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Herren regte sich die Hoffnung, vier Männer würden jetzt
ein Pianino hereintragen, er hatte ein verdächtiges Stampfen
und Trappeln draußen gehört und er so wie alle die
Seinen deuteten sich dies Geräusch günstig.
Aber nur der, welcher manchmal sein neugieriges Ge-
sicht um die Ecke gesteckt hatte, erschien im Thürrahmen
und übergab dem Führer der Deputation ein leicht ver-
hülltes Etwas.
Der Sprecher schritt mit trinmphirendem Lächeln auf
Eimke zu, lüftete das Tuch, welches den Gegenstand in
seiner Hand lose verhüllte und überreichte dem Jubilar
unter einigen passenden Worten einen silbernen Ehrenbecher.
Verwirrt, vom Glanz des hübschen Schaustücks ge-
blendet, im Grunde seines Herzens aber bitterlich enttäuscht,
begann der Gefeierte eben seinen Dank zu stammeln, als
junge Stimmen draußen anhobcn, einen GesangbuchverS
abzusingen. Das war also jenes verheißungsvolle Trappeln
gewesen. Die Knaben aus Eimkes Klasse wollten auch
ihren alten Lehrer ehren und sangen ihm ein ernstes Lied.
Allgemeines Glückwünschen schloß sich an, gerührtes
Danken und Händeschütteln folgte, dann war die Feier-
lichkeit vorüber und Eimkes mit ihren nächsten Ange-
hörigen befanden sich wieder allein.
Frau Eimke stand neben Lisette und wog den Becher
in ihrer Hand. „Gelt hibsch thut er als anssehe? net
wahr, mein goldiges Lisettche? E. Glasglöckche werden
wir sür'n kaufe müsse. E rechte Ehr ist's wohl, aber
mei' Alter hätt so herzensgern sei Klavier gehatt. Zu-
sammespare' können mer's net. Se wollen als mei Alten
in'nen wohlverdienten Ruhestand setze," fügte sie, mit
Thränen kämpfend, hinzu.
Bald gingen Eimkes mit ihren Angehörigen wieder
in die nach rückwärts gelegenen Räume. Frau Eimke
meinte, ihr liebes Kindche ruhe sich wohl gern noch etwas
in dem früheren Stüble aus und schloß die Thür hinter
dem jungen Paare.
Die zart empfindende Alte hatte Liscttens Herzens-
bedürfnis erkannt. Als die junge Frau mit ihrem Manne
allein war, warf sie sich an seine Brust und sagte: „O,
mein Rudi, welch' schwere Stunden habe ich hier in diesem
Zimmer durchlitten."
„Auch ich habe hier, an jenem Tage nach Weihnachten
die trostlosesten Augenblicke meines Lebens ausgestandcn,"
erwiderte Rudi ernst. „Wir haben alle beide unter den
strengen Ansprüchen äußerlichen Wesens geseufzt, sind
einem Götzen der Welt geopfert, dem, wenn ich nicht irre,
eben vor unseren Augen wieder gehuldigt worden ist.
Deine alten Freunde hätten so gern ihr Instrument
gehabt. Man hätte es ihnen vielleicht für eine nur etwas
höhere Summe, als was jenes unnütze Prunkstück gekostet
hat, schaffen können, aber die Ueberreichung eines BecherS
ist nun einmal das Uebliche, die äußere Form, das Opfer,
welches man dem Scheine darbringcn muß. Die Ab-
weichung fordert ja Selbstdenken, einen neuen Weg ein-
schlagen, der Wahrheit nachgehen, und dazu ist vermutlich
diese ganze gelehrte Deputation nicht im stände."
Lisette zog ihren Mann neben sich aui das Sofa.
Sie sah ihn bittend, lächelnd, fast verlegen an. „Ich habe
einen Wunsch," flüsterte sie, „den ich aber kaum auszu-
sprechen wage."
„Es würde mich sehr freuen, Geliebte, Dir einen
Wunsch zu erfüllen."
„Eimkes sind immer meine treuesten Freunde gewesen.
Fritz hat mich an jenem schrecklichen Lchlvesterabend vor
dem Allerschlimmsten bewahrt, nichts würde mir eine so
große Freude bereiten, als wenn wir Eimkes ein Pianino
schenken könnten."
Rudi sann einen Augenblick nach: „Ich bin dazn
bereit, mein Liebling, aber wir müssen dann auf eine
weitere Hochzeitsreise verzichten. Ich wende das Geld,
was mir mein Vater zur Reise gegeben hat, für das In-
strument an und wir kehren in zwei Tagen nach Eisenach
zurück. Bist Du damit einverstanden? Du weißt, wir
sind nicht so reich, um unbeschränkt ausgeben zu können."
„Glaubst Du, daß Deine Eltern cS übel nehmen
würden?"
„Nein, gewiß nicht, sie werden sich freuen, wenn wir
recht bald wieder bei ihnen sind."
„Nun, mein Rudi, so laß es uns thun und tausend
dank, daß Du willst!" Sie umarmte ihn und küßte ihn
herzlich. Dann kamen sie überein, daß sie eigentlich gar
kein Opfer bringen würden, da cs doch zu Hause in ihrer
kleinen Wohnung am allerschönsten sein werde.
Von der Jahnstraße gingen Schirmers zu Aurelie
von Rosenfeld. Lisette hatte brieflich schon erfahren, daß
der Freiherr vo'n Kreß in fluchtartigem Aufbruch mit seiner
Tante abgereist und gar nicht wieder nach Frankfurt
gekommen sei. Wenige Wochen nachher hatten gedruckte
Anzeigen den hiesigen Bekannten seine Verlobung mit
Fräulein Anna von Blum mitgeteilt. Auch Lisette hatte
eine solche Karte und bald darauf die Vermählungskunde
erhalten.
Sein Haus hatte Frau von Rosenfeld erworben —
wie preiswürdig es geschehen war, liebte sie nicht zu er-
wähnen. Seitdem suchte sie nach einem ihr zusagenden
Mieter für die unteren Räume, hatte aber noch keinen
gefunden.
Lisette betrat unter Zagen die Wohnung der Baronin.
Illustrirte Welt.
Die junge Frau erinnerte sich mit peinlichen Gefühlen
der höchst ungleichen Behandlung, die ihr hier zuteil
geworden war, sie hatte die kluge Aurelie fürchten gelernt.
Es bestand aber ein so altes Dankbarkeitsverhältnis, daß
Lisette jetzt nicht anders konnte, als mit ihrem Mann der
früheren Wohlthäterin einen Besuch abzustatten.
Lisette fand Fran von Rosenfeld sehr verändert: kam
sie ihr auch mit offenen Armen und einem großen Wort-
schwall von Glückwünschen entgegen, so hatte die junge
Frau doch den Eindruck als sei ihre schöne Taute merklich
gealtert und von mürrisch unzufriedener Lanne. Sie
sprach naserümpfend von „der perfiden Undankbarkeit
mancher Menschen", von der „Nichtswürdigkeit herzloser
Schwächlinge", und deutete, ohne Kreß Namen zu nennen,
vielleicht unbewußt, mehrfach auf ihn und ihre Trennung hin.
Das junge Paar freute sich, als es dem Hause der
verdrießlichen Frau den Rücken wenden konnte.
Nachdem sie noch bei der Doktorin Lippold und der
Gräfin Seleki gewesen waren und andere Bekannte aus
gesucht hatten, gingen sie, ein bescheidenes Instrument für
Eimkes zu kaufen und dasselbe zum nächsten Morgen
nach der Jahnstraße zu bestellen.
Welch eine große Freude gewährte andern Tages das
Geben und Nehmen! Endlich wurde das Pianino an
den oft ausgemessenen Platz gestellt, Rudi Schirmer und
Fritz Eimke ließen sich nicht hindern, eS selbst zurecht zu
rücken. Unter diesen schlichten Leuten fühlte Rudi sich ganz zu
Hause. Und dann setzte, mit Thränen der Freude in den
Augen, der alte Lehrer sich an das ersehnte Instrument,
daS seinen Lebensabend erheitern und beleben sollte und
gab die Melodie an: „Nun danket alle Gott!" in die
alle Anwesenden kräftig singend einstimmten.
Als Rudolf Schirmer mit seiner Frau das Haus ver-
ließ, war'S nicht sie, die ihm dankte, sondern er, der sagte:
„Das war so viel Freude auf unserer Hochzeitsreise, mein
Pnßchen, wie wir aus keine andere Art hätten genießen
können!"
-X-
Zehn Jahre sind setzt verstrichen.
Hermine lebt noch immer im Hause der Eltern, sie
hat in gemeinnütziger Thätigkeit ihre Befriedigung ge-
funden, steht mehreren Wohlthätigkeits-Anstalten vor und
ist stets beschäftigt. So oft der reichen und liebenswür-
digen Frau auch die Gelegenheit nahe getreten ist, sich
wieder zu verheiraten, so wenig hat sich in ihr die Neigung
dazu geregt. Sie hat zu Schweres erfahren und ihr
Leben ist ganz und befriedigend ausgefüllt.
Der Kommerzienrat, dessen Fabrik mit dem neuen
Teilhaber, Willibald Holzmüller, trefflich gedeiht, stellt
seiner Tochter Hermine die gleichen glänzenden Mittel
zur Verfügung, die Isidore von Brabeck, mit ihren acht
Kindern, rücksichtslos in Anspruch nimmt. Die Faniilie
der für das Gemeinwohl thätigen Witwe an Armen und
Hilflosen, ist noch größer als die der Schwester, und so
empfängt Hermine die reichen Gaben des VaterS mit
dankbarem Lächeln und der Ueberzeugung, daß alles gut
angewandt werden wird.
Hermines liebster Verkehr ist der mit Lippolds, der
menschenfreundliche Arzt gibt ihr manchen nützlichen
Fingerzeig und Klara ist mehr denn je die verkörperte
Güte und Liebe.
Aber nicht allein bei Lippolds fühlt Hermine sich dazu
gehörig und behaglich, auchp bei Holzmüllers ist sie ein
lieber Gast und die gern gesehene Tante. Sie hat sich
mit Frau Therese befreundet und eine gewisse alte Vor-
liebe, ein unzerreißbares'geschwisterliches Interesse besteht
fort zwischen ihr und dein guten Willi, dem rührigsten
Kaufmann und dein zärtlichsten HauSpapa, den cs
geben kann.
Mit ihrer Schwester Isidore verkehrt Hermine nicht
viel. Die Kinder sind ihr zu anspruchsvoll, zu unerzogen
und die ganze Wirtschaft ist ihr zu sehr auf den äußeren
Schein und hohles Vornehmthun eingerichtet. Nur die
gute Frau Ehlermaun erträgt diese häßlichen, unzufriedenen,
gierigen Enkelchen — alle der Mutter wie aus den Augen
geschnitten — und hat ihre Freude daran.
Naht sich Hermine mit kleinen Geschenken und scharen
sich die Acht um ihre freundliche Tante, wird Isidore
eifersüchtig, wie sie es früher so viel auf die Schwester
gewesen ist. Eigentlich überhebt sie sich aber in Mutter-
stolz über die Kinderlose und meint, daß sie ein Außer-
ordentliches für die Menschheit geleistet hat; ob ihre
Sprößlinge diesen Stolz rechtfertigen werden, muß die
Zukunft lehren.
Lewin lebt möglichst wenig mit seiner Familie; die Kin-
der, die alle der ungeliebten Fran ähnlich sehen, sind ihm
gleichgiltig und unbequem. „Kein einziger echter Brabeck,"
murrt er manchmal für sich. Es gibt immer noch Stunden,
in denen er nicht begreift, wie er sich hat entschließen
können, dies reizlose Weib sein zu nennen. Er weiß, daß
Isidore unbeliebt ist, daß seine Geldheirat offenkundig
für jedermann auf der Hand liegt und er fühlt sich von
dieser Thatsachc gedrückt und beschämt. Er hat sich von
dem Irrlicht, Emily Ethair, in den Sumpf locken lassen,
dies ist und bleibt der Fluch seines Lebens. Aber er ist i
großmütig und gerecht genug, Isidore nicht mit leiden zu s
lassen, er ist und bleibt ihr, wenn auch oft mit Selbst-
überwindung, ein rücksichtsvoller Gatte.
Regt sich in Lewin das Bedürfnis nach freundlichen
Eindrücken, sehnt er sich nach einem friedlich schönen
Familienkreise, so geht er zu seiner Schwester Klara, bei
der er alles findet, waS er in seinem eigenen Hause schmerz-
lich vermißt.
Seilie drei Brüder sind als tüchtige, unter liebevoller
Obhut herangewachsene junge Männer in den von ihnen
erwählten Beruf einqetrcten, betrachten aber noch immer
Lippolds Haus als ihre Heimat. Bruno, der junge Arzt,
bezeigt eine stets wachsende Neigung für das Stieftöch-
terchen seiner Schwester, das lieblich erblühende Mariechen
Lippold.
Die neunzehnjährige Else hat sich kürzlich mit einem
Freunde ihrer Brüder verlobt, aber Lippolds belebtes
HauS wird nicht leer werden, Klara hat ihrem Manne
auch drei Kinder geschenkt, die wohlbehütet von verständigen
Eltern, gesund und liebenswürdig aufwachsen.
Der Hanptgrundsah dieses trefflichen Hauses, von
beiden Gatten in gleicher Weise hochgehalten, ist der,
allem leeren Schein von ganzer Seele abhold zu sein und
nur schlichtes, wahres, einfaches Wesen immerdar als
das Höchste und Beste gelten zu lassen.
Bilder aus China.
(Bilder S. SS4 u. 3SS.1
Wiederholte bedrohliche Unruhen in China haben in neuester
Zeit wiederum unsere Augen auf das gewaltige Reich der Mitte
im fernen Ostasien gelenkt, um so mehr, als sich dabei der an-
geborene Haß des chinesischen Volkes gegen alles Ausländische,
namentlich auch gegen Las Christentum, gezeigt hat. Ohne
Zweifel ist der Aufruhr jedoch wieder einmal gegen die jetzt auf
dem Throne fitzende Dynastie gerichtet, da sie nicht chinesischen,
sondern tatarischen Ursprungs ist, und die Chinesen schon seit
langer Zeit den patriotischen Wunsch hegen, von einem ihrer
eigenen Standesgenossen regiert zu werden, obgleich die Herrscher-
familie in Sitte und allen Acußerlichkciten, auf die der Chinese
sehr großes Gewicht legt, ganz chinesisch geworden ist. Die
fanatischen Chinesen betrachten trotzdem noch immer die wirk-
lichen oder angeblichen Abkömmlinge der Dynastie Ming als
die rechtmüßigen Erben des Throns. Im Jahre 1644 entleibte
sich der letzte Herrscher der einheimischen Ming-Dynastie infolge
innerer Streitigkeiten und des Andringens der Mandschu und
die jetzige 22., diesem Volksstamme angehörige Dynastie bestieg
den Thron. In den ersten 150 Regierungsjahren der Dynastie
bis zum Tode Kien-Longs 1796, wo vier kraftvolle und ein-
sichtige Herrscher das Scepter führten, die alle die Länder er-
oberten, welche man heute als die von China abhängigen bezeichnet,
im Innern in Ordnung zu halten wußten und einzelne Auf-
stände mit Kraft und Härte unterdrückten, gestaltete sich das
Verhältnis der Fürsten zu dem Volke zu einem friedlichen. Mit
der Thronbesteigung Kia-kings, eines argwöhnischen, grausamen
und weichlichen Despoten, wurde die Lage der Dynastie nach
innen wie nach außen bedenklich. Ueberall hatte er mit Em-
pörungen zu kämpfen, und überall tauchten gebeime Gesellschaften
auf, die den ausgesprochenen Zweck verfolgten, die Mandschu-
Dynastie aus dem Lande zu treiben, so im Osten des Reiches,
im dichtbevölkerten Stromlande, der Geheimbund „der weißen
Wasserlilie". Der von ihm erregte Aufstand konnte erst nach
achtjährigem Bürgerkrieg niedergeworfen werden. Seitdem steht
aber die Geheimbündelei in China in Blüte und nirgends ist
mehr Neigung dazu vorhanden als gerade im himmlischen Reiche,
wo, wie man sagt, nicht fünf Leute zusammen sein können, ohne
einen Geheimbund zu gründen. So sind es auch heute wieder
geheime Gesellschaften, die an dem Throne rütteln, während jen-
seits der großen Mauer die tributpflichtigen Häuptlinge der
Mongolei sich gegen den chinesischen Kaiser empört haben. Von
jeher haben diese wilden Söhne der inner-asiatischen Wüste ver-
sucht, Einfälle in China zu machen, wenn dieses von schwachen
Regenten beherrscht wurde. Der jetzige Kaiser führt den Thron-
namen Kuang-Su, das heißt „berühmte Nachfolge". Vor seiuer
Thronbesteigung im Jahre 1875 hieß er Tsai-tien. Er war
damals erst vier Jahre alt und übernahm die Herrschaft daher
thatsüchlich erst 1887. Im Jahre 1889 fand mit großartigem
Pompe seine Vermählung mit der Kaiserin statt, die der Sitte
gemäß aus den vornehmsten Töchtern des Landes als die würdigste
ausgewählt wurde. Die eigentliche Gewalt hat der Vizekönig
und Premierminister Li-Hung-Chang, der frühere Vormund des
Kaisers, in den Händen. Durch sein eigentümliches und uner-
klärliches Verhalten wird der Ernst der gegenwärtigen Lage
nur vergrößert. Denn Li-Hung-Chang scheint gar nichts thun
zu wollen, um die Rebellion zu unterdrücken, hält sogar die
Flotte vom Schauplatz der Empörung entfernt. Er ist nämlich
auch der Oberstkommanüirende der Marine und der Streitkräfte
des Nordens. Seit mehr als zwanzig Jahren ist dieser begabte
Staatsmann eifrig bedacht, die chinesische Armee so umzugestalten,
um sie auf die gleiche Stufe mit den Heerkörpern der euro-
päischen Mächte zu heben. Und es soll ihm nach Berichten von
Augenzeugen auch gelungen sein, namentlich bei dem Teile der
Armee, die feinem speziellen Kommando untersteht und die mit
der Verteidigung der wichtigsten Zugänge zur Reichshauptstadt
Peking, nämlich der Taku-FortS, des Port Arthur und der
Stadt Tientsin betraut ist.
Holdcne Sprüche.
Ein Maulwurf hört in seinem Loch
Ein Lerchenlied erklingen
Und spricht, wie sinnlos ist es doch
Zu fliegen und zu singen! Geib-I.
Der Mensch ist der Feind dessen, was er nicht versteht.
Ali.
Herren regte sich die Hoffnung, vier Männer würden jetzt
ein Pianino hereintragen, er hatte ein verdächtiges Stampfen
und Trappeln draußen gehört und er so wie alle die
Seinen deuteten sich dies Geräusch günstig.
Aber nur der, welcher manchmal sein neugieriges Ge-
sicht um die Ecke gesteckt hatte, erschien im Thürrahmen
und übergab dem Führer der Deputation ein leicht ver-
hülltes Etwas.
Der Sprecher schritt mit trinmphirendem Lächeln auf
Eimke zu, lüftete das Tuch, welches den Gegenstand in
seiner Hand lose verhüllte und überreichte dem Jubilar
unter einigen passenden Worten einen silbernen Ehrenbecher.
Verwirrt, vom Glanz des hübschen Schaustücks ge-
blendet, im Grunde seines Herzens aber bitterlich enttäuscht,
begann der Gefeierte eben seinen Dank zu stammeln, als
junge Stimmen draußen anhobcn, einen GesangbuchverS
abzusingen. Das war also jenes verheißungsvolle Trappeln
gewesen. Die Knaben aus Eimkes Klasse wollten auch
ihren alten Lehrer ehren und sangen ihm ein ernstes Lied.
Allgemeines Glückwünschen schloß sich an, gerührtes
Danken und Händeschütteln folgte, dann war die Feier-
lichkeit vorüber und Eimkes mit ihren nächsten Ange-
hörigen befanden sich wieder allein.
Frau Eimke stand neben Lisette und wog den Becher
in ihrer Hand. „Gelt hibsch thut er als anssehe? net
wahr, mein goldiges Lisettche? E. Glasglöckche werden
wir sür'n kaufe müsse. E rechte Ehr ist's wohl, aber
mei' Alter hätt so herzensgern sei Klavier gehatt. Zu-
sammespare' können mer's net. Se wollen als mei Alten
in'nen wohlverdienten Ruhestand setze," fügte sie, mit
Thränen kämpfend, hinzu.
Bald gingen Eimkes mit ihren Angehörigen wieder
in die nach rückwärts gelegenen Räume. Frau Eimke
meinte, ihr liebes Kindche ruhe sich wohl gern noch etwas
in dem früheren Stüble aus und schloß die Thür hinter
dem jungen Paare.
Die zart empfindende Alte hatte Liscttens Herzens-
bedürfnis erkannt. Als die junge Frau mit ihrem Manne
allein war, warf sie sich an seine Brust und sagte: „O,
mein Rudi, welch' schwere Stunden habe ich hier in diesem
Zimmer durchlitten."
„Auch ich habe hier, an jenem Tage nach Weihnachten
die trostlosesten Augenblicke meines Lebens ausgestandcn,"
erwiderte Rudi ernst. „Wir haben alle beide unter den
strengen Ansprüchen äußerlichen Wesens geseufzt, sind
einem Götzen der Welt geopfert, dem, wenn ich nicht irre,
eben vor unseren Augen wieder gehuldigt worden ist.
Deine alten Freunde hätten so gern ihr Instrument
gehabt. Man hätte es ihnen vielleicht für eine nur etwas
höhere Summe, als was jenes unnütze Prunkstück gekostet
hat, schaffen können, aber die Ueberreichung eines BecherS
ist nun einmal das Uebliche, die äußere Form, das Opfer,
welches man dem Scheine darbringcn muß. Die Ab-
weichung fordert ja Selbstdenken, einen neuen Weg ein-
schlagen, der Wahrheit nachgehen, und dazu ist vermutlich
diese ganze gelehrte Deputation nicht im stände."
Lisette zog ihren Mann neben sich aui das Sofa.
Sie sah ihn bittend, lächelnd, fast verlegen an. „Ich habe
einen Wunsch," flüsterte sie, „den ich aber kaum auszu-
sprechen wage."
„Es würde mich sehr freuen, Geliebte, Dir einen
Wunsch zu erfüllen."
„Eimkes sind immer meine treuesten Freunde gewesen.
Fritz hat mich an jenem schrecklichen Lchlvesterabend vor
dem Allerschlimmsten bewahrt, nichts würde mir eine so
große Freude bereiten, als wenn wir Eimkes ein Pianino
schenken könnten."
Rudi sann einen Augenblick nach: „Ich bin dazn
bereit, mein Liebling, aber wir müssen dann auf eine
weitere Hochzeitsreise verzichten. Ich wende das Geld,
was mir mein Vater zur Reise gegeben hat, für das In-
strument an und wir kehren in zwei Tagen nach Eisenach
zurück. Bist Du damit einverstanden? Du weißt, wir
sind nicht so reich, um unbeschränkt ausgeben zu können."
„Glaubst Du, daß Deine Eltern cS übel nehmen
würden?"
„Nein, gewiß nicht, sie werden sich freuen, wenn wir
recht bald wieder bei ihnen sind."
„Nun, mein Rudi, so laß es uns thun und tausend
dank, daß Du willst!" Sie umarmte ihn und küßte ihn
herzlich. Dann kamen sie überein, daß sie eigentlich gar
kein Opfer bringen würden, da cs doch zu Hause in ihrer
kleinen Wohnung am allerschönsten sein werde.
Von der Jahnstraße gingen Schirmers zu Aurelie
von Rosenfeld. Lisette hatte brieflich schon erfahren, daß
der Freiherr vo'n Kreß in fluchtartigem Aufbruch mit seiner
Tante abgereist und gar nicht wieder nach Frankfurt
gekommen sei. Wenige Wochen nachher hatten gedruckte
Anzeigen den hiesigen Bekannten seine Verlobung mit
Fräulein Anna von Blum mitgeteilt. Auch Lisette hatte
eine solche Karte und bald darauf die Vermählungskunde
erhalten.
Sein Haus hatte Frau von Rosenfeld erworben —
wie preiswürdig es geschehen war, liebte sie nicht zu er-
wähnen. Seitdem suchte sie nach einem ihr zusagenden
Mieter für die unteren Räume, hatte aber noch keinen
gefunden.
Lisette betrat unter Zagen die Wohnung der Baronin.
Illustrirte Welt.
Die junge Frau erinnerte sich mit peinlichen Gefühlen
der höchst ungleichen Behandlung, die ihr hier zuteil
geworden war, sie hatte die kluge Aurelie fürchten gelernt.
Es bestand aber ein so altes Dankbarkeitsverhältnis, daß
Lisette jetzt nicht anders konnte, als mit ihrem Mann der
früheren Wohlthäterin einen Besuch abzustatten.
Lisette fand Fran von Rosenfeld sehr verändert: kam
sie ihr auch mit offenen Armen und einem großen Wort-
schwall von Glückwünschen entgegen, so hatte die junge
Frau doch den Eindruck als sei ihre schöne Taute merklich
gealtert und von mürrisch unzufriedener Lanne. Sie
sprach naserümpfend von „der perfiden Undankbarkeit
mancher Menschen", von der „Nichtswürdigkeit herzloser
Schwächlinge", und deutete, ohne Kreß Namen zu nennen,
vielleicht unbewußt, mehrfach auf ihn und ihre Trennung hin.
Das junge Paar freute sich, als es dem Hause der
verdrießlichen Frau den Rücken wenden konnte.
Nachdem sie noch bei der Doktorin Lippold und der
Gräfin Seleki gewesen waren und andere Bekannte aus
gesucht hatten, gingen sie, ein bescheidenes Instrument für
Eimkes zu kaufen und dasselbe zum nächsten Morgen
nach der Jahnstraße zu bestellen.
Welch eine große Freude gewährte andern Tages das
Geben und Nehmen! Endlich wurde das Pianino an
den oft ausgemessenen Platz gestellt, Rudi Schirmer und
Fritz Eimke ließen sich nicht hindern, eS selbst zurecht zu
rücken. Unter diesen schlichten Leuten fühlte Rudi sich ganz zu
Hause. Und dann setzte, mit Thränen der Freude in den
Augen, der alte Lehrer sich an das ersehnte Instrument,
daS seinen Lebensabend erheitern und beleben sollte und
gab die Melodie an: „Nun danket alle Gott!" in die
alle Anwesenden kräftig singend einstimmten.
Als Rudolf Schirmer mit seiner Frau das Haus ver-
ließ, war'S nicht sie, die ihm dankte, sondern er, der sagte:
„Das war so viel Freude auf unserer Hochzeitsreise, mein
Pnßchen, wie wir aus keine andere Art hätten genießen
können!"
-X-
Zehn Jahre sind setzt verstrichen.
Hermine lebt noch immer im Hause der Eltern, sie
hat in gemeinnütziger Thätigkeit ihre Befriedigung ge-
funden, steht mehreren Wohlthätigkeits-Anstalten vor und
ist stets beschäftigt. So oft der reichen und liebenswür-
digen Frau auch die Gelegenheit nahe getreten ist, sich
wieder zu verheiraten, so wenig hat sich in ihr die Neigung
dazu geregt. Sie hat zu Schweres erfahren und ihr
Leben ist ganz und befriedigend ausgefüllt.
Der Kommerzienrat, dessen Fabrik mit dem neuen
Teilhaber, Willibald Holzmüller, trefflich gedeiht, stellt
seiner Tochter Hermine die gleichen glänzenden Mittel
zur Verfügung, die Isidore von Brabeck, mit ihren acht
Kindern, rücksichtslos in Anspruch nimmt. Die Faniilie
der für das Gemeinwohl thätigen Witwe an Armen und
Hilflosen, ist noch größer als die der Schwester, und so
empfängt Hermine die reichen Gaben des VaterS mit
dankbarem Lächeln und der Ueberzeugung, daß alles gut
angewandt werden wird.
Hermines liebster Verkehr ist der mit Lippolds, der
menschenfreundliche Arzt gibt ihr manchen nützlichen
Fingerzeig und Klara ist mehr denn je die verkörperte
Güte und Liebe.
Aber nicht allein bei Lippolds fühlt Hermine sich dazu
gehörig und behaglich, auchp bei Holzmüllers ist sie ein
lieber Gast und die gern gesehene Tante. Sie hat sich
mit Frau Therese befreundet und eine gewisse alte Vor-
liebe, ein unzerreißbares'geschwisterliches Interesse besteht
fort zwischen ihr und dein guten Willi, dem rührigsten
Kaufmann und dein zärtlichsten HauSpapa, den cs
geben kann.
Mit ihrer Schwester Isidore verkehrt Hermine nicht
viel. Die Kinder sind ihr zu anspruchsvoll, zu unerzogen
und die ganze Wirtschaft ist ihr zu sehr auf den äußeren
Schein und hohles Vornehmthun eingerichtet. Nur die
gute Frau Ehlermaun erträgt diese häßlichen, unzufriedenen,
gierigen Enkelchen — alle der Mutter wie aus den Augen
geschnitten — und hat ihre Freude daran.
Naht sich Hermine mit kleinen Geschenken und scharen
sich die Acht um ihre freundliche Tante, wird Isidore
eifersüchtig, wie sie es früher so viel auf die Schwester
gewesen ist. Eigentlich überhebt sie sich aber in Mutter-
stolz über die Kinderlose und meint, daß sie ein Außer-
ordentliches für die Menschheit geleistet hat; ob ihre
Sprößlinge diesen Stolz rechtfertigen werden, muß die
Zukunft lehren.
Lewin lebt möglichst wenig mit seiner Familie; die Kin-
der, die alle der ungeliebten Fran ähnlich sehen, sind ihm
gleichgiltig und unbequem. „Kein einziger echter Brabeck,"
murrt er manchmal für sich. Es gibt immer noch Stunden,
in denen er nicht begreift, wie er sich hat entschließen
können, dies reizlose Weib sein zu nennen. Er weiß, daß
Isidore unbeliebt ist, daß seine Geldheirat offenkundig
für jedermann auf der Hand liegt und er fühlt sich von
dieser Thatsachc gedrückt und beschämt. Er hat sich von
dem Irrlicht, Emily Ethair, in den Sumpf locken lassen,
dies ist und bleibt der Fluch seines Lebens. Aber er ist i
großmütig und gerecht genug, Isidore nicht mit leiden zu s
lassen, er ist und bleibt ihr, wenn auch oft mit Selbst-
überwindung, ein rücksichtsvoller Gatte.
Regt sich in Lewin das Bedürfnis nach freundlichen
Eindrücken, sehnt er sich nach einem friedlich schönen
Familienkreise, so geht er zu seiner Schwester Klara, bei
der er alles findet, waS er in seinem eigenen Hause schmerz-
lich vermißt.
Seilie drei Brüder sind als tüchtige, unter liebevoller
Obhut herangewachsene junge Männer in den von ihnen
erwählten Beruf einqetrcten, betrachten aber noch immer
Lippolds Haus als ihre Heimat. Bruno, der junge Arzt,
bezeigt eine stets wachsende Neigung für das Stieftöch-
terchen seiner Schwester, das lieblich erblühende Mariechen
Lippold.
Die neunzehnjährige Else hat sich kürzlich mit einem
Freunde ihrer Brüder verlobt, aber Lippolds belebtes
HauS wird nicht leer werden, Klara hat ihrem Manne
auch drei Kinder geschenkt, die wohlbehütet von verständigen
Eltern, gesund und liebenswürdig aufwachsen.
Der Hanptgrundsah dieses trefflichen Hauses, von
beiden Gatten in gleicher Weise hochgehalten, ist der,
allem leeren Schein von ganzer Seele abhold zu sein und
nur schlichtes, wahres, einfaches Wesen immerdar als
das Höchste und Beste gelten zu lassen.
Bilder aus China.
(Bilder S. SS4 u. 3SS.1
Wiederholte bedrohliche Unruhen in China haben in neuester
Zeit wiederum unsere Augen auf das gewaltige Reich der Mitte
im fernen Ostasien gelenkt, um so mehr, als sich dabei der an-
geborene Haß des chinesischen Volkes gegen alles Ausländische,
namentlich auch gegen Las Christentum, gezeigt hat. Ohne
Zweifel ist der Aufruhr jedoch wieder einmal gegen die jetzt auf
dem Throne fitzende Dynastie gerichtet, da sie nicht chinesischen,
sondern tatarischen Ursprungs ist, und die Chinesen schon seit
langer Zeit den patriotischen Wunsch hegen, von einem ihrer
eigenen Standesgenossen regiert zu werden, obgleich die Herrscher-
familie in Sitte und allen Acußerlichkciten, auf die der Chinese
sehr großes Gewicht legt, ganz chinesisch geworden ist. Die
fanatischen Chinesen betrachten trotzdem noch immer die wirk-
lichen oder angeblichen Abkömmlinge der Dynastie Ming als
die rechtmüßigen Erben des Throns. Im Jahre 1644 entleibte
sich der letzte Herrscher der einheimischen Ming-Dynastie infolge
innerer Streitigkeiten und des Andringens der Mandschu und
die jetzige 22., diesem Volksstamme angehörige Dynastie bestieg
den Thron. In den ersten 150 Regierungsjahren der Dynastie
bis zum Tode Kien-Longs 1796, wo vier kraftvolle und ein-
sichtige Herrscher das Scepter führten, die alle die Länder er-
oberten, welche man heute als die von China abhängigen bezeichnet,
im Innern in Ordnung zu halten wußten und einzelne Auf-
stände mit Kraft und Härte unterdrückten, gestaltete sich das
Verhältnis der Fürsten zu dem Volke zu einem friedlichen. Mit
der Thronbesteigung Kia-kings, eines argwöhnischen, grausamen
und weichlichen Despoten, wurde die Lage der Dynastie nach
innen wie nach außen bedenklich. Ueberall hatte er mit Em-
pörungen zu kämpfen, und überall tauchten gebeime Gesellschaften
auf, die den ausgesprochenen Zweck verfolgten, die Mandschu-
Dynastie aus dem Lande zu treiben, so im Osten des Reiches,
im dichtbevölkerten Stromlande, der Geheimbund „der weißen
Wasserlilie". Der von ihm erregte Aufstand konnte erst nach
achtjährigem Bürgerkrieg niedergeworfen werden. Seitdem steht
aber die Geheimbündelei in China in Blüte und nirgends ist
mehr Neigung dazu vorhanden als gerade im himmlischen Reiche,
wo, wie man sagt, nicht fünf Leute zusammen sein können, ohne
einen Geheimbund zu gründen. So sind es auch heute wieder
geheime Gesellschaften, die an dem Throne rütteln, während jen-
seits der großen Mauer die tributpflichtigen Häuptlinge der
Mongolei sich gegen den chinesischen Kaiser empört haben. Von
jeher haben diese wilden Söhne der inner-asiatischen Wüste ver-
sucht, Einfälle in China zu machen, wenn dieses von schwachen
Regenten beherrscht wurde. Der jetzige Kaiser führt den Thron-
namen Kuang-Su, das heißt „berühmte Nachfolge". Vor seiuer
Thronbesteigung im Jahre 1875 hieß er Tsai-tien. Er war
damals erst vier Jahre alt und übernahm die Herrschaft daher
thatsüchlich erst 1887. Im Jahre 1889 fand mit großartigem
Pompe seine Vermählung mit der Kaiserin statt, die der Sitte
gemäß aus den vornehmsten Töchtern des Landes als die würdigste
ausgewählt wurde. Die eigentliche Gewalt hat der Vizekönig
und Premierminister Li-Hung-Chang, der frühere Vormund des
Kaisers, in den Händen. Durch sein eigentümliches und uner-
klärliches Verhalten wird der Ernst der gegenwärtigen Lage
nur vergrößert. Denn Li-Hung-Chang scheint gar nichts thun
zu wollen, um die Rebellion zu unterdrücken, hält sogar die
Flotte vom Schauplatz der Empörung entfernt. Er ist nämlich
auch der Oberstkommanüirende der Marine und der Streitkräfte
des Nordens. Seit mehr als zwanzig Jahren ist dieser begabte
Staatsmann eifrig bedacht, die chinesische Armee so umzugestalten,
um sie auf die gleiche Stufe mit den Heerkörpern der euro-
päischen Mächte zu heben. Und es soll ihm nach Berichten von
Augenzeugen auch gelungen sein, namentlich bei dem Teile der
Armee, die feinem speziellen Kommando untersteht und die mit
der Verteidigung der wichtigsten Zugänge zur Reichshauptstadt
Peking, nämlich der Taku-FortS, des Port Arthur und der
Stadt Tientsin betraut ist.
Holdcne Sprüche.
Ein Maulwurf hört in seinem Loch
Ein Lerchenlied erklingen
Und spricht, wie sinnlos ist es doch
Zu fliegen und zu singen! Geib-I.
Der Mensch ist der Feind dessen, was er nicht versteht.
Ali.