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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 12.1891

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Abhandlungen
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Schäffer, August: Die Landschaften der Gemälde-Galerie des Allerhöchsten Kaiserhauses
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https://doi.org/10.11588/diglit.5903#0254
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Die Landschaften der Gemälde-Galerie.

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gezogen werden darf, ist die »Heilige Margaretha«,1 jenes Bild, das, bevor es Passavant dem Giulio
Romano zuerkannte, ebenfalls für ein unzweifelhaftes Werk Raphael's angesehen wurde, als das es
auch in dem Inventare des Erzherzogs Leopold Wilhelm verzeichnet erscheint.2 Die Heilige steht in
einem tiefen Felsengrunde. Unheimliches Dunkel erfüllt den engen, oben vom Walde begrenzten
Raum, in welchem sie mit dem gebändigten Drachen verweilt. Ernst und stimmungsvoll ragt ein
Stückchen grauen Himmels über den Rand der Schlucht heraus, während leicht darüber geführte
Bäumchen und Zweige die Helle desselben abdämpfen. Die landschaftliche Behandlung ist eine breite,
ja kühne und intonirt schon sichtlich den freieren Vor-
trag der Nachfolgerschaft Raphael's.

Das unter Schule Raphael's aufgestellte Bild-
chen »Christus und die Samaritin«,3 welches nach der
Notiz des Galerie-Kataloges von Eduard R. v. Engerth
von dem ferraresischen Maler Girolamo da Carpi
sein könnte, spricht auch in seinem landschaftlichen
Theile für die demselben zugedachte Herkunft.

Die Landschaft ist sehr hübsch erzählt und zeigt
uns dieselbe Romantik, der wir in so ausgeprägtem
Maasse in den landschaftlichen Compositionen der nie-
derländischen und deutschen Meister derselben Zeit be-
gegnen. Links, hineingedrängt in einen schattigen Berg-
winkel, steht eine befestigte Stadt, worüber sich ein
grotesk geformter, felsiger Berg mit einer ausgebreiteten
Burg erhebt, deren mächtige Bauwerke, auf zwei durch
einen Felsspalt von einander getrennten Terrains stehend,
mit einer Brücke verbunden sind. Die fernen, mehr in
die Mitte des Thaies herabgeschobenen Hügel zieren
münsterartige Thürme, um die sich kleine Ortschaften
gruppiren, während abwechselnd steil abfallende felsige
Bergrücken mit Burgen und Schlössern besetzt sind.
Ueber der reich coneipirten Landschaft baut sich eine
stimmungsvoll bewegte Luft auf.

Durch die glücklich vollzogene Restaurirung eines
Bildes von Luca Signorelli, darstellend Mariae Ver-
kündigung 4 (Fig. 2), ist die kaiserliche Sammlung um ein Bild reicher geworden, das namentlich in
dem Rahmen dieser Besprechung volle Beachtung verdient, indem die in den linken Bogen des Bildes,
welcher den Ausblick ins Freie gewährt, hineincomponirte Landschaft, wenn sie auch nicht mehr in
der ganzen Erhaltung auf uns gekommen ist, den Charakter erkennen lässt, in welchem von den um-
brischen und florentinischen Meistern das Wesen der Landschaft erfasst worden ist. Schon aus den er-
haltenen Details von Strauch und Baum, desgleichen aus der Form und Farbe von Terrain und Fels,
geschweige denn aus dem feinen Linienreiz und dem wohlgerundeten landschaftlichen Aufbau lässt sich
unverkennbar der bereits obenerwähnte Einfluss constatiren, den Signorelli auch auf diesem Gebiete
seiner Kunst auf den etwa um 40 Jahre jüngeren grossen Urbinaten ausgeübt hat. Aus der beifolgen-

1 Nr. 248 des beschreibenden Verzeichnisses der kaiserlichen Gemäldesammlung von Eduard R. v. Engerth.

2 1657 mit der Sammlung des Erzherzogs nach Wien gebracht (s. weiters wie oben); Inventar Leopold Wilhelms
vom Jahre 1659, Nr. i3o.

3 Nr. 362 des beschreibenden Verzeichnisses der kaiserlichen Gemäldesammlung von Eduard R. v. Engerth; aus
der Sammlung des Erzherzogs Leopold Wilhelm, Inventar vom Jahre 1659, Nr. 436.

4 Nr. 434 des beschreibenden Verzeichnisses der kaiserlichen Gemäldesammlung von Eduard R. v. Engerth;
s. dessen Notiz über die Provenienz dieses Bildes.

Fig. 2. Signorelli, »Mariae Verkündigung«.
 
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