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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 19.1898

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Abhandlungen
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Hermann, Hermann Julius: Miniaturhandschriften aus der Bibliothek des Herzogs Andrea Matteo III. Acquaviva
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https://doi.org/10.11588/diglit.5780#0191
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Hermann Julius Hermann.

Die ganze Architektur, gehoben durch die goldenen Flügelrosse, verleiht der Miniatur eine
prächtige Gesammtwirkung.

Die Hauptdarstellung findet sich in dem mit den Seitenbildern zusammengefassten Centraibilde:
Wir blicken in eine weite Seelandschaft, deren Hintergrund blaue Berge begrenzen, die sich vom gold-
glänzenden Horizont abheben. Auf Rasenhügeln, die eine Bucht im Vordergrunde umsäumen, lagern
Thiere aller Art, links Vögel (unter anderen Reiher, Adler, Taube), rechts vierfüssige Thiere (unter
anderen Löwe, Hirsch, Hund). Die Gruppe im Vordergrunde ist in Gold ausgeführt; da verhandeln
zwei Männer über den Tausch einiger Thiere, welche Hirten herbeitreiben. Darüber schwebt auf einer
Wolke die §i/.cuoe6vY) in Gestalt einer Frau in Purpurgewand; eine weite Haube verhüllt ihr langes Haar,
in der Rechten führt sie ein Scepter als Zeichen ihrer Würde und in der Linken hält sie ein Senkblei,
welches — da es nicht von der Verticale abweicht — offenbar das icov symbolisiren soll. Also in der
Mitte dominirend die Allegorie der Sixaiosuvir;, deren Wesen in der Gleichheit, dem fuov, besteht. Die
Thiere darunter in der Landschaft mögen den von Aristoteles oft betonten Gedanken der gerechten,
zweckmässigen Einrichtung der Natur illustriren und die Gruppe im Vordergrund steht in Beziehung
mit den Ausführungen des Aristoteles über den Tausch, Kauf und Verkauf (cap. 8).

Auch dem kleinen Bildchen oben, welches architektonisch mit dem Mittelbilde zusammengefasst
ist, liegt, wie ich vermuthe, kein mythologischer Stoff sondern ein philosophisch-allegorischer Gedanke
zu Grunde. In einer Loggia, die einen Ausblick auf die Landschaft gewährt, steht ein Greis mit einem
Kranz auf dem Kopfe; eine Frau in violettem Gewände und gelber Haube reicht einem jungen Manne
einen Lorbeerkranz und weist ihn auf den Alten; ein Knabe daneben spielt Ball. Ich vermuthe in
dieser genreartigen Scene die ätxatoc6vY] Siavs^Tix.^, welche nach persönlicher Würde den Lohn für
das Verdienst bemisst; der Greis ist der würdigere, er hat den Preis des Lorbeers vor dem jüngeren
erreicht. Im Gegensatze dazu verdeutlichen die beiden Seitenbilder die 8ivwtws6v»] Stopöw-ra^ in ihrer
doppelten Art als freiwillige (Kauf) und gesetzliche.

Im Bilde links wird uns das bewegte Treiben einer Hafenstadt vor Augen geführt; im Hinter-
grunde das Meer, welches von fernen Bergen begrenzt wird, die sich durch das Mittelbild hindurch bis
zum Bilde rechts fortpflanzen, so dass alle drei Bilder einen gemeinsamen Hintergrund haben. Auf
einer Halbinsel ragt eine Stadt empor, vor welcher Waaren aus den Schiffen ans Land gebracht werden.
Eine dichte Menge Handelsleute, Einheimische und Orientalen, wogt durcheinander. Vorne unterhan-
deln Käufer mit einem Kaufmann um eine Waare, die dieser auf einer Waage abwägt. Säcke, mit
Waaren gefüllt, liegen daneben.

Wenn auch die Composition allzu gedrängt ist, so ist das Treiben einer Seestadt doch ausser-
ordentlich lebendig geschildert. Der dem Bilde zu Grunde liegende Gedanke ist klar; die Darstellung
illustrirt die freiwillige ausgleichende Gerechtigkeit, die eben bei Kauf und Verkauf in ihre
Rechte tritt.

Als Gegenstück dazu verdeutlicht die Darstellung rechts vom Mittelbilde das politische Recht:
Wir werden wieder in eine Seestadt versetzt. Paläste mit Säulenhallen und Thürme umgeben einen
Platz am Gestade, in dessen Mitte eine Säule mit einem Löwen steht; Gondeln gleiten über die Wasser-
fläche. Unwillkürlich denkt man an Venedig oder einen der Lagunenstadt unterthänigen Hafen. Ein
Mann in golddurchwirkten Gewändern, eine Goldkette um den Hals, eine edelsteinbesetzte Krone auf
dem Kopf, überreicht einem vor ihm knieenden Greis, der den Turban abgenommen hat, eine Urkunde.
Zwei andere Greise scheinen auf den Herrscher zu sprechen. Eine Gruppe Vornehmer (rechts) wohnt
der Scene bei, Neugierige blicken über einen der Quere nach gespannten Vorhang. Es handelt sich
also um eine Gesetzgebung, um das richterliche Urtheil eines Herrschers.

Einen Anhaltspunkt gewinnen wir durch die Darstellung im Hintergrunde. Da wird ein königlich
geschmückter Mann von Schiffern ins Meer geworfen; es ist Arion, der mythische Sänger Griechenlands,
der sich auf den Rath des Apollon in kostbarer Tracht, mit der »Corona«,1 ins Meer stürzt und, von

1 Hygini Fabulae, Nr. CXCIIII.
 
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