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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 19.1898

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Abhandlungen
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Hermann, Hermann Julius: Miniaturhandschriften aus der Bibliothek des Herzogs Andrea Matteo III. Acquaviva
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https://doi.org/10.11588/diglit.5780#0209
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192

Hermann Julius Hermann.

f. 5 beginnt der Text, dem ein Titelblatt (Taf. XIII) vorgesetzt ist. Die Randleiste besteht aus
goldenen Renaissanceranken auf blauem Grund, belebt von Putten, die Blattkelchen entsteigen, und
Satyrn; in der Mitte unten zwischen Delphinen das Wappen1 mit dem Kronreif; oben in der Mitte
endlich halten zwei Putten eine Tafel mit der Aufschrift: »ARISTOTELES DE AUSCULTACIONE PHISICA.«
Von besonderem Interesse ist die Miniatur, welche das oberste Drittel des Blattes einnimmt. In der
Mitte die Erde mit den Meeren in kartographischer Darstellung, umschlossen von den Kreisringen der
Luft und des Feuers, den sieben Sphären mit den astronomischen Planetenzeichen; zu äusserst rechts
und links der blaue, sternbesäete Fixsternhimmel. Der Erde zunächst sitzt links eine Frau mit ent-
blösstem Oberkörper, welche die Welt mit der Milch aus ihren Brüsten besprengt; also wieder die cüitc,
die Natur, wie in der Miniatur zur Q'jz'.v.r, x/.pzy.z:^ in Cod. Phil, graec. 2, f. 1. Auf ihrer rechten
Schulter steht eine kleine geflügelte Gestalt, die Ratio, durch die wir, wie der Glossator meint, allein
befähigt sind, das Wesen der Natur zu ergründen. Die Natur besprengt die Welt mit ihrer Milch;
denn sie durchdringt und erhält Alles (vgl. oben). Der Kosmos selbst ist wieder in der Auffassung wie
in der Miniatur zur Schrift xepi oipavou (Fig. 2) dargestellt: in der Mitte die Erde mit ihren vier
Elementen, herum die Sphären der Planeten, zu äusserst der Fixsternhimmel.

Ich erwähne noch die Initiale Q., welche von zwei kleinen Satyrn2 in einer Landschaft gehalten
wird; in derselben Weise sind auch die Initialen der folgenden Bücher ausgeführt. Zu Beginn der
Glossen des Themistius rechts ein kleines Bildchen mit der Halbfigur des Autors mit der Fackel des
Wissens in der Rechten. Zu unterst endlich zwischen aufgehängten Lyren ein Pegasus, an dessen
Hinterbeinen sich ein Putto anhält, meiner Meinung nach ein Emblem der Accademia Pontani.

Stilistisch stimmt die Miniatur mit der zweiten und vierten Miniatur des Codex Phil, graec. 2.
Man vergleiche die Behandlung der Landschaft, die Putten in der Randleiste mit denen auf der Minia-
tur zur Schrift Trept ifrßfä et>ens0 zeigen die Randleisten der beiden Handschriften denselben Typus;

endlich sei noch auf den Pegasus und die Verwendung von Lyren in der
genannten Miniatur (Cod. Phil, graec. 2, f. 123) hingewiesen.

Fig. 9. Neapel, Gerolomini

Nr. 219, f. 1:
Initialbild: Weltschöpfung
nach Piatos Timaeus.

6. Calcidius in Timaeum Piatonis.

(Neapel, Biblioteca dei Gerolomini, Nr. 219 [P.XVI, N. XVIII].)

Ein Folioband von i3g Pergamentblättern mit Goldschnitt, in ein-
fachem Schweinslederband.

Timaeus betitelt sich der berühmte Dialog Piatos, in welchem der
Philosoph seine Ansichten über die Weltschöpfung entwickelt. Der Welt-
baumeister schafft die Welt nach dem ewigen Urbilde des lebendigen
Wesens; aus zwei Elementen bildet er die Weltseele und vertheilt sie nach
harmonischen Verhältnissen. Dann fasst er die chaotisch fluthende Materie
und errichtet aus ihr das Weltgebäude mit den Elementen und den Ge-
stirnen als Zeitmesser.

Demzufolge stellt der Miniator in dem kleinen Initialbildchen (Fig. 9)
die Weltschöpfung dar, wie Gott aus dem Chaos die Welt formt. Rechts
und links (halb überschnitten) sind wieder goldene Candelaber mit den
Herzogswappen als Randleiste verwendet. Ein kleines Bildchen unten
zeigt uns das Wappen, von zwei Kindern in kurzen Hemdchen gehalten,

1 Wie im Cod. Phil, graec. 2 mit dem zweifach untereinandergesetzten Wappen der Aragonesen in den Feldern 1
und 4. Die Randleiste erinnert wieder an die der Apuleiushandschrift.

2 Bezüglich der Verwendung der Satyrn als Initialschmuck verweise ich auf eine Handschrift der Satyren des Horaz
in der Wiener Hof bibliothek (Cod. 249), in welcher — wohl auch dem Titel entsprechend — durchgehends Satyrn mit
den Initialen in Verbindung gebracht sind. Uebrigens rührt auch diese Handschrift nach meiner Ueberzeugung aus Unter-
italien her. Ein ganz verwandter Codex in der Biblioteca dei Gerolomini in Neapel (Cod. Nr. 198) enthält des Properz und
Tibull Dichtungen.
 
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