Fig. 84 Spätgotischer Pokal in Raudnitz.
Deckelplatte
Ein Pokal in Raudnitz mit Reliefs nach Dürers Vorzeichnungen
Von M. J. Friedlaender
Auf Schloß Raudnitz in Böhmen, im Besitze des Fürsten von Lobkowitz, wird ein
hervorragendes Stück deutscher Goldschmiedekunst bewahrt: ein Pokal in spätgotischem
Stil, nicht ganz frei von Renaissanceformen und offenbar nicht in alltäglicher Handwerks-
übung geschaffen, mit auffallend freien und wohlgelungenen Zusätzen von Figürlichem.
Sei es, daß ein Goldschmied über die Grenzen seines Gewerbes hinaus strebte, sei es, daß
ein Zeichner, ein Maler an dem Entwürfe beteiligt war. Dieser Pokal ist der einzige Rest
des reichen Schatzes an Silberschmiedearbeiten im Besitze der Lobkowitz, eines Schatzes,
von dem ein altes Inventar mit Zeichnungen in der Bibliothek von Raudnitz eine schwache
Vorstellung bewahrt hat.
Von der im Grundriß dreibogigen Fußplatte hebt sich schraubenförmig der Stamm,
der die stachelige Cuppa trägt. Am Fuße des Stammes. sitzt eine frei bewegte Frau in
antikischer Gewandung. Fuß und Stamm, Cuppa und ' Deckelfläche sind üppig über-
sponnen mit vielfach gelapptem und hochwelligem Blattwerk.
Einen ungewöhnlichen Schmuck trägt der etwa 42 cm hohe Pokal in zwölf aus Perl-
mutter geschnittenen Rundreliefs, die, nach Material, Behandlung und Inhalt an die
Gemmenkunst der Antike erinnernd, im Stilwiderspruch erscheinen mit der deutschen spät-
gotischen malerischen Naturalistik des Goldschmiedewerkes. Die Medaillons in Muschel-
schnitt -— je etwa 6 cm im Durchmesser — sind eingelassen in das Blattwerk der Cuppa,
der Deckelfläche und ganz oben in die Platte des Griffes. Sieben Szenen aus dem Herakles-
mythus reihen sich um die Cuppa, nämlich die Geburt des Herakles, der Kampf mit
Cerberus, der Kampf mit dem Löwen, mit der Hydra, mit dem Stier, das Davontragen der
Säulen und der Kampf mit Antäus.
Auf der Deckelplatte: Herakles mit dem Kentaur und Dejanira, Herakles auf dem
Scheiterhaufen, der Kampf mit Kakus, Herakles die Himmelskugel tragend.
An fünfter Stelle auf dem Deckel, den Kreis schließend, ist jetzt eine gravierte
Wappenplatte in der Größe der Muschelreliefs zu sehen. Ohne Zweifel ward dieses Doppel-
Deckelplatte
Ein Pokal in Raudnitz mit Reliefs nach Dürers Vorzeichnungen
Von M. J. Friedlaender
Auf Schloß Raudnitz in Böhmen, im Besitze des Fürsten von Lobkowitz, wird ein
hervorragendes Stück deutscher Goldschmiedekunst bewahrt: ein Pokal in spätgotischem
Stil, nicht ganz frei von Renaissanceformen und offenbar nicht in alltäglicher Handwerks-
übung geschaffen, mit auffallend freien und wohlgelungenen Zusätzen von Figürlichem.
Sei es, daß ein Goldschmied über die Grenzen seines Gewerbes hinaus strebte, sei es, daß
ein Zeichner, ein Maler an dem Entwürfe beteiligt war. Dieser Pokal ist der einzige Rest
des reichen Schatzes an Silberschmiedearbeiten im Besitze der Lobkowitz, eines Schatzes,
von dem ein altes Inventar mit Zeichnungen in der Bibliothek von Raudnitz eine schwache
Vorstellung bewahrt hat.
Von der im Grundriß dreibogigen Fußplatte hebt sich schraubenförmig der Stamm,
der die stachelige Cuppa trägt. Am Fuße des Stammes. sitzt eine frei bewegte Frau in
antikischer Gewandung. Fuß und Stamm, Cuppa und ' Deckelfläche sind üppig über-
sponnen mit vielfach gelapptem und hochwelligem Blattwerk.
Einen ungewöhnlichen Schmuck trägt der etwa 42 cm hohe Pokal in zwölf aus Perl-
mutter geschnittenen Rundreliefs, die, nach Material, Behandlung und Inhalt an die
Gemmenkunst der Antike erinnernd, im Stilwiderspruch erscheinen mit der deutschen spät-
gotischen malerischen Naturalistik des Goldschmiedewerkes. Die Medaillons in Muschel-
schnitt -— je etwa 6 cm im Durchmesser — sind eingelassen in das Blattwerk der Cuppa,
der Deckelfläche und ganz oben in die Platte des Griffes. Sieben Szenen aus dem Herakles-
mythus reihen sich um die Cuppa, nämlich die Geburt des Herakles, der Kampf mit
Cerberus, der Kampf mit dem Löwen, mit der Hydra, mit dem Stier, das Davontragen der
Säulen und der Kampf mit Antäus.
Auf der Deckelplatte: Herakles mit dem Kentaur und Dejanira, Herakles auf dem
Scheiterhaufen, der Kampf mit Kakus, Herakles die Himmelskugel tragend.
An fünfter Stelle auf dem Deckel, den Kreis schließend, ist jetzt eine gravierte
Wappenplatte in der Größe der Muschelreliefs zu sehen. Ohne Zweifel ward dieses Doppel-