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Illu strikte Welt.

Die vom rauhen Stein.
Erzählung
von
Anton Hüorn.
II.
wieder gingen die Jahre und brachten nichts
Neues für den rauhen Stein.
Durch das blonde Haupt- und Barthaar Horsts
zog sich da und dort ein silberner Faden, und uni Gretes
klare Augen spannen sich in den Winkeln einige zarte
Fältchen. Am meisten war Konrad verändert, denn der
schöne Knabe war zum stattlichen, blühenden Jüngling
geworden, dem der Bart um Kinn und Lippen zu sprossen
begann, der aber noch immer so träumerisch auö den
braunen Augen schaute wie vordem. Er war freilich
für seine Geschwister noch immer „das Kind", das nichts
gesehen und nichts erfahren hatte und dem der rauhe
Stein eine Welt war.
Zwar hatte sich einigemal in dem jnngcu Herzen der
Drang geregt, die Welt zu sehen und die frische Kraft zu
entfalten und zu gebrauchen, zumal seit er Gelegenheit ge-
habt hatte, einem Turnier beizuwohnen und die Stärke
und Gewandtheit seines ritterlichen Bruders zu bewun-
dern, aber Grete kam in wunderliche Aufregung, wenn
sie von ihm sich trennen sollte. Es war ein geradezu
krankhafter Zug in das Wesen des so starken und eut-
sagungsmutigen Weibes gekommen, und seitdem sie Konrad
das Opfer ihres Herzens gebracht, wachte sie fast eifer-
süchtig über ihm, damit keine Regung seiner Seele ihr
entgehe.
Horst hatte den Vierzehnjährigen aus dem Hause ge-
bracht zu einem befreundeten Ritter, damit der Knabe
nach altem Brauche höfische Zucht lerne, aber Grete hatte
die Trennung nicht lange ertragen; sie war aufgeregt und
unstät geworden, und er mußte unter einem nichtigen
Vorwande zurückgeholt werden. . Horst war anfangs dar-
über unmutig, aber seit den Tagen, da seine Schwester
den Wolfratsteiner abgewiesen hatte, um sich ihm und dem
jüngeren Bruder zu erhalten, hatte er vor ihr eine an
Ehrfurcht grenzende Scheu und achtete ihren Willen, auch
wo sein eigenes Empfinden dagegen im Widerspruche stand.
So suchte er auf seine Weise mindestens dafür zu
sorgen, daß Konrad körperlich kein Schwächling und mit
der Führung der Waffen vertraut wurde, aber die Seele
des Jünglings, dem die Selbständigkeit im Denken und
Handeln mangelte, blieb weich und träumerisch, und der
rauhe Stein hatte wohl niemals einen solchen Junker
gesehen mit den Gliedmaßen des kraftvollen Waldbären
und mit dem sanften, beinahe mädchenhaften Wesen.
Es war wieder Frühling geworden und der Wald
stand maienfrisch und ließ die graue Felswand mit der
kleinen, trutzigen Burg doppelt malerisch erscheinen. Da
hatte es an einem sonnigen Tage Konrad nicht in den
engen Mauern geduldet und er war in den Nachmittags-
stunden den Zickzackweg hinabgeschritten nach dem Fron-
dorfe und zwischen den ärmlichen, niedrigen Gehöften
sortgegangen, plan- und ziellos, aber immer weiter und
allgemach tiefer hinein in den Wald. Spielende Lichter
fielen durch die Zweige, Vögel jauchzten und lärmten und
der Bach saug seine lustige Lenzesweise. Die Kraft,
welche in der Natur wirkte, begann auch in dem jungen
Meuschenherzen zu gären und zu ringen, und ein un-
bestimmtes Sehne» erwachte in demselben nach einem
unbekannten Glücke, ein Thatendrang, der sich keines
Zieles bewußt war. Em dürres Baumstämmchen, das
ihm im Wege stand, zerbrach er mit einem jähen Drucke
der Hand, einen Käfer der langsam daher kroch, zertrat
er — und gleich darauf empfand er Reue über sein Thun.
Dann pfiff er wieder auf einem Blatte, sang auch die
Strophe eines alten Minneliedes, wie er sie von den
Knappen hörte, und endlich warf er sich an grüner Halde
unter einer breitästigen Buche nieder, legte das Hinter-
haupt in seine Hände und sah, während leise um ihn her
die Bäume rauschten, hinauf nach dem blauen Himmel.
Er träumte.
Er hatte lange so gelegen, endlich erhob er sich und
dachte an den Heimweg. Da sah er nut einemmal nur
wenige Schritte vor sich, gleich einer Gestalt aus einem
alten Märcken, ein Mädchen. Schlank und zierlich war
ihre Erscheinung, frisch und heiter das rosige Gesicht und
auf den dunklen Haaren lag ein Kränzchen aus Wald-
blumen. Lsie trug ein einfaches, lichtes Kleid, das bis
zu den feinen Knöcheln reichte, ein braunrotes Mieder
und in der Hand ein Bündel. Nur einen Augenblick
war sie verdutzt, als sie den schönen, stattlichen Jüngling
sah, der selbst ganz verwundert dreinschaute, dann kam
sie geradewegs auf ihn zu und fragte ihn mit Heller
Stimme, wo der nächste Weg nach Steindorf führe.
Das war das kleine Frondorf am Fuße der heimischen
Burg, und Konrad empfand eine plötzliche Freude bei dieser
Frage. Er antwortete, daß er den gleichen Weg habe
und sie begleiten wolle, sie aber betonte noch einmal mit
einem halb kindlichen, halb bangen Seitenblick, daß sie
den allernächsten Weg gehen mochte.

Nun gingen sie selbander durch den Wald, der seinen
Duft um ihre Häupter wob, und waren bald vertraut
wie zwei Kinder. Er wußte, daß sie Agathe heiße und
ein Waisenkind sei, daS zu seiner Muhme ging, um bei
ihr zu bleiben, und er freute sich über diese Mitteilung,
ohne recht zu wissen, weshalb. Anfangs war er saft
schüchtern neben ihr hergegaugen, allmälich aber wuchs
ihm der Mut, unö zuletzt war es wie von selbst gekommen,
daß sie Hand in Hand einherschritten. Kein Mensch
kreuzte ihren Pfad; nur Rehe gingen langsam und ohne
Scheu vor den zwei jungen Menschen durch das Dickicht,
und die Vögel saugen über ihnen. Allmälich kam der
Abend und leichte Schatten gingen durch den Wald.
„Noch ein halbes Stündchen, und wir sind in Stein-
dorf!" sagte Konrad. Er hatte ehrlich den kürzesten Weg
gewählt, freilich ohne an ein Hindernis zu denken, daS
für ihn keines war — den Waldbach, über welchen sic
wegschrciten mußten. Einen Steg darüber gab es nicht,
und Konrad bedurfte nie eines solchen, als er aber jetzt
mit dem Mädchen vor dem rauschenden Wässerchen stand,
das der Frühling tiefer und breiter gemacht, sah er mit
plötzlicher Verlegenheit seine Begleiterin an und deren
zierliche Füße, denen er nicht zumuten konnte, das immer-
hin bis an die Kniee reichende Bächlein zu durchwaten.
Sie verstand ihn und schaute gleichfalls verlegen vor
sich nieder, er aber hatte sich gefaßt und sagte:
„Ich trage Dich hinüber, Agathe!"
Da huschte eine Röte über das frische, schöne Mädchen-
gesicht, das sich abwaudte, und Konrad, der die Betvegung
wohl anders verstand, als sie gemeint war, griff auch
schon zu. Da sträubte sie sich nicht, sondern ruhig lag
sie in seinen Armen und an seiner Brust, und als er sie
am andern User absetzte, atmeten beide zu gleicher Zeit
tief auf. Dann gingen sie eine Weile schweigend neben
einander her, ohne sich wieder an den Händen zu fassen.
Nun sah man das kleine Dorf im Ab.endschein und
darüber den Turm der Burg. Da fand Konrad wieder
das Wort:
„Willst Du mir zum Abschied nicht eine Blume auö
Deinem Kranze geben?"
„Ei, gleich den ganzen Kranz!" lachte das Mädchen
auf, und indem sie ihn von ihrem Haupte nahm, hob sic
sich auf den Zehen, um ihn auf die dunklen Locken ihres
Begleiters zu setzen, der seine hohe Gestalt niederbeugte,
ehrfürchtig, als nehme erden Turnierpreis aus den Händen
einer Edeldame. Er behielt das Baretts das er ab-
genommen, in der Linken, und wie mit Stolz trug er den
Blumenschmuck; Agathe aber sah ihn immer wieder an
mit der Unbefangenheit eines Kindes und freute sich daran,
wie die roten Waldblüten über seine Stirne nickten.
Endlich schieden sie von einander und keines sprach
dabei von einem Wiedersehen, wenn auch jedes im Herzen
daran denken mochte.
Das Mädchen huschte durch die Dorfgasse, Konrad
aber ging langsam und sinnend den Zickzackweg hinaus
nach dem rauhen Steine, und erst an dem Burgthore nahni
er das Kränzchen von dem Haupte und barg es unter
seinem Gewände. Dann eilte er flüchtig und scheu nach
seinem Gemache und versteckte die Gabe Agathens zu
unterst in seiner Truhe und die Hände zitterten ihm bei-
nahe vor der Hast, mit welcher er sie zu bergen suchte.
Etwa acht Tage später sprach Grete zu Horst:
„Die alte Susanne ist gestorben; sie hat in den letzten
Tagen ihr Schwesterkind um sich gehabt, eine Waise, ein
zierlich, anstellig Dirnlein, wie wir es wohl brauchen
könnten, damit es mir helfe beim Spinnen und Nähen;
ich möcht' es wohl auf den rauhen Stein nehmen, so Du
es zufrieden bist!"
„Was Du thust, soll mir recht sein!" hatte Horst ge-
antwortet, und so war Agathe in die Burg gekommen,
und verwundert und errötend waren die beiden jungen
Menschen sich zuerst in dem engen, halbdunklen Korridor-
begegnet. Eine seltsame Befangenheit schien sich beider
bemächtigt zu haben, denn sic sprachen kein Wort und
huschten mit halblautem Gruße an einander vorüber, aber
hinterdrein ärgerte sich eines über das andere, daß dieses
nicht zuerst gesprochen.
Nun sahen sie sich täglich und redeten wohl dabei auch
dies und das, aber die Naivität ihrer ersten Begegnung
kam ihnen nicht wieder.
Das ging so, bis der Herbst die Blätter färbte an
der großen Burglinde und die Schwalben zur Reise
rüsteten; Konrad aber war noch träumerischer geworden
als vorher und unmutig zugleich, weil ihn ein Gefühl er-
faßte, von dem er sich nicht volle Rechenschaft zu geben
vermochte. Aber wenn er abends für sich allein in seinem
Schlafgemach war, holte er sachte den vergilbten Kranz
aus seiner Truhe und hielt ihn lange in den Händen.
Aber so konnte es mit ihm nicht bleiben — es mußte
ein Ende werden auf eine oder die andere Art. Und es
kam — aber anders, als er gedacht hatte.
Eines Nachmittags betrat Konrad die Kemenate seiner
Schwester. Sie warmicht zugegen, nur Agathe saß, ein
Linnen in den Händen, auf der Holzbank nahe am Fenster,
so daß der Lichtschein voll ihr anmutiges Gesicht traf,
das in der letzten Zeit etwas bleicher geworden war.
Dem Jüngling zuckte es heiß durch das Herz und mit
einigermaßen unsicherer Stimme fragte er:

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„Ist es erlaubt, einzutreten?"
Das Mädchen schlug sittig die Augen nieder und ent-
gegnete :
„Ihr seid ja der Herr im Hause, Junker!"
Da trat er näher und kam endlich hart an sie heran;
an ihrer Seite setzte er sich auf die Bank und sagte:
„Warum sprichst Du immer zu mir Junker? Willst
Du nicht Konrad sagen?"
„Das würde sich nicht gehören, denn ich bin eine
Dienerin."
„Aber Du bist hundertmal schöner als ein Edel-
fräulein," sprach er und rückte ihr näher. „Warum weichst
Du denn vor mir zur Seite? Habe ich Dir etwas zu
leide gethan?"
„O nein, nein —" Die Stimme des Mädchens klang
erregt und die junge Brust hob sich heftiger.
„Dann laß mich bei Dir sitzen, Dir auf die fleißigen
Finger sehen und nenne mich wenigstens einmal,Konrat/
— sonst kann ich nicht glauben, daß Du mir nicht
zürnst."
Nun hob sie die braunen Augen nach ihm auf und eine
heiße Röte ging über ihr Gesicht. Auch er blickte sie voll
und innig an und legte dabei leise den Arm um sie.
Ein warmer Strom lief durch den jugendlichen Mädchen-
leib, ein tiefes Aufatmen folgte, dann sprachen die roten
Lippen halblaut:
„Konrad!"
„Agathe!" jauchzte der Mund des Jünglings. Und
nun wußten sie beide nicht, wie es geschehen war, sie
hielten sich plötzlich umschlungen, Brust an Brust und
Lippe au Lippe.
In diesem Augenblicke trat Grete ein. Wenn die
Decke plötzlich auf sie niedergebrochen wäre, so hätte sie
nicht mehr erschüttert sein können als bei dem Anblick der
beiden jungen, schönen Menschenkinder, die im ersten
Schrecken sich fester umschlossen und daun erst jählings
aus den Armen ließen. Einige Sekunden war es toten-
still in dem Raume, dann bäumte sich das junge Weib
an der Thüre auf, schüttelte wild das blonde Haar, und
die blauen Augen blitzten zornig:
„Ehrvergessener Knabe — hinaus mit Dir — ich
will mit dieser Dirne ein Wort allein reden!"
Grete stand hoch aufgerichtet da und wies gebieterisch
nut der Rechten nach der Thür.
In Konrad zuckte etwas auf gleich einer jähen Flamme,
ein wildaufleuchtender Trotz, wie er ihn nie empfunden,
eine unbestimmte zornige Wallung, die ihn die Fäuste
ballen ließ, aber vor dem zwingenden Blick der ge-
waltigen Schwester, der fest und bannend auf ihm lag,
beugte er den Kopf wie ein Schuldbeladener und ging
langsam hinaus. Da die Thüre hinter ihm zusiel, brach
auch Agathe nieder zu den Füßen der furchtbaren Herrin
und hob ihr schweigend die bittend gefalteten Hände ent-
gegen. Diese aber brauste auf:
„Elende, verworfene Kreatur! Habe ich Dich darum
aus dem Schmutze uud der Niedrigkeit emporgezogen,
damit Du den Sohn dieses Hauses verführst? — Du
hättest verdient, daß ich Dich mit meinen Händen er-
würgte!"
Und Grete erfaßte die vor ihr Liegende, riß sie an den
Armen empor und schüttelte sie, daß der Leib des Mäd-
chens wie leblos hin und her schlotterte und nur die angst-
vollen Augen in dem todblassen Gesicht noch Bewußtsein
verrieten. Nun hob die zornige Herrin sie empor, leicht,
wie man ein Kind erhebt, und hielt sie in ihren Armen
hinaus zu dem Fenster.
Steil fiel die Felswand hier ins Thal ab, und Agathe
schloß die Augen in schweigender Todesangst und empfahl
ihre Seele Gott. Sie hörte unter sich das Rauschen der
Wipfel und das Brausen des Waldbachs und dann die
furchtbare Stimme Gretes:
„Sieh, so wahr dies der rauhe Stein ist, so sicher
schleudere ich Dich hier hinunter, wenn Du auch nur mit
einem Gedanken noch Dich an den Junker wagst!"
Nun ward sie zurückgerissen in das Gemach uud als
die Herrin sie aus den Händen ließ, sank sie bewußtlos
auf den Estrich nieder.
III.
Schon am übernächsten Morgen ritt Konrad fort vom
rauhen Stein uud wandte sich nach dem Schlosse Leuringen,
wo seine Braut daheim war. Jetzt erst hatte Horst er-
reicht, was er vergebens wiederholt angestrebt — daß der
Jüngling in die Welt komme und „höfische Zucht" lerne.
Unter dem Eindruck des Geschehenen gab Grete nach, es
war auch wohl das einzige Mittel, um die beiden jungen
Leute, die nach Horsts Ausspruch „wie Zunder und Feuer"
waren, aus einander zu bringen, denn die Dirne, die
sonst fleißig und gut war, wollte er nicht vom rauhen
Stein darum fortjagen. Für sie würde sich wohl ein
Fronbauer als Ehemann finden und für Konrad sei es
billig, daß er in der Nähe seiner Braut lebe und sich an
sie uud ihr Wesen gewöhne.
So zog er hin, aber nicht wie ein frischer, fröhlicher
Reiter, sondern voll Unmut und Verstimmung, voll
Schmerz und Sehnsucht. Hinter dem Dorfe hatte er
noch einmal zurückgcschaut und auch ein weißes Tüchleiu
! winken sehen, aber der Gruß kam von Grete, und Agathe
 
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