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Kunsthistorisches Institut <Wien, Universität> [Hrsg.]
Jahrbuch des Kunsthistorischen Institutes — 6.1912

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Frizzoni, Gustavo: Einige kritische Bemerkungen über italienische Gemälde in der fürstlich Liechtensteinschen Galerie
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https://doi.org/10.11588/diglit.19094#0117
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Einige kritische Bemerkungen über italienische Gemälde
in der fürstlich Liechtensteinschen Galerie

Von Gustav Fkizzoni

Da Sie mich, geehrter Herr Professor, auf gütiges Verlangen Sr. Durchlaucht des
Prinzen Liechtenstein auffordern, in Ihrer Zeitschrift die nach meinem Besuche in Wien
geäußerten Bemerkungen über mehrere Gemälde näher zu erörtern, so soll dies hier so
gut wie möglich geschehen.

Keiner, der dank der Liberalität Sr. Durchlaucht des hohen Besitzers der Galerie, den
großartigen Palast und die herrlichen Gartenanlagen besucht hat, wird die erfreulichen Ein-
drücke, die er davon mitbringt, so leicht vergessen.

Obwohl ich von all den unermeßlichen Kunstschätzen nach verschiedensten Richtungen
im höchsten Maße angeregt wurde, habe ich doch meine Aufmerksamkeit, meinen Studien
gemäß, speziell auf die Erzeugnisse der italienischen Kunst gerichtet und zugleich mit der
Bewunderung über die vielen wertvollen Werke einige Bedenken gegen die Benennung
verschiedener Gemälde empfinden müssen.

Beginnen wir mit dem Treppenhaus, das durch seinen mächtigen Bau und seine Pracht
fast ganz italienisch anmutet, so sehen wir unter mehreren Gemälden von größeren Dimen-
sionen, die daselbst zum Schmuck der Wände auf gestellt sind, auch eines in der Größe
eines Altarblattes, welches dem lombardischen Künstler Pellegrino Tibaldi zuge-
schrieben wird.

Was einem jeden Beschauer zu allererst auffallen muß, ist wohl der überwiegende
Einfluß Michelangelos auf den Urheber dieser so reichen und gesuchten Komposition, in
welcher Tibaldi das sonst so einfache Sujet der Anbetung der Hirten dargestellt hat. Man
wird diesen Einfluß nicht bezweifeln können, wenn man die lebhaften Bewegungen, die
Gebärden, die starken Muskulaturen, welche überall hervortreten, in Betracht zieht. —
Pellegrino Tibaldi, kurzweg auch il Pellegrino genannt, hat sich eigentlich mehr als Bau-
meister denn als Maler ausgezeichnet. Ihm gehören bekanntlich die schönsten Teile der
Fassade des Mailänder Domes, wobei er sich freilich die Schuld aufgebürdet (ganz nach
Gesinnung der Zeit), den ursprünglichen gotischen Stil der Kathedrale zugunsten des
seinen, d. h. des barocco, gänzlich aufgegeben zu haben.

Als Maler gehört er zu der großen Zahl Künstler, die von der Macht Michelangelos
durchaus überwältigt wurden.

Die Frage, die sich uns nun angesichts des angeführten, hier abgebildeten Gemäldes
aufdrängt, ist die, ob wir es mit einem Originalwerk des immerhin geschickten Künstlers
oder nur mit einer guten Kopie zu tun haben. In der Galerie Borghese in Rom hängt

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