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Josef Weingartner Bemalte Bildstöcke in Tirol
geschlitzten Augen sind durchaus schematisch und
ausdruckslos. Und wenn auch diese Qualitäten der
allgemeinen damaligen Stilentwicklungsstufe und
nicht allein diesem einzelnen Maler zur Last fallen
mögen, so beweist schon allein die reizlose, un-
beholfene Zeichnung die mindere Begabung des
Meisters. In den Händen (vgl. die Rechte der thro-
nenden Madonna, die Linke der hl. Katharina, beide
Hände des hl. Christoph) tritt dieser Übelstand be-
sonders deutlich ans Licht. Auch braucht man die
Bilder nur mit anderen ungefähr gleichzeitigen Tiroler
Form des Bildstockes selber. Dann die einfache und
grobe Art der Umrahmung und der Füllornamente
an den Zwischenwänden, die um 1400 auch in den
abgelegensten Bergkirchlein Tirols ganz allgemein
weit fortgeschrittener und zierlicher ist. Und Lienz
war doch die Residenz der Görzer. Auch die raum-
lose Wirkung der Gemälde, die zwar den einzelnen
Körper leidlich modellieren, im übrigen aber nach
keiner Vertiefung und keinem Raumzusammenhange
streben und Boden, Landschaft und Luftraum nur
durch nicht mehr verstandene, schematische Band-
Fig. 2 Bildstock in Lienz. Kreuzigung
Wandgemälden, etwa mit den Fresken im Schlosse
Tirol, zu vergleichen, um ohneweiters einzusehen,
daß uns bei diesem Bildstock nicht die volle Höhe
der damaligen Entwicklung, auch nicht der lokal-
tirolischen, entgegentritt. Am besten ist dem Maler
noch die Figur der thronenden Madonna gelungen.
Trotzdem kommt dem Bildstock ein bedeuten-
der Denkmalswert zu, und zwar wegen seines hohen
Alters. Denn er ist der einzige Bildstock Deutsch-
tirols, dessen Bemalung noch in die zweite Hälfte
des XIV. Jhs. zurückreicht.
Daß der Bildstock nicht nach 1400 entstanden
sein kann, dafür spricht schon die massige, plumpe
und an der Ostseite sogar gänzlich unregelmäßige
streifen andeuten, kann als Beweis angeführt wer-
den. Gerade dies altertümliche Motiv, das bekannt-
lich auf spätantike Traditionen zurückgeht und
wahrscheinlich nichts anderes als die Versteinerung
der Farbenperspektive, des abgestuften Himmels, ist,
kommt im XV. Jh. nirgends mehr vor und dürfte
selbst für das XIV. eine Seltenheit sein.
Überhaupt hat die große Stilerneuerung, die
von der italienischen Trecentokunst ausging und
gegen Ende des XIV. Jhs. auch schon ganz Tirol
eroberte, diese Bilder noch wenig berührt. Es
sind noch die alten, frühgotischen Kompositionen,
die typischen, lächelnden Gesichter mit den ge-
schlitzten Augen und auch die Farben halten sich
Josef Weingartner Bemalte Bildstöcke in Tirol
geschlitzten Augen sind durchaus schematisch und
ausdruckslos. Und wenn auch diese Qualitäten der
allgemeinen damaligen Stilentwicklungsstufe und
nicht allein diesem einzelnen Maler zur Last fallen
mögen, so beweist schon allein die reizlose, un-
beholfene Zeichnung die mindere Begabung des
Meisters. In den Händen (vgl. die Rechte der thro-
nenden Madonna, die Linke der hl. Katharina, beide
Hände des hl. Christoph) tritt dieser Übelstand be-
sonders deutlich ans Licht. Auch braucht man die
Bilder nur mit anderen ungefähr gleichzeitigen Tiroler
Form des Bildstockes selber. Dann die einfache und
grobe Art der Umrahmung und der Füllornamente
an den Zwischenwänden, die um 1400 auch in den
abgelegensten Bergkirchlein Tirols ganz allgemein
weit fortgeschrittener und zierlicher ist. Und Lienz
war doch die Residenz der Görzer. Auch die raum-
lose Wirkung der Gemälde, die zwar den einzelnen
Körper leidlich modellieren, im übrigen aber nach
keiner Vertiefung und keinem Raumzusammenhange
streben und Boden, Landschaft und Luftraum nur
durch nicht mehr verstandene, schematische Band-
Fig. 2 Bildstock in Lienz. Kreuzigung
Wandgemälden, etwa mit den Fresken im Schlosse
Tirol, zu vergleichen, um ohneweiters einzusehen,
daß uns bei diesem Bildstock nicht die volle Höhe
der damaligen Entwicklung, auch nicht der lokal-
tirolischen, entgegentritt. Am besten ist dem Maler
noch die Figur der thronenden Madonna gelungen.
Trotzdem kommt dem Bildstock ein bedeuten-
der Denkmalswert zu, und zwar wegen seines hohen
Alters. Denn er ist der einzige Bildstock Deutsch-
tirols, dessen Bemalung noch in die zweite Hälfte
des XIV. Jhs. zurückreicht.
Daß der Bildstock nicht nach 1400 entstanden
sein kann, dafür spricht schon die massige, plumpe
und an der Ostseite sogar gänzlich unregelmäßige
streifen andeuten, kann als Beweis angeführt wer-
den. Gerade dies altertümliche Motiv, das bekannt-
lich auf spätantike Traditionen zurückgeht und
wahrscheinlich nichts anderes als die Versteinerung
der Farbenperspektive, des abgestuften Himmels, ist,
kommt im XV. Jh. nirgends mehr vor und dürfte
selbst für das XIV. eine Seltenheit sein.
Überhaupt hat die große Stilerneuerung, die
von der italienischen Trecentokunst ausging und
gegen Ende des XIV. Jhs. auch schon ganz Tirol
eroberte, diese Bilder noch wenig berührt. Es
sind noch die alten, frühgotischen Kompositionen,
die typischen, lächelnden Gesichter mit den ge-
schlitzten Augen und auch die Farben halten sich