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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 4.1886

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I. Theil: Abhandlungen
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Ilg, Albert: Giovanni da Bologna und seine Beziehungen zum kaiserlichen Hofe
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https://doi.org/10.11588/diglit.5533#0048
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40 Albert Ilg.

Das hervorragendste Motiv der Figur besteht in der graziösen Stellung des Stand- und Spielbeines,
wofür als Typus bei Giovanni da Bologna dessen liebliche kleine Marmorfigur in der Grotticeila des
Boboligartens in Florenz angesehen werden muss. In dieser von Cosi Lotti, Schüler des Buontalenti, hinter
der grossen Felsenhöhle errichteten Grotte bildet die 5o Cm. hohe Gestalt die Bekrönung der gleichfalls
marmornen Fontaine. Baldinucci1 bezeichnet sie einfach als »una bella femina«, es ist wohl, wie bei
allen diesen reizenden Figürchen, eine Venus gemeint. Wie aus der Heliogravüre bei Desjardins ad p. 93
hervorgeht, erblicken wir hier wieder das im Knie gebogene, auf den Sockel gestützte linke Bein, daneben
das andere als Standbein. Auch der am Körper hinabhängende Arm mit dem Tuche fehlt nicht, nur dass
es bei der Venus der Grotticella der linke statt des rechten ist und die Draperie auf einer Vase liegt, statt
an das Bein angedrückt zu sein. Form und Ausdruck des Hauptes, sowie dessen Neigung stimmen voll-
kommen, nur dass die Wendung mehr nach rechts genommen wurde. Die Haartracht unterscheidet sich
blos dadurch, dass die Marmorfigur ein Diadem und dahinter einen übergelegten, geflochtenen Zopf trägt.
Verwandt ist die Bewegung des rechten Armes, doch nicht identisch, denn dessen Hand ist zwar auf die
Brust gedrückt, jedoch nicht auf die ihm zunächst befindliche, und ohne das Tuch.

Die Pose der Beine begegnet abermals an der schönen Nymphenfigur, welche ehemals in der Villa
von Castello war, seit der Regierung des Grossherzogs Pietro Leopoldo aber sich in jener zu Petraia befand,
einer Bronze Giovannis auf einem Marmorbrunnen des Tribolo. Die Bewegung des Oberkörpers und der
Arme hat zwar nichts mit der Wiener Statuette gemein — die Nymphe windet das Wasser aus ihren langen
Haaren — dagegen gleicht sich die Stellung der Füsse, nur dass das linke Bein sich hier auf eine Urne
statt des dreieckigen Stylobats aufstützt.2 Interessant ist ferner folgende, bei Baldinucci 1. c. enthaltene
Angabe über eine sich abtrocknende Venus des Meisters, deren eigenthümliches Schicksal folgendermassen
erzählt wird: »Per Giovangiorgio Cesarino scolpi in marmo una Venere in atto di rasciugarsi, opera si lodata,
che e fama, che di notte tempo ella, con una certa macchina fatta e foggia di mazzacavallo, fosse rapita dal
suo giardino; e dicesi, che in ultimo ella venisse in potere de Lodovisi.« Endlich bezeugen auch die kleinen
Bronzen des Cupido und Apollo im Barghello die Vorliebe des Meisters für jene Stellung, wodurch er den
Gestalten so viel Grazie und Anmuth zu verleihen wusste. (Desjardins, Abbildung p. 133 und 134.)

Ich gehe zur Charakterisirung der grösseren, vergoldeten Statuette über. Die ebenfalls unbekleidete
Figur erscheint in verwandter Stellung mit rechtem Standbein, das linke im Knie scharf gebogen, auf einen
5 Cm. hohen, dreiseitigen Sockel mit abgestumpften Kanten ohne jede Verzierung gestützt. Neben dem
Sockel steht auf dem Boden eine Himmelssphära mit eingravirtem Zodiacus, Sternen und Meridianen,
zwischen welchen die Worte: SOL — LVNNA — VENNVS (die 3 immer verkehrt!), daneben einige kleinere
Instrumente. Diese Attribute vermögen den herkömmlichen Namen der Geometrie nicht zu rechtfertigen,
die Gestalt scheint vielmehr eine Urania vorzustellen. Der Oberkörper stützt sich mit dem linken Arme
nach dieser Seite, in Folge dessen die rechte Hüfte mächtig ausgebogen eine prachtvolle Contour bildet.
Dabei dreht sich die Brustpartie ganz entschieden nach links, so dass auch der Ellbogen des rechten
Armes auf jener Seite aufgestützt ist. Beide Arme, der linke mit der Hand, der rechte mit dem Ellbogen,
ruhen nämlich auf einer 16 Cm. hohen, schmalen Tafel, welche schräg auf dem genannten dreiseitigen
Sockel aufgestellt ist, darüber liegt ein Winkelmass und eine fransengarnirte Draperie, welche bis zum
linken Fusse herabhängt. Die schlanken Finger der linken Hand halten, wie sie auf dem Winkelmasse
ruhen, zugleich einen Zirkel und einen kurzen Massstab. Jene der bis zur linken Achsel emporreichenden
Rechten greifen spielend in die Schlinge eines Riemens, welcher diagonal den Oberkörper umgibt und mit
einer Schnalle geschlossen ist. Auf dem Rückentheile dieses Bandes stehen die eingravirten Worte: GIO
BOLONGE. Der Kopf hat schwesterlich-ähnlichen Typus wie jener der ersten Figur, seine Haltung ist
gleichfalls etwas vorgeneigt, nach rechts über die Schulter hinabblickend. Ueberaus reich ist das in Zöpfe
geflochtene Haar frisirt, von dem eine Locke über den Nacken herabfällt.

1 VII, p. 106.

2 Vergl. Baldinucci, VII, p. 106: » getto poi una femmina in atto di pettinarsi le chiome, per Ia villa di Castello«.
Desjardins, p. 98—100, mit Abbildung.
 
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