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i88

Hans Tietze Ein Passionszyklus im Stifte Schlägl

Schaft der Schlägler Bilder mit solchen Erzeugnissen der führenden französischen Malerei
zu konstatieren, in denen die Vornehmheit der Hofschule größerer Derbheit Platz gemacht
hat, wie z. B. der Flucht nach Ägypten der Sammlung Cardou in Brüssel oder nament-
lich einer Passionsfolge im Besitz des Grafen Durrieu in Paris, aus der die Dornenkrönung
publiziert ist und wie ein älterer Vetter der Bilder in Schlägl wirktlß). Der leidende Christus
sitzt frontal auf der gleichen unperspektivischen, aber einen Raumeindruck erzwingenden
Bank, vier Schergen umgeben ihn mit energischen Bewegungen, überschneiden einander
und bringen dieselbe .Seichträumigkeit hervor, mit der wir es in Schlägl zu tun haben.
Nur in stärkerer Plastizität der einzelnen Figuren wird hier die spätere Stilstufe deutlich.

Reicht der Schlägler Zyklus so ziemlich tief in die Vergangenheit zurück, so führt uns
das Kreuzigungsbild bis an die Schwelle des von den Niederlanden ausgehenden inter-
nationalen Stils. Wohl kann man — wie es bei den stilistisch entsprechenden westfälischen
Bildern konstatiert worden ist17) — in vielen Einzelheiten niederländische Elemente nach-
weisen, im ganzen aber ist, wie wir hervorzuheben hatten, die Vereinheitlichung des
Raumausschnittes noch nicht erreicht, die als das eigentliche Ziel dieser Bewegung ihr
entscheidendes Kriterium genannt werden muß.

Dadurch aber, daß Vorgänge des Stilwandels, die sich in der allgemeinen westeuropäi-
schen Entwicklung über mehrere Jahrzehnte erstrecken, in Schlägl in ein einziges Werk
zusammengedrängt erscheinen, wird uns eine Grundtatsache alles künstlerischen Geschehens
in eindringlicher Weise vor Augen geführt: an den allgemeinen Strömungen hat wohl alle
Entwicklung teil, aber die Rechte des einzelnen werden dadurch nicht aufgehoben. Jede
Schule, jede Werkstatt, jeder Einzelkünstler setzen sich mit dem allgemeinen Geschehen,
dem sie sich nicht entziehen können, in individueller Weise auseinander und bauen sich —

_Ijmitivität des Trecento und der Reife der modernen Malerei

W6 | ägler Zyklus — aus den Elementen, die der große Strom mit

Wollen, ihren persönlichen Nöten entsprechend ihre persön-
Iwicklungsgeschichtlichen Abstraktion, die die entscheidenden
ins zu einer überpersönlichen Gesetzmäßigkeit verallgemeinert,
iheinungen unangetastet und die Kunstgeschichte schildert —
[issenschaft — das Unersetzliche einer einmaligen Tatsache.

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b. S. 152, Fig. 82.

n) H. Schmitz, Soest a. a. O. S. 92.
 
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