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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 3.1885

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Schneider, Robert: Über zwei unedirte griechische Bronzen
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https://doi.org/10.11588/diglit.5882#0007
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2

Robert Schneider.

des Gesichtes. Die grossen, gerade ausblickenden Augen mit ihren plastisch bezeichneten Pupillen glotzen
unter hochgeschwungener Braue wie aus einem Schlitze hervor. Die Ohren sind gross, stehen weit zurück
und scheinen wie auf das Haar geheftet. Das Haar bedeckt in breiter, unten gerade abgeschnittener Masse
den Nacken und die Schulterblätter, und ist über der Stirne zu einem diademartigen Geflechte gewunden,
das rechts und links in je zwei lange, hinter den Ohren auf die Brust symmetrisch herabhängende, gleich
geriefelten Bändern gebildete Locken sich spaltet. Die Körperformen sind mager und, vom Halse und
den Flanken des Rumpfes abgesehen, klar und bestimmt in ihrer Modellirung. Die gedrungene Gestalt,
den breiten Schultergürtel, die kurzen, dünnen Arme, die eingezogene Taille, das tiefliegende Kreuz und
die prallen Glutaeen hat mit anderen alterthümlichen Figuren die unsere gemein. Die Rippenbogen sind
leblos schematisch oder vielmehr geradezu unverstanden durch einen steilen Halbkreis angedeutet. Sorg-
fältig sind der gerade Bauchmuskel mit seinen drei Inscriptionen über dem Nabel und der Linea alba sowie
die schlanken, den Rumpf um ein Drittel an Länge übertreffenden Beine und insbesondere die Kniee geformt.
Die Oberschenkel blieben indess in ihrem oberen Theile von einander ungetrennt. Das Schienbein tritt
scharfkantig hervor. Nabel und Schamberg, Finger und Zehen sind mit dem Stichel, das Haar mit dem
Bunzen bearbeitet. Im Ganzen ist die Ausführung der nach dem Gusse geglätteten Statuette etwas trocken.
Die Patina ist hart, von dunkelgrüner Farbe mit braunen Rostflecken, die Erhaltung fast tadellos. Ein
Gussfehler an dem rechten Vorderarme ist nachträglich ausgebessert worden.

Die Figur gehört ihrem Schema nach der jüngeren Gruppe der Apollonbilder an, jener, welche, indem
sie die aufrechte Haltung mit vorgesetztem linken Fusse beibehält, die Arme nicht mehr herabhängend,
sondern in etwas freierer Bewegung zeigt. Verschieden von den Bronzestatuetten aus Piombino im Louvre1
und aus Naxos im Antiquarium zu Berlin,2 sowie der archaistischen aus der Gaddi'schen Sammlung im
britischen Museum3 erhebt sie freilich nur den rechten Vorderarm und auch dieser hält ungleich den
genannten kein Attribut. Trotz der verschiedenen Formengebung weist das kleine Werk dieselbe Summe
anatomischer Kenntnisse auf wie jene es an Bedeutung und Grösse übertreffenden Figuren, und ich vermag
den Grund nicht einzusehen, der uns veranlassen sollte, es einem späteren Zeitalter zuzusprechen als diese. 4-

Manche der uns erhaltenen Bronzen alten Stiles sind durch Inschriften als Anatheme bezeichnet. So
nennt sich auf einer kleinen Jünglingsfigur aus dem Museo Nani, später im Gabinet Pourtales und jetzt in
der Ermitage in St. Petersburg, ein Polykrates als Spender.5 Ein Bronzefigürchen aus Chalkis, den blitz-
schleudernden Zeus oder den dreizackschwingenden Poseidon darstellend, haben zwei Männer, deren Namen
nicht mit voller Sicherheit zu lesen sind, dem ismenischen Apollon,6 das Figürchen eines schwerbewaffneten
Kriegers, gefunden in Selinus in Lakonien und im Varvakion zu Athen aufbewahrt, hat ein Charillos dem
Apollon Maleates7 geweiht. Die oben genannte Statue des Apollon aus Naxos ist diesem Gotte von einem
Deinagoras, die aus Piombino aus einem Zehnten der Athena von einem Charidemos dargebracht worden.
Fehlt unserer Bronze auch die Weihinschrift, so dürfte ihr doch eine gleiche Bestimmung zugekommen sein.

1 Longperier, Notice des bronzes antiques no 69. — Abgebildet Monumenti dell' Istituto, vol. I, tav. LVII1. LIX, besser
in Rayet et Thomas, Milet et le golfe latmique, pl. XXIX.

2 Archäologische Zeitung XXXVII (1879), Taf. VII.

3 A guide to the bronze room, p. 12; Gori, Museum Etruscum, tab. LI; Specimens of antient sculpture, vol. I, pl. XII
(darnach Müller-Wiescler, Denkmäler der alten Kunst I, 4, 21; Annali dell' Istituto 1834, tav. D, 4; Conze, Heroen- und Götter-
gestalten, Taf. LVII, 2); besser Rayet et Thomas, Milet et le golfe latmique, pl. XXVIII, 2.

4 Sehr verwandt mit der Statuette der kaiserlichen Sammlung, wenngleich von weit weniger sorgfältiger Ausführung, ist
die fragmentirte Bronze aus Liguriö in Argolis (nicht weit von Epidauros) im Museum zu Basel (Bernoulli, Katalog Nr. 113),
abgebildet Nuove memorie dell' Istituto, tav. XII, 2 = Vischer, Kleine Schriften, Bd. II, Taf. XVII, 2. — Man vergleiche ferner
eine Bronzefigur aus Olympia, welche indess beide Arme erhebt, Ausgrabungen zu Olympia IV (1878/79), Taf. XXIII, 1 und
XXV a, 2. — Eine nur 0-085 M. hohe Statuette aus Athen, echt archaischen Stiles, aber von geringer Arbeit, übrigens von anderem
Gesichtstypus als die unsere, ist im Besitze des Fräuleins Kupelwieser.

5 Vente de la collection Pourtales, n° 546. — Am besten abgebildet Panofka, Antiquites du cabinet du comte Pourtales-
Gorgier, pl. XIII, I. Die Inschrift im Corpus inscr. graecarum, vol. I, Nr. 6; vgl. Kirchhoff, Studien zur Geschichte des griechischen
Alphabets, S. 28 der dritten Auflage.

ß Mittheilungen des deutschen archäologischen Institutes in Athen, Bd. I, Taf. V; vgl. Kirchhoff, Studien, S. 104.
7 Mittheilungen des deutschen archäologischen Institutes, Bd. III, Taf. I, Fig. 2; vgl. Bulletin de correspondance hellenique,
vol. I, p. 355, no 31.
 
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