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Kunsthistorisches Institut <Wien, Universität> [Hrsg.]
Jahrbuch des Kunsthistorischen Institutes — 7.1913

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Tietze, Hans: Ein Passionszyklus im Stifte Schlägl
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https://doi.org/10.11588/diglit.28308#0213
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Ein Passionszyklus im Stifte Schlägl

Von Hans Tietze

Noch ist die Geschichte der österreichischen Kunst des XV. Jhs. voll Untiefen und
gefährlicher Stellen. Den Einwirkungen, die von allen Seiten hier zusammenströmen und
den vielen fremden Meistern, die hier auftauchen, kann keine genügend geschlossene hei-
mische Entwicklung gegenüberg-estellt werden, an der doch jene fremden Einschläge erst
meßbar und bewertbar würden. Diese Unsicherheit des ganzen Zusammenhanges, die in
der Malerei vielleicht am auffallendsten ist, erschwert die Erkenntnis jedes einzelnen Werkes;
fast immer stehen die Möglichkeiten, daß es ein eingesprengter Fremdkörper oder daß es das
Produkt der ungenügend erkannten endogenen Entwicklung sei, einander unheimlich nahe.
Der Lokalforscher verstummt verlegen vor den Überraschungen, die ihm jeder Schritt bringt,
und hindert so die allgemeine Kunstforschung, das entscheidende Wort über Rätsel zu
sprechen, die es vielleicht doch nur für eine beschränkte südostdeutsche Perspektive sind.

So läßt sich erklären, daß von dem merkwürdigen Passionszyklus im Prämonstratenser-
stifte Schlägl, der hier publiziert wird, in der kunstgeschichtlichen Literatur noch niemals
die Rede war; allzu viele Kunsthistoriker haben die interessante Bildersammlung des im
rauhen Bergland des oberösterreichisch-böhmischen Grenzgebietes gelegenen Klosters ja
nicht gesehen, wer die Bildfolge aber zu Gesicht bekam, mochte versuchen, die neun Tafeln
in irgend einem Winkel, irg'end einer Sackgasse der heimischen Entwicklung unterzubringen
und diese Bemühung mußte — das kann ich aus eigener Erfahrung bekräftigen — fruchtlos
bleiben. Kein Fingerzeig über die Provenienz der Bilder gibt einen Anhaltspunkt zu ihrer
Bestimmung; alter Besitz des Klosters scheinen sie nicht zu sein, wenigstens berichtet eine
mündliche Tradition, ein Münchner Maler — dessen Name Müller jedes Nachforschen resul-
tatlos machen dürfte — habe in den Siebzigerjahren des XIX. Jhs. diese Bildfolge — oder
einen Teil davon — nach Schlägl gebracht. Ist diese Überlieferung richtig, sind die Bilder
von auswärts gekommen, dann entfällt die Notwendigkeit, ihren Entstehungsort in einem
engeren Kreise zu suchen und die Stilkritik ist berechtigt, sich ohne weitere Schranken
um ihre Einordnung und Bestimmung zu bemühen.

Zunächst ist — weil jenes Fragment mündlicher Überlieferung es zweifelhaft machen
könnte — an der Zusammengehörigkeit der Bildfolge festzuhalten. Sie besteht aus acht
Tafeln (Breite 34/9 cm, Höhe 37-1 cm), deren Einheitlichkeit auf den ersten Blick evident ist
(Fig. 86—93), und der doppelt größeren Kreuzigungstafel (Breite 68'2 cm, Höhe 74 cm), die zu-
nächst etwas abzuweichen scheint. Sie ist sorgfältiger ausgeführt, trotz der größeren Dimen-
sionen detailreicher, dennoch aber von den anderen nicht zu trennen; stilistisch stimmt sie
— wenn sie etwa auch von einer feineren Hand herrühren könnte — völlig mit den kleinen
Bildern überein, vom Stimmungsgehalt und dem allgemeinen Verhältnis zum Raum begin-
nend bis zur Typenbildung und zu den Details von Gras und Blumen auf dem Boden. Es
dürften also ursprünglich um die Kreuzigung in der Mitte die halb so kleinen Tafeln beider-
 
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