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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 19.1898

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Abhandlungen
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Kenner, Friedrich: Die Portätsammlung des Erzherzogs Ferdinand von Tirol
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https://doi.org/10.11588/diglit.5780#0027
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Die Porträtsammlung des Erzherzogs Ferdinand von Tirol.

Tochter des Kaisers Maximilian und Statthalterin der Niederlande, von welcher er späterhin den Verhandlungen
des Damenfriedens zu Cambray beigezogen wurde; auch war er Parlamentsrath von Dole und seit 151g erster
Rath des Königs. Nach dem Ankaufe der Besitzung Granvelie sich nach dieser nennend, begleitete er Gattinara zu
den Friedensverhandlungen in Calais (1521), wurde bald darauf in den geheimen Rath des Königs berufen und blieb
nun fortan an dessen Hofe, den er in allen Kriegen und auf den Reichstagen begleitete, fast jährlich für seine
geschickten und treuen Dienste neue Auszeichnungen erlangend, bis er, nach Gattinaras Tode in Innsbruck, 1530
Kanzler Karl V. wurde. Durch 20 Jahre nahm er grossen Einfluss auf die Regierung des ungemein ausgedehnten,
bunten Länderbesitzes seines Herrn in beiden Welttheilen, zumal da ihm der Kaiser sein volles Vertrauen schenkte.
Durch die Last der Geschäfte allmälig aufgerieben, starb er im Jahre 15501 auf dem Reichstage in Augsburg
und wurde in Besancon beigesetzt. In dem von ihm erbauten Palast Granvela daselbst begründete er eine aus-
erlesene Sammlung von Kunstwerken, welche sein Sohn Anton, der Cardinal, beträchtlich vermehrte. Nicholas
hinterliess von seiner Gemahlin Nicole Bonvalot fünf Söhne und sechs Töchter.

Grosse Schrift in gelber Oelfarbe: GRANVELLA. Brustbild links, fast von vorne, sehr hohe Stirne,
das spärliche Haupthaar dunkelgrau, der in zwei Spitzen bis auf die Brust herabfallende Vollbart lichter
grau, die Brauen und die grossen, lebhaft blickenden Augen braun, die Nase gross und steil abfallend,
der Mund breit, die volle Unterlippe vorragend; in schwarzer Schaube mit schwarzem Pelzkragen und
einem grossen weissen Lilienkreuze auf der linken Brust, um den Hals ein goldenes Kreuz an fein-
gliedriger Goldkette. Grund grau, ins Lichtere spielend. — Katalog Nr. 776.

In Besancon befindet sich noch eines der beiden Porträte des Kanzlers Granvela, welche Tizian
im Jahre 1548 in Augsburg gemalt hat, nebst so vielen anderen der damals auf dem Reichstage daselbst
anwesenden hohen Persönlichkeiten; Granvela ist im Staatskleide mit derToisonordenskette2 als lebens-
grosses Hüftbild im Dreiviertelprofil rechts dargestellt.3 Diese Angaben finden in einer Schilderung der
Persönlichkeit des Kanzlers ihre Bestätigung, die im XVII. Jahrhundert4 augenscheinlich nach dem Por-
träte von Tizian niedergeschrieben wurde. Mit unserem Bilde stimmt die Beschreibung im Allge-
meinen überein; bezüglich der Augen und der Nase weicht sie ab, auch ist die Wendung die entgegen-
gesetzte und die Kette nicht die Collane des Toisonordens; endlich kann die schlichte Auffassung und
die mehr naive, ins Einzelne eingehende Darstellung nicht mit der Art Tizian's verglichen werden son-
dert erinnert an einen alten Niederländer. Das Bildniss scheint sehr selten zu sein, in Kupferstichen
habe ich es nicht gefunden, auch nicht in den Katalogen von Porträt- und Gemäldesammlungen. Nach
dem Alter von etwa 60 Jahren dürfte das Original um 1546 entstanden sein.

151, 152. Granvela, Anton Perrenot de,

Herr von Granvela, Cardinal, zweiter Sohn des Nicholas de Perrenot und der Nicole de Bonvalot, geboren
in Besancon am 20. August 1517, erhielt, nachdem er in Padua, Paris und Löwen Theologie und Rechte
studirt, 1540 das Bisthum Arras, begleitete seinen Vater auf die Reichstage von Worms und Regensburg,
wurde 1543 Staatsrath, 1545 zum Concil von Trient entsendet und trat 1550 nach seines Vaters Tode in
dessen Stelle als Kanzler ein. Unter Philipp II. erhielt er 1561 die Cardinalswürde, nachdem er kurz zuvor Erz-
bischof von Mecheln und Primas der neu eingerichteten niederländischen Kirche sowie Berather der Statthalterin
Margaretha von Parma geworden war. Die Weigerung des niederländischen Adels, unter seinem Vorsitze an den
Versammlungen des geheimen Rathes theilzunehmen, veranlasste den König, ihn 1564 abzuberufen; er begab
sich nach Besancon, um dort den Wissenschaften und seiner Kunstliebe, seinen Sammlungen und dem Verkehre
mit hervorragenden Männern zu leben, Künstler und Gelehrte5 zu unterstützen und das von seinem Vater be-

1 Bekannt ist, dass der Kaiser um ihn Trauer trug und in einem Briefe an seinen Sohn Philipp (II.) äussert, beide
hätten in ihm ein gutes Ruhebett verloren.

2 Nicholas Granvela wird in dem alten Verzeichniss der Vliessordensritter (dieses Jahrbuch V, 1887) nicht genannt,
scheint also nur das Abzeichen, nicht die Ritterwürde selbst erlangt zu haben.

3 Crowe und Cavalcaselle, Tizian (Ausgabe von Max Jordan) II, S. 510. Das Bild ist 122 Cm. hoch und g3 Cm.
breit. Nach dem Kataloge der Gemäldegalerie von Besancon (Nr. 165) hält er in der Rechten ein Papier, in der Linken
den Mantel.

4 Hortleder, Römische Keyser Handlungen, Gotha 1645, II, S. 940 ff. Darnach war der Kanzler ein hochgewachsener,
beleibter Mann mit weissem Barte, der in zwei Spitzen von dem mächtigen Unterkiefer herabfiel; die Oberlippe, von einem
Streifen Schnurrbart eingefasst, überragte die grosse fleischige Nase; die hohe gewölbte Stirne bedeckte zerstreutes flockiges
Haar von zweifelhafter Farbe; dagegen waren die Brauen buschig und beschatteten das scharfblickende, unter den breiten
Lidern lauernde Auge. Man ersieht übrigens aus dieser Beschreibung, dass Hortleder kein Verehrer des Kanzlers war.

5 Er unterstützte die neue Ausgabe einer polyglotten Bibel, die er Plantin übertrug, veranstaltete die neue Ausgabe
der Summa des heil. Thomas von Aquino und des Theophrastus. Justus Lipsius war sein Secretär; Petri, Venandus
Pighius, Petrus Vannius waren seine Bibliothekare.
 
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