Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Hans Tietze Ein Passionszyklus im .Stifte Schlägl

177

Fig. 89 Geißelung Christi. Stift Schlägl

Richter, alle spielen sich in neutralen Räumlichkeiten ab. Dieses Ausscheiden des Tief-
raumes ist aber nicht einem Verzicht auf Raumeindruck überhaupt gleichzusetzen; in dem
seichten Streifen, der den Kompositionen zugestanden ist, sind die Figuren zwanglos hinter-
einander gestellt und vielfach überschnitten und auch bei den einzelnen Figuren besitzt die
Verkürzung oft beträchtliche Überzeugungskraft. Die Gruppe mit Christus vor dem Hohen-
priester oder die bei der Geißelung wirken innerhalb der zugemessenen Tiefe wirklich räum-
lich und auch bei der Kreuzschleppung bleibt zwischen dem Krieger mit der phantastischen
Kopfbedeckung und dem Riesenkerl, der die Schaufel trägt, ein deutliches Intervall. Den
klarsten Ausdruck der Raumgestaltungsabsichten dürfen wir bei der Kreuzigung erwarten, die
der Gepflogenheit entsprechend in eine Landschaft hineingestellt ist (Taf. VII). Auf grünem
Grasboden, auf dem büschelweise Primeln wachsen, ist das Kreuz aufgerichtet, das sich hell
von der dunkeln Baumkulisse abhebt, die den Mittelgrund füllt; zusammen mit den dichten
Figurengruppen links und rechts verhindert sie jeden Zusammenhang mit dem sanften
Hügelgelände des Hintergrundes, dessen Hauptlinien von der tiefsten Einsenkung schief
hinter dem Kreuz in wirkungsvoller Parallelität zu den ausgestreckten Armen des Gekreu-
zigten allmählich ansteigen. Das durch den Körper Christi, die beiden Heiligenscheine und
das weiße Hemd des Knechtes noch gesteigerte Dunkel der Baumgruppe vertieft sich zu-

Kunstgeschichtliches Jahrbuch der k. k. Zentral-Kommission 1913 23
 
Annotationen