzahl von Menschen, die bereit wären, zu beschwören,
daß sic in Wirklichkeit dieses Gespenst gesehen haben.
Offen gesagt, ist mir dieser Schloßgeist eine ganz an-
genehme Requisition, nnd ich habe noch gar nichts gethan,
um die Leute vou ihrem Glauben abzubringen, waS ja
auch vergeblich sein würde. Aber ich ziehe Vorteil anS
dieser Sage von dem Schloßgcist, denn cs wagt sich
niemand dcS NachtS in den Schloßpark, und so bin ich
wenigstens davor sicher, daß mein Gemüse, daß im Herbst
das Obst und die Baumanlagen nicht von Dieben heim-
gesucht werden. Nein, nein, ich versichere Sie, Herr
Ober-Grcnzkontrolleur, ich glaube nicht au das Märchen
vou Pique-Aß, und ich kann nur nochmals meiner Ver-
wunderung darüber Ausdruck geben, daß ein so nüchterner
und praktischer Alaun, wie Sie, an dieses Märchen
glaubt."
Femia hatte sich in solchen Eifer geredet, man sah es
ihr an, wie viel ihr daran lag, die Mythe von Pique-Aß
und der ganzen Organisation der Schmuggler zn zer-
stören, daß Martha sowohl wie Kvntala dies auffällig
finden mußten.
Sembitzki, der in seinem Rollstuhl saß und beständig
lächelte, als seine Frau so eifrig sprach, schien weniger
diesen übertriebenen Eifer herauszusindcn.
„Ich weiß nicht, was Sie veranlaßt, gnädige Frau,"
sagte Kontala, „so energisch die Existenz der geheimnis-
vollen Persönlichkeit abzustrciten, wenn cs nicht die Oppo-
sition ist, die in allen Damen und insbesondere in allen
geistvollen Damen steckt."
Er verbeugte sich vor Frau Femia, und diese drohte
ihm lächelnd mit dem Fiugcr.
„Ich null Ihnen einen Beweis liefern," sagte Kon-
tala, „den ich eigentlich znrückhalten sollte, weil er sich
fast auf ein Dienstgeheimnis bezieht. Indessen, um Sie
davon zu überzeugen, daß der Glaube an diese geheim-
nisvolle Persönlichkeit berechtigt ist, will ich es wagen.
Es war uns vor einigen Wochen gelungen, einen der
Schmuggler, welcher ziemlich tief eingeweiht schien, für
uns zu gewinnen, und da wir den Verkehr mit ihm sehr
vorsichtig betrieben, glaubten wir aus seiner Bekanntschaft
viel Vorteil ziehen zu können, aber eines Tages erhielt
er einen Brief, in dem sich nichts als eine Pique-Aß-
Karte, mit einem Zeichen versehen, befand. Diese geheim-
nisvolle Andeutung genügte ihm aber, um zu wissen, daß
er verraten sei. Das Zeichen, bestehend aus einem kleinen
Kreuz, Ivar mit schwarzer Tinte in eine der Ecken der
71
Stiller Verkehr.
utter, kouimst du näher nur,
wenn kein drittes in der Nabe?
Bist du selber, selber hier,
wo an deinem Grab ich siebe?
Dein gedenk' ich immerdar.
Draußen auch und allerwege:
Dennoch drängt es, Jahr um Fahr,
Daß ich hier die Blumen pflege.
Schön're blüh'» wohl, ohne Zabl:
Keine lieb' ich, wie die deinen:
Die beim Scheiden jedesmal
Stil! mir nachzublicken scheinen.
Aus „Neue Gedichte" von Sigmund Schott. Stuttgart, Deutsche Verlags-
Ein höfischer Roman.
(Porträt S. 72.)
Vor kurzem erst haben wir an dieser Stelle Gelegenheit ge-
habt, das fünfundzwanzigjährige Regierungsjubiläum König Karts
von Rumänien zu feiern, und konnten dabei unserer Freude Aus-
druck geben, daß es endlich einmal einem der verschiedenen deutschen
FUrstenjöhne, deren Haupt das Schicksal nut einer Krone der
Balkanhalbinsel geschmückt hatte, gelungen war, sich in den Herzen
seiner Unterthanen einen sicheren Halt zu erringen, so daß er in
schönster Uebereinstimmung mit den Rumänen und getragen von
ihrer Liebe dieses seltene Fest begehen konnte. In der jüngsten
Vergangenheit nun drohte diesem schönen friedlichen Vcrhältnisse
Gefahr, und zwar von weiblicher Seite. Die Königin Elisabeth,
eine geborene Prinzessin von Wied, ist bekanntlich eine Dichterin
und hat unter dem poetischen Namen Carmen Sylva die Welt
schon mit manch reizender Gabe ihres bedeutenden Talentes
erfreut. Wie so viele dichterisch angelegte Naturen, versteht auch
sie es nicht, ihre poetischen Traumgebilde ganz von der Wirklich-
keit zu trennen, und so ist sie denn mit dieser letzteren kürzlich
arg in Konflikt geraten. Sie fühlte sich als Dichterin sehr zu
einer ihrer Hofdamen, Helene von Vacaresco, hingezogen, da das
junge Mädchen auch ein nicht unbedeutendes poetisches Talent
besaß. Ein Bändchen von ihr verfaßter Verse wurde vor einiger
Zeit seitens der französischen Akademie mit einem Preise gekrönt.
Ebenso ist sie eine eifrige Sammlerin von alten Volksliedern
ihres Heimatlandes. Namentlich ist es ihr gelungen, während
ihres mehrjährigen Aufenthaltes auf den im Thalc der Dimbo-
vitza gelegenen Gütern ihres Vaters, des früheren Polizeiprüfckten
von Bukarest und jetzigen rumänischen Gesandten in Wien, die
nur schwer zu bekommenden Lieder der dort lebenden Zigeuner
zu sammeln, die sich dem Besten an die Seite stellen, was wir
in dieser Dichtungsgattung besitzen. Carmen Sylva, der die
Bojarentochter ihre Sammlungen vorletzte, war entzückt über
den hohen poetischen Wert dieser Lieder, übertrug sic ins Deutsche
und ließ sie als „Lieder aus dem Dimbovitzathale", mit einem
Vorworte versehen, im Druck erscheinen. Die eifrige Sammlerin
aber erhob die Königin-Dichterin zu ihrer Lieblingsvorlcserin
und Teilnehmerin an ihren poetischen Arbeiten und Plänen.
Außer Carmen Sylva existirte jedoch noch eine Person am Hose,
welche an der romantischen und poetischen Bojarentochter großes
Gefallen fand, das war der fechsundzwanzigjährige Thronfolger,
Prinz Ferdinand von Hohenzollern. Er verliebte sich in die
Hofdame und bot ihr schließlich seine Hand. Die Königin war
entzückt über dieses Verhältnis und wurde die mächtige Beschützerin
und Bundesgenossin der Liebenden. Allein schon der Gedanke,
daß auf diese Weise einer Dichter-Königin eine andere Dichter-
Königin nachfolgen würde, begeisterte sie für dieses Eheprojekt,
und der gute König Karl konnte dem vereinten Ansturm von
Tante und Neffe nicht standhalten, er gab auch seine Einwilli-
gung. Da aber trat die strenge Dame Politik, die keinen
romantischen Anwandlungen zugänglich ist, mit ihrem kalten und
harten Veto dazwischen. Denn alle hervorragenden Staats-
männer des Landes, die der König in dieser Angelegenheit um
Rat fragte, sprachen sich ganz entschieden gegen diese Heirat aus,
und namentlich bekam die Königin dabei sehr wenig rücksichts-
volle und deutliche Aeußerungen zu hören, die ihr poetisches
Empfinden tief verletzten und einen krankhaft erregten Zustand
in ihr hervorriefen. Nach langem Widerstande fügte sich Prinz
Ferdinand dem an ihn gestellten Verlangen und trat nach einen,
schmerzlichen, thrüncn- und fchwürereichen Abschied von der Ge-
liebten eine Reise ins Ausland an, die ihn zunächst zu seinen
Eltern nach Sigmaringen führte, während Helene von Vacaresco
von der Königin dem Schauplatze ihres seligen Licbestraumes
entführt wurde. Ob dies nun der endgiltige Schluß des Romans
, oder nur der Schluß des ersten Teiles ist, das wird die Zukunft
lehren.
Der schlafende Wächter.
(Bild S. 73.)
Man soll einen Mann zu nichts machen, wozu er nicht taugt,
vor allem nie als Kindermädchen verwenden. Der Großvater
auf unseren. Bilde meint es gewiß aufs Beste nut l-mem Eickel-
chen. Trotzdem ist er eingeschlafen, und sein Genöße, der Spitz-
hund, thut unter der Bank dasselbe. Mittlerweile ist das Bübchen
in seiner Wiege wach geworden, hat sich in der Stube mn seinen
Hellen Augen umgesehen und dann fein sachte der Pfeife ve-
mächtigt, die dem nickenden Alten entfallen ist. Und man wird
doch ohne weiteres zugeben, daß der Bube noch Zeit hat, ehe er
zu rauchen beginnt! Aber das kommt alles davon, wenn man
die unrichtigen Leute zu so wichtigen Vertrauensstellungen zu-
läßt. Es ist ein Bildchen voll anmutigen und harmlo,cn Humors,
dieses allerliebste Genrebild I. Schlesingers, welches wir hlemit
in getreuer Reproduktion unseren Lesern und Freunden bieten.
N i q u e - A st.
Kriminal-Roman
von
Wevtfiokö.
(Fortsetzung.)
'MHM^nrch das geöffnete Fenster dcS ZimmcrS, in wcl-
chem Martha arbeitend saß, drang die laue
-st/ Frühlingönwrgcnluft und ihr Hauch schien etwas
Balsamisches und Berauschendes zu haben, denn
daS junge Mädchen war in so tiefe Träumereien ver-
sunken, daß sie nicht einmal auf lllka achtete, die wieder
zu ihren Füßen saß und eifrig arbeitete, bin und wieder
einen listigen, raschen Blick auf die junge Herrin werfend.
Wovon träumte Martha? Hätte man sie gefragt,
womit ihre Gedanken sich beschäftigten, so hätte sie viel
leicht behauptet, sie denke an Hedwig von Kvntala, in
Wirklichkeit aber dachte sie an deren Bruder. Die Scene
blieb ihr unvergeßlich, in der sie die Seligkeit empfunden
hatte, ihn, nach dem plötzlichen Schusse des Mordgesellen
unverletzt zu scheu. Es war ihr, als fahre sie wieder in
dem Wagen zusammen mit Hedwig und deren Bruder, alö
höre sie den Hufschlag der iu rasendstem Galopp dahin-
jagenden Pferde. . . vom GutShofe her ertönte Hufschlag.
Ulka sprang anS Fenster und rief:
„Der Herr Oberkontrollenr!"
Im nächsten Augenblick sprang, wie von einem elek-
trischen Schlage getroffen, Martha von ihrem Platze auf
und stand neben Ulka.
In der That, da war Kontala. Gin Knecht nahm
ihm die Zügel ab und der junge Mann schwang sich anS
dein Sattel.
Martha trat vom Fenster zurück, denn um alles iu der
Welt hätte sic sich iu diesem Augenblicke nicht von ihm
sehen lassen mögen. Weöhalb, wußte sie selbst nicht, aber
sie fühlte, wie ihr Gesicht glühte, als ob ihr die Adern in
den Schläfen springen wollten, sie fühlte, wie ihre Brust
wogte und arbeitete, sie fühlte ein Zittern iu ihrem Körper,
und nur undeutlich sah sic um sich herum die Gegenstände
im Zimmer.
Sie setzte sich wieder nieder, weil sie bemerkte, daß
Ulka fragend auf sic blickte. Aber so sehr sic sich auch
austreugtc, so sehr sie auch die Fiugcr zusammeupreßtc,
um die Nadel festzuhalten, diese zuckte bin uud her, daS
Zittern der Finger konnte Martha nicht überwinden, uud
es dauerte einige Zeit, bis sic entdeckte, daß auö ihren
Augen Thräncn tropften. Wenn sie nur gewußt hätte,
warum daS geschah?
Es wurde an die Thür geklopft.- Die alte Wirt-
schafterin kam und meldete, das gnädige Fräulein möchte
nach dem Besuchszimmer kommen, eS sei jemand da, der
sie zu sprechen wünsche.
Martha stand aus, und als sie die ersten Schritte
zu machen versuchte, kam es ihr vor, als werde es ihr
kaum gelingen, bis zur Thür zu gehen. Aber dann faßte
sie sich, fuhr sich mit dem Taschentuch über die Augen,
und folgte der Wirtschafterin bis nach dem Zimmer, in
welchem gewöhnlich die Mahlzeiten eingenommen wurden,
uud in welchem sic Otto von Kvntala neben ihrem Vater
sitzen sah.
Er sprang bei ihrem Eintritt auf uud trat ihr mit
ausgestrcckter Hand entgegen. Zögernd legte sic ihre
Rechte iu die seinige, uud daun hörte sic mit zu Boden
gesenkten Augen, wie er sagte:
„Ich freue mich herzlich, mein gnädiges Fräulein, Sie
wiederzusehen, und ich bin beauftragt worden, Ihnen die
aufrichtigsten Grüße und den Dank meiner Schwester zu
überbringen."
Martha antwortete nicht, denn ihre Kehle war wie
zugeschnült. Sie hob nur auf einen Augenblick die Augen-
lider, nnd ein dankbarer Blick traf den jungen Mann,
der ganz hingerissen schien von dem Zauber der Lieb-
lichkeit und Jungfräulichkeit, der über diesem jungen
Mädchen lag.
„Unser kleines Seelchen," sagte jetzt eine volle Stimme,
„ist noch immer verschüchtert und sehr erschreckt von den
Vorfällen der vergangenen Nacht."
Unwillkürlich sah Kontala nach der Richtung, ans der
die Stimme kam, und bemerkte Fenna, welche seitwärts
von Martha stand, und mit ihrer eigentümlichen, blenden-
den und doch kalten Schönheit unwillkürlich zu einem
Vergleich herausfordern mußte.
Femia näherte sich jetzt Martha, legte den Arm um
die Taille des Mädchens und zog dasselbe an sich. Im
nächsten Augenblicke fühlte Martha, Ivie ein elektrisches
Zucken durch ihren Körper ging, und auf ihrer Stiru
brannte etwas, wie ein glühendes Fencrmal. Femia hatte
die Stieftochter an sich gezogen und geküßt.
Unmittelbar darauf empfand Martha ein Gefühl der
Empörung und des Zornes, das ihr selbst unbegreiflich
schien. Aber dieses Gesühl trug dazu bei, ihr die nötige
Festigkeit und Haltung wiederzugeben, die sie von dem
Augenblicke an verloren hatte, als sie Kontala erblickte.
Als sie jetzt zu ihm aufsah, sah sic ihn lächeln,, wohl
über daS eigentümliche Bild, daS Martha in den Armen
FcmiaS bot. Dann sagte er:
„Sie sind also auch durch die Schüsse erschreckt
worden?"
„Allerdings!" sagte Fra» von Sembitzka, „wir sind
gestört worden, »och mehr aber unser kleiner Liebling hier,
welcher allerdings nicht gewöhnt ist, nachtS durch kriege-
rischen Lärm geweckt zu werden."
„ES handelte sich," sagte Kvntala, „mn etwas sehr
Wichtiges. Zwei meiner Leute behaupten iu der Nähe
Ihres ParkcS .Pique-Asst gesehen zu haben, und sic
haben Feuer auf die Erscheinung gegeben."
Ein lautes Lachen klang plötzlich durch den Raum,
ein Lachen, daö gar kein Ende nehmen zu wollen schien,
uud daS doch so eigentümlich, so hölzern klang. Frau
Femia schien von einer Lustigkeit ergriffen, gegen welche
sic sich kaum mehr sträuben konnte.
Diese Lustigkeit wirkte sehr verschieden auf die An-
wesenden. Sembitzki selbst lächelte, weil er sich jetzt dazu
berechtigt glaubte, während seine Frau lachte. Martha
war bestürzt uud Otto von Kvntala sah erstaunt auS.
„Sie verzeihen," sagte Femia endlich, „wenn ich so
ungezogen war, zu lachen, aber Sie glauben nicht, wie sehr
ich mich schon feit langer Zeit über daS Märchen von
Piguc-Aß amüsirc!"
„lieber daS Märchen?" fragte Kontala erstaunt.
„Gewiß, gewiß!" entgegnete eifrig Frau von Scm-
bitzka, „nichts als ein Märchen, ich versichere Sie! —
Ich hätte nicht geglaubt, daß Sie sich auch durch die Er-
findungsgabe unserer Leute täuschen lasten würden. Sic
glauben nicht, Ivie sehr bereit diese Menschen sind, zn
erfinden. Es liegt wohl in ihrem Natioualcharaktcr, daß
sie so viel Sinn für Erfindungen und Erdichtungen haben,
und so genügt denn eine Kleinigkeit, ein ganz geringer
Kern, nm eine Sage um denselben zu weben. Ich ver-
sichere Sie, ich glaube nicht an Pique-Aß, und die wirk
liehen Schmuggler auch nicht. Vielleicht ist cs ja den
Leuten ganz recht, wenn die Nichtcingewcihtcn an irgend
eine geheimnisvolle Persönlichkeit glauben, welche maskirl
und verkleidet, Ivie eine mysteriöse Macht die Unter-
nehmungen der Schmuggler leitet. Ich glaube nicht daran
und könnte Ihnen augenblicklich einen Gegenbeweis liefern,
Ivie leicht hier Sagen und Märchen entstehen. Sehen
Sic hinaus in diesen unschuldigen Park. Betrachten Sie
ihn genau uud sehen Sie, ob er wohl so aussieht, als
wandelten nachtS Gespenster unter seinen Bäumen? Und
doch knüpft sich an ihn eine düstere Sage, welche auch
hier uusern kleinen Liebling," — Frau Femia zog Martha
an sich, waS diese schaudernd duldete — „in solch furcht-
baren Schrecken gesetzt hat. Angeblich wandelt dort all-
nächtlich der Geist irgend eines früheren Schloßbcsitzcro
umher, uud ich versichere Sie, cS gibt auf dem Hofe eine
ganze Anzahl von Menschen, die bereit wären, zu beschwören,
daß sic in Wirklichkeit dieses Gespenst gesehen haben.
Offen gesagt, ist mir dieser Schloßgeist eine ganz an-
genehme Requisition, nnd ich habe noch gar nichts gethan,
um die Leute vou ihrem Glauben abzubringen, waS ja
auch vergeblich sein würde. Aber ich ziehe Vorteil anS
dieser Sage von dem Schloßgcist, denn cs wagt sich
niemand dcS NachtS in den Schloßpark, und so bin ich
wenigstens davor sicher, daß mein Gemüse, daß im Herbst
das Obst und die Baumanlagen nicht von Dieben heim-
gesucht werden. Nein, nein, ich versichere Sie, Herr
Ober-Grcnzkontrolleur, ich glaube nicht au das Märchen
vou Pique-Aß, und ich kann nur nochmals meiner Ver-
wunderung darüber Ausdruck geben, daß ein so nüchterner
und praktischer Alaun, wie Sie, an dieses Märchen
glaubt."
Femia hatte sich in solchen Eifer geredet, man sah es
ihr an, wie viel ihr daran lag, die Mythe von Pique-Aß
und der ganzen Organisation der Schmuggler zn zer-
stören, daß Martha sowohl wie Kvntala dies auffällig
finden mußten.
Sembitzki, der in seinem Rollstuhl saß und beständig
lächelte, als seine Frau so eifrig sprach, schien weniger
diesen übertriebenen Eifer herauszusindcn.
„Ich weiß nicht, was Sie veranlaßt, gnädige Frau,"
sagte Kontala, „so energisch die Existenz der geheimnis-
vollen Persönlichkeit abzustrciten, wenn cs nicht die Oppo-
sition ist, die in allen Damen und insbesondere in allen
geistvollen Damen steckt."
Er verbeugte sich vor Frau Femia, und diese drohte
ihm lächelnd mit dem Fiugcr.
„Ich null Ihnen einen Beweis liefern," sagte Kon-
tala, „den ich eigentlich znrückhalten sollte, weil er sich
fast auf ein Dienstgeheimnis bezieht. Indessen, um Sie
davon zu überzeugen, daß der Glaube an diese geheim-
nisvolle Persönlichkeit berechtigt ist, will ich es wagen.
Es war uns vor einigen Wochen gelungen, einen der
Schmuggler, welcher ziemlich tief eingeweiht schien, für
uns zu gewinnen, und da wir den Verkehr mit ihm sehr
vorsichtig betrieben, glaubten wir aus seiner Bekanntschaft
viel Vorteil ziehen zu können, aber eines Tages erhielt
er einen Brief, in dem sich nichts als eine Pique-Aß-
Karte, mit einem Zeichen versehen, befand. Diese geheim-
nisvolle Andeutung genügte ihm aber, um zu wissen, daß
er verraten sei. Das Zeichen, bestehend aus einem kleinen
Kreuz, Ivar mit schwarzer Tinte in eine der Ecken der