B. Eitel berge?' v. Edelberg. Bericht Uber einen Ausflug nach Ungarn. 93
unrichtige Vorstellungen über die Zeit ihrer Entstehung und dem Style, welchem sie ange-
hören, knüpfen.
Diejenigen Denkmale, welche ich bei meinen leider nur kurzen archäologischen Ausflügen
in Ungarn in den Jahren 1854 und 1855 kennen lernte, — im Ganzen brachte ich nur wenige
Wochen in Ungarn zu — haben mich nicht bloss von der Unrichtigkeit der herrschenden
Ansichten über dieselben überzeugt, sondern auch davon, dass Ungarn bedeutendere und inte-
ressantere Kunstdenkmale besitzt, als man im Lande selbst weiss. Freilich liegen diese Denk-
male nicht so dicht gedrängt an einander, wie es auf dem Gebiete des ehemaligen deutschen
Deiches, wie es in Italien, Frankreich, England u. s. f. der Fall ist. Der Reisende muss sich in
Ungarn auf grosse Geduldproben gefasst machen, weite von Cultur noch wenig berührte
Strecken durchwandern, bevor er an ein interessantes Denkmal gelangt; und dort angelangt,
hat er zwar auf alle mögliche gesellschaftliche Comforts zu rechnen, aber auf literarische:
Guiden, Stadtgeschichten, Museen u. s. f. fast gar nicht, wenner zu literarischen Unterstützungen
nicht eine Menge von Anekdoten, Sagen, unrichtigen Vorstellungen aller Art zählt, die sich
bei jedem einigermassen hervorragenden Denkmale in nicht geringer Zahl einfinden. Diese
einzeln und zerstreut liegenden Denkmale, die bisher fast gar nicht beachtet wurden, sind
gleichsam Ansätze zu einer Cultur, die in ihrer Ausbildung theils durch äussere Umstände
gehemmt, theils durch die verschiedenartigen Culturzustände der Völker, welche Ungarn
bewohnen, und durch den Charakter der herrschenden Nation erschwert wurde.
Zu den am meisten verbreiteten Irrthümern dürften folgende gerechnet werden. Vorerst
bringt man jedes ältere Denkmal mit Stephan dem Heiligen in Verbindung. Wo
immer eine alte Kirche existirt, und wäre diese auch in entschiedenen spät-romanischen
oder gothischen Formen, immer heisst es, das Denkmal sei vom heiligen Stephan. Dieser Zug
der Ungarn hat etwas rührendes und poetisches. Der heilige Stephan ist Ungarn nicht bloss
ein Individuum, er repräsentirt, man kann sagen, eine Idee; eine ganze Reihe von Begriffen
findet in ihm ihren Mittelpunkt oder ihre Stütze. Die deutsche Nation hat keinen christlichen
Nationalheros, der zugleich Landesheiliger wäre, an den sich eine solche noch immer leben-
dige Idee knüpfen würde. Wie ist ihr Karl der Grosse, der einzige, der sich mit Stephan
dem Heiligen vergleichen liesse, und in seiner welthistorischen Bedeutung weit über dem ersten
christlichen Könige Ungarn’s steht, wie ist ihr Karl der Grosse fremd, unlebendig geworden?
Wie lebendig, wie tief mit den nationellen Anschauungen des ganzen Volkes ist der Cultus des
heiligen Stephan in Ungarn, und wie anders steht es mit dem Cultus Karl des Grossen, des
Bonifacius, Leopold des Heiligen und anderer Apostel und Helden des Christenthums in
Deutschland? Wie ist in Ungarn die Phantasie immer und immer noch beschäftigt, das im
Volke lebende Bild des grossen Königs auszuschmücken, und dasselbe, wenn auch nicht zu
erweitern — die Menschen sind auch an der mittleren Donau phantasieärmer und kälter gewor-
den — so doch wenigstens so zu erhalten wie es ist? Mit den Kunstdenkmalen allerdings,
wie sie jetzt existiren, hat der heilige Stephan wenig mehr zu thun. Auch von den kirchlichen
Denkmalen, die ursprünglich ohne allen Zweifel von diesem grossen Könige gegründet worden
sind, ist kaum eines mehr, selbst nur in bedeutenderen Trümmern vorhanden. Die meisten sind
im Laufe der Zeit meist in Folge kriegerischer Ereignisse, die an den grossen Donauebenen
sich zugetragen haben, zerstört, umgebaut und wieder zerstört und wieder erbaut worden, so
dass vom ursprünglichen Baue -meist nichts mehr übrig bleibt als die Erinnerung. Das letzte
interessante Denkmal aus der frühesten christlich-magyarischen Zeit ist bei dem Graner
unrichtige Vorstellungen über die Zeit ihrer Entstehung und dem Style, welchem sie ange-
hören, knüpfen.
Diejenigen Denkmale, welche ich bei meinen leider nur kurzen archäologischen Ausflügen
in Ungarn in den Jahren 1854 und 1855 kennen lernte, — im Ganzen brachte ich nur wenige
Wochen in Ungarn zu — haben mich nicht bloss von der Unrichtigkeit der herrschenden
Ansichten über dieselben überzeugt, sondern auch davon, dass Ungarn bedeutendere und inte-
ressantere Kunstdenkmale besitzt, als man im Lande selbst weiss. Freilich liegen diese Denk-
male nicht so dicht gedrängt an einander, wie es auf dem Gebiete des ehemaligen deutschen
Deiches, wie es in Italien, Frankreich, England u. s. f. der Fall ist. Der Reisende muss sich in
Ungarn auf grosse Geduldproben gefasst machen, weite von Cultur noch wenig berührte
Strecken durchwandern, bevor er an ein interessantes Denkmal gelangt; und dort angelangt,
hat er zwar auf alle mögliche gesellschaftliche Comforts zu rechnen, aber auf literarische:
Guiden, Stadtgeschichten, Museen u. s. f. fast gar nicht, wenner zu literarischen Unterstützungen
nicht eine Menge von Anekdoten, Sagen, unrichtigen Vorstellungen aller Art zählt, die sich
bei jedem einigermassen hervorragenden Denkmale in nicht geringer Zahl einfinden. Diese
einzeln und zerstreut liegenden Denkmale, die bisher fast gar nicht beachtet wurden, sind
gleichsam Ansätze zu einer Cultur, die in ihrer Ausbildung theils durch äussere Umstände
gehemmt, theils durch die verschiedenartigen Culturzustände der Völker, welche Ungarn
bewohnen, und durch den Charakter der herrschenden Nation erschwert wurde.
Zu den am meisten verbreiteten Irrthümern dürften folgende gerechnet werden. Vorerst
bringt man jedes ältere Denkmal mit Stephan dem Heiligen in Verbindung. Wo
immer eine alte Kirche existirt, und wäre diese auch in entschiedenen spät-romanischen
oder gothischen Formen, immer heisst es, das Denkmal sei vom heiligen Stephan. Dieser Zug
der Ungarn hat etwas rührendes und poetisches. Der heilige Stephan ist Ungarn nicht bloss
ein Individuum, er repräsentirt, man kann sagen, eine Idee; eine ganze Reihe von Begriffen
findet in ihm ihren Mittelpunkt oder ihre Stütze. Die deutsche Nation hat keinen christlichen
Nationalheros, der zugleich Landesheiliger wäre, an den sich eine solche noch immer leben-
dige Idee knüpfen würde. Wie ist ihr Karl der Grosse, der einzige, der sich mit Stephan
dem Heiligen vergleichen liesse, und in seiner welthistorischen Bedeutung weit über dem ersten
christlichen Könige Ungarn’s steht, wie ist ihr Karl der Grosse fremd, unlebendig geworden?
Wie lebendig, wie tief mit den nationellen Anschauungen des ganzen Volkes ist der Cultus des
heiligen Stephan in Ungarn, und wie anders steht es mit dem Cultus Karl des Grossen, des
Bonifacius, Leopold des Heiligen und anderer Apostel und Helden des Christenthums in
Deutschland? Wie ist in Ungarn die Phantasie immer und immer noch beschäftigt, das im
Volke lebende Bild des grossen Königs auszuschmücken, und dasselbe, wenn auch nicht zu
erweitern — die Menschen sind auch an der mittleren Donau phantasieärmer und kälter gewor-
den — so doch wenigstens so zu erhalten wie es ist? Mit den Kunstdenkmalen allerdings,
wie sie jetzt existiren, hat der heilige Stephan wenig mehr zu thun. Auch von den kirchlichen
Denkmalen, die ursprünglich ohne allen Zweifel von diesem grossen Könige gegründet worden
sind, ist kaum eines mehr, selbst nur in bedeutenderen Trümmern vorhanden. Die meisten sind
im Laufe der Zeit meist in Folge kriegerischer Ereignisse, die an den grossen Donauebenen
sich zugetragen haben, zerstört, umgebaut und wieder zerstört und wieder erbaut worden, so
dass vom ursprünglichen Baue -meist nichts mehr übrig bleibt als die Erinnerung. Das letzte
interessante Denkmal aus der frühesten christlich-magyarischen Zeit ist bei dem Graner