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Julius von Schlosser.
vollständig übereinstimmen; auch waren die eigentlichen Originale gewiss, wie die Berliner Exemplare
beweisen, in Bronze geprägt; die Silberstücke sind hors d'ceuvres. Für einen Münzmeister aber waren
die römischen Prägungen ein ganz natürliches Vorbild.
Völlig selbstständig und von höchstem Interesse sind die Aversseiten der beiden Medaillen, von
denen die noch gänzlich mittelalterlichen Kehrseiten seltsam abstechen. Die beiden Köpfe könnten
ebensogut ein halbes Jahrhundert später entstanden sein: nur die gothische Majuskel der Legende er-
innert daran, dass sie noch Erzeugnisse des ausgehenden Trecento sind. Sind doch die Bildnisse der
beiden Fürsten völlig im Geiste der römischen Antike gehalten; namentlich die Medaille des jungen Fran-
cesco erinnert auffallend, auch im charakteristischen Halsabschnitt, an die Grossbronzen des Vitellius
(Fig. i). Doch ist der Typus nur im Allgemeinen angenähert, sowie die Büste des älteren Franz mit
der eigenthümlichen Schulteransicht im Paludamentum nur von Ferne an Medaillons der späteren
Kaiserzeit, des Commodus und Septimius Severus in achilleischer Auffassung, anklingt. Beide Porträte,
namentlich aber das des älteren Francesco, haben ausserordentlich viel Individuelles; sie sind, zumal
für jene frühe Zeit, Meisterleistungen ersten Ranges. Eben deshalb glaube ich diese kräftige, indivi-
duelle Charakteristik, in der sich der Realismus des oberitalischen Quattrocento bereits vernehmlich an-
kündigt, fast durchaus auf Rechnung des Künstlers setzen zu sollen. Por-
träte der Carrara sind nicht erhalten; nur die Schilderung eines gleich-
zeitigen Chronisten1 lehrt uns, dass Francesco Novello von untersetzter,
, wohlbeleibter Statur und von etwas hochmüthigem Gesichtsausdrucke ge-
i wesen ist, was ja auf das Porträt seiner Medaille im Allgemeinen zutrifft,
f Doch ist die Aehnlichkeit sehr geschmälert durch die antikisirende Auf-
fassung: die Bartlosigkeit, das kurz geschorene Haupthaar, die heroische
Nacktheit, lauter Dinge, die mit der geschniegelten höfischen Tracht vom
Ende des XIV. Jahrhunderts, wie wir sie aus gleichzeitigen Monumenten
Fig. i. kennen, in directem Widerspruche stehen. An den Höfen jener Zeit, die alle
Sesterz des Vitellius. unter französischem Einflüsse standen, herrschte im deutschen Norden wie in
der Lombardei die gleiche Mode: der kurze Zwickelbart, das perrückenartig
verschnittene Haupthaar; nicht anders als ihre Nachbarn, die Scaliger und die Visconti, werden sich
auch die Carrara, deren Hof vom gleichen ritterlichen Geiste erfüllt war, getragen haben.2
So haben wir also die höchst merkwürdige Erscheinung zu verzeichnen, dass am Ende des
XIV. Jahrhunderts kleine oberitalische Fürsten ihr antikisirendes Idealporträt auf Bronzemünzen, die
den Sesterzen der römischen Kaiserzeit nachgeahmt sind und die die Erinnerung an ein historisch be-
deutsames Ereigniss festhalten sollen, haben prägen lassen: zugleich die ersten modernen Medaillen,
die wir kennen.
Dass es gerade der so charakteristische Typus des Vitellius ist, den jene alten Münzmeister als
Vorbild gewählt haben, ist nicht minder merkwürdig. Denn auch in jener späteren Renaissance, deren
Vorspiel diese Medaillen sind, hat die üppige Bildung des kaiserlichen Schwelgers die Künstler stets
wieder zur Nachahmung angereizt; so sind jene zahlreichen Vitelliusbüsten unserer Sammlungen ent-
standen, deren schönste Exemplare wohl die im Museo Civico zu Venedig (aus Palazzo Grimani) und
im Hofmuseum zu Wien sind3 und in denen die Renaissance, ihrer Lehrmeisterin mit Glück nach-
eifernd, geradezu den Typus üppigen Sinnenlebens geschaffen hat.
1 Bei Dall'Acqua, a. a. O., S. 40.
2 Siehe charakteristische Beispiele der damaligen Mode, Haupt- und Barthaar zu tragen, in meinen Publicationen der
Wenzelsbibel (Jahrbuch XIV), des veronesischen Bilderbuches der Cerruti (ib. Bd. XVI) und besonders das charakteristische
Porträt des Consignorio della Scala, das Kenner im XVII. Bande dieses Jahrbuches, S. 246, publicirt hat.
3 Bernoulli, Römische Ikonographie II, 2, Tafel V und VI. Schon Visconti — und nach ihm die Mehrzahl der
Archäologen — hat der Ueberzeugung von dem modernen Ursprünge fast aller dieser Büsten Ausdruck gegeben.
Julius von Schlosser.
vollständig übereinstimmen; auch waren die eigentlichen Originale gewiss, wie die Berliner Exemplare
beweisen, in Bronze geprägt; die Silberstücke sind hors d'ceuvres. Für einen Münzmeister aber waren
die römischen Prägungen ein ganz natürliches Vorbild.
Völlig selbstständig und von höchstem Interesse sind die Aversseiten der beiden Medaillen, von
denen die noch gänzlich mittelalterlichen Kehrseiten seltsam abstechen. Die beiden Köpfe könnten
ebensogut ein halbes Jahrhundert später entstanden sein: nur die gothische Majuskel der Legende er-
innert daran, dass sie noch Erzeugnisse des ausgehenden Trecento sind. Sind doch die Bildnisse der
beiden Fürsten völlig im Geiste der römischen Antike gehalten; namentlich die Medaille des jungen Fran-
cesco erinnert auffallend, auch im charakteristischen Halsabschnitt, an die Grossbronzen des Vitellius
(Fig. i). Doch ist der Typus nur im Allgemeinen angenähert, sowie die Büste des älteren Franz mit
der eigenthümlichen Schulteransicht im Paludamentum nur von Ferne an Medaillons der späteren
Kaiserzeit, des Commodus und Septimius Severus in achilleischer Auffassung, anklingt. Beide Porträte,
namentlich aber das des älteren Francesco, haben ausserordentlich viel Individuelles; sie sind, zumal
für jene frühe Zeit, Meisterleistungen ersten Ranges. Eben deshalb glaube ich diese kräftige, indivi-
duelle Charakteristik, in der sich der Realismus des oberitalischen Quattrocento bereits vernehmlich an-
kündigt, fast durchaus auf Rechnung des Künstlers setzen zu sollen. Por-
träte der Carrara sind nicht erhalten; nur die Schilderung eines gleich-
zeitigen Chronisten1 lehrt uns, dass Francesco Novello von untersetzter,
, wohlbeleibter Statur und von etwas hochmüthigem Gesichtsausdrucke ge-
i wesen ist, was ja auf das Porträt seiner Medaille im Allgemeinen zutrifft,
f Doch ist die Aehnlichkeit sehr geschmälert durch die antikisirende Auf-
fassung: die Bartlosigkeit, das kurz geschorene Haupthaar, die heroische
Nacktheit, lauter Dinge, die mit der geschniegelten höfischen Tracht vom
Ende des XIV. Jahrhunderts, wie wir sie aus gleichzeitigen Monumenten
Fig. i. kennen, in directem Widerspruche stehen. An den Höfen jener Zeit, die alle
Sesterz des Vitellius. unter französischem Einflüsse standen, herrschte im deutschen Norden wie in
der Lombardei die gleiche Mode: der kurze Zwickelbart, das perrückenartig
verschnittene Haupthaar; nicht anders als ihre Nachbarn, die Scaliger und die Visconti, werden sich
auch die Carrara, deren Hof vom gleichen ritterlichen Geiste erfüllt war, getragen haben.2
So haben wir also die höchst merkwürdige Erscheinung zu verzeichnen, dass am Ende des
XIV. Jahrhunderts kleine oberitalische Fürsten ihr antikisirendes Idealporträt auf Bronzemünzen, die
den Sesterzen der römischen Kaiserzeit nachgeahmt sind und die die Erinnerung an ein historisch be-
deutsames Ereigniss festhalten sollen, haben prägen lassen: zugleich die ersten modernen Medaillen,
die wir kennen.
Dass es gerade der so charakteristische Typus des Vitellius ist, den jene alten Münzmeister als
Vorbild gewählt haben, ist nicht minder merkwürdig. Denn auch in jener späteren Renaissance, deren
Vorspiel diese Medaillen sind, hat die üppige Bildung des kaiserlichen Schwelgers die Künstler stets
wieder zur Nachahmung angereizt; so sind jene zahlreichen Vitelliusbüsten unserer Sammlungen ent-
standen, deren schönste Exemplare wohl die im Museo Civico zu Venedig (aus Palazzo Grimani) und
im Hofmuseum zu Wien sind3 und in denen die Renaissance, ihrer Lehrmeisterin mit Glück nach-
eifernd, geradezu den Typus üppigen Sinnenlebens geschaffen hat.
1 Bei Dall'Acqua, a. a. O., S. 40.
2 Siehe charakteristische Beispiele der damaligen Mode, Haupt- und Barthaar zu tragen, in meinen Publicationen der
Wenzelsbibel (Jahrbuch XIV), des veronesischen Bilderbuches der Cerruti (ib. Bd. XVI) und besonders das charakteristische
Porträt des Consignorio della Scala, das Kenner im XVII. Bande dieses Jahrbuches, S. 246, publicirt hat.
3 Bernoulli, Römische Ikonographie II, 2, Tafel V und VI. Schon Visconti — und nach ihm die Mehrzahl der
Archäologen — hat der Ueberzeugung von dem modernen Ursprünge fast aller dieser Büsten Ausdruck gegeben.