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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 19.1898

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Abhandlungen
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Hermann, Hermann Julius: Miniaturhandschriften aus der Bibliothek des Herzogs Andrea Matteo III. Acquaviva
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https://doi.org/10.11588/diglit.5780#0195
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Miniaturhandschriften aus der Bibliothek des Herzogs Andreo Matteo III. Acquaviva.

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kann, verdeutlichen. Kein besseres Beispiel konnte für die Seivönfjs und itavoupffa gewählt werden als
Odysseus.

Das grosse Breitbild, welches die ganze untere Hälfte der Miniatur einnimmt, vereinigt drei
Scenen aus der Odysseussage in einem Bilde, dreimal ist natürlich auch Odysseus als Hauptfigur in
einem Bilde dargestellt.

In der Mitte des Bildes geniesst man einen Ausblick auf das weite Meer, welches rechts und links
im Vordergrunde durch zerklüftete Felsen begrenzt wird, über die das Gras lang herabfällt. Die Scene
links führt uns die Blendung des Polyphem vor Augen: Eine Höhle im Hintergrunde soll die Hohle
des Cyklopen andeuten. Polyphem, am ganzen Leibe behaart, liegt berauscht auf dem Boden, ein
Weinschlauch liegt noch neben ihm. Da fasst Odysseus Muth und stösst dem Riesen mit einem glühen-
den Stabe das Auge aus. Unthätig sehen die Gefährten der kühnen That zu.

Die Scene rechts versetzt uns wieder vor die Höhle des Polyphemos. Er hat den Felsblock vom
Eingang weggewälzt und stellt sich selbst mit ausgespreizten Beinen vor die Höhle, mit der Hand
tastend, ob mit den Lämmern die Griechen nicht entkämen. Odysseus aber, an den Bauch eines Schafes
(statt eines Widders) festgebunden, entkommt. Es liegt ein gewisser Humor in der Art der Darstellung,
in dem Gegensatze zwischen dem bluttriefenden Cyklopen und dem kleinen Odysseus; doch die beiden
realistisch aufgefassten Polyphemscenen entbehren auch nicht des Ernstes durch die Wahl der Situation
und den Charakter der felsigen Landschaft.

In der Mitte des Bildes sehen wir im Meere die Flotte des Odysseus. Im Mittelschiff steht Odysseus
selbst, aufrecht an einen Mast gebunden, während die Gefährten schlafen. Im Vordergrunde tauchen
singende Sirenen1 aus den Fluthen, deren verlockendem Gesang Odysseus durch die List entkam, dass
er sich an einen Schiffsmast festbinden Hess. Die Auffassung dieser Scene ist ungemein naiv und wirkt
fast komisch durch die kleine Gestalt des Odysseus und die humorvolle Darstellung der singenden
Sirenen.

Was die Ausfuhrung anlangt, so möchte ich in erster Linie auf die Allegorie der cppsvY]cii; hin-
weisen, welche unleugbar einen niederländischen Typus aufweist. Wir werden im Folgenden darauf
zurückkommen; hier sei nur hervorgehoben, dass sich dieser niederländische Typus besonders bei den
weiblichen Figuren in unseren Miniaturen findet. Die Allegorien der Glückseligkeit, der Tugend, der
Freigebigkeit, Gerechtigkeit sind in dieser Hinsicht neben der ypövrpiq des sechsten Bildes zu nennen,
aber auch in den historisch-mythologischen Scenen schliessen sich die Frauengestalten demselben Typus
an (z. B. die Heliaden, Danaiden etc.). Die sorgfältige Ausführung entspricht ganz der feinen Modellirung
des Miniators der fünf ersten Miniaturen. Hingegen möchte ich die flüchtigere Behandlung der Land-
schaft des oberen Bildes der Betheiligung eines Gehilfen zuschreiben, dem wir in den folgenden Bildern
mehrfach begegnen werden.

Entgegen dem engen — sichtlich von einem Programm abhängigen — Zusammenhang der bis-
herigen Miniaturen mit dem Texte des Aristoteles und der Scenen der einzelnen Miniaturen unterein-
ander, können wir für die folgenden Miniaturen constatiren, dass diese Beziehungen viel lockerer sind.
Es macht fast den Eindruck, als wären die Vorschriften für diese nur ganz allgemeiner Natur gewesen,
wie dies die beiden erhaltenen Vorschriften für die zwei letzten Bilder bekräftigen. Abgesehen von der
letzten Miniatur, treten die übrigen Bilder an Interesse zurück, zumal wir bemerken können, dass die
Ausführung vielfach einem Gehilfen überlassen wurde und der Miniator nur das Wesentlichste selbst
ausgeführt hat.

VII. Buch: Den Gegenstand des siebenten Buches bildet die Untersuchung über die Massigkeit (r; i-r/.pd~
tsiä). Göttliche und heroische Vollkommenheit und thierische Wildheit rinden sich bei Menschen nur höchst
selten. Am ehesten kommt die letztere bei den rohen Völkern, bei den Barbaren, vor; hingegen ist Unmässigkeit
und Weichlichkeit etwas Menschliches, denen gegenüber die Massigkeit den rechten Weg einschlägt. Hier
wendet sich Aristoteles gegen die Ansicht des Sokrates, dass niemand wissentlich Unrecht thue; der Unmässige
weiss, dass seine Handlung schlecht ist; aber er lässt sich durch seine Leidenschaft (äia xaGoc) leiten, während

1 Die Sirenen sind hier wie so häufig im XV. Jahrhundert als Fischweiber wiedergegeben; vgl. Meyer, a. a. O.

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