Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 19.1898

DOI Heft:
Abhandlungen
DOI Artikel:
Schlosser, Julius von: Tommaso da Modena und die ältere Malerei in Trevisio
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5780#0292
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
2Ö2

Julius von Schlosser.

des Meisters ist in den Gemälden schon voll entwickelt. Die Perspective beherrscht Tommaso natürlich
noch sehr mangelhaft; aber sein warmes und tiefes Colorit, das allerdings durch Staub und Kerzen-
rauch sehr gelitten hat, macht sich auch hier geltend; die Eintönigkeit der Aufgabe hat er geschickt zu

umgehen gewusst, indem er sich bestrebte, seinen
Gestalten Charakteristik und inneres Leben zu ver-
leihen. Und darin zeigt er sich in seiner ganzen Be-
deutung, als echten Veneter, als bedeutsamen Vor-
läufer des in Pisanello ausmündenden energischen
Realismus, der von dem viel später erwachenden der
Toscaner so grundverschieden ist. Man sehe nament-
lich zwei seiner vorzüglichsten, darum hier auch in
Abbildung mitgetheilten Gestalten (Taf. XXV): das
imposante volle Greisenantlitz des Albertus Magnus,
des grossen »doctor universalis« der Kirche, — schon
an und für sich ein historisch interessanter Vorwurf
— der in theologischer Inspiration von seinem Buche
weg ins Leere blickt, als wolle er dort die Idee, die
sein Gehirn erregt, festbannen. Wie glühend blicken
diese Augen unter den buschigen weissen Brauen
hervor und wie energisch schliesst sich dieser kräftige
Mund! Ganz sinniges Nachdenken ist aber wieder die
sanfte Gestalt des heil. Johannes von Vicenza, der
über seine Neumenhandschrift hinwegblickt, die
Feder, die er eben zugespitzt hat oder zuspitzen will,
in Sinnen verloren in der Hand haltend. Sein scharf-
geschnittener Italienerkopf ist nicht minder lebens-
voll als der des Albertus Magnus. Es ist ein uraltes
Thema, diese schreibenden oder in speculativen Ge-
danken verlorenen Heiligen, das die Kunst in mannig-
fachster Weise variirt hat; man muss es aber diesem
oberitalienischen Trecentisten zugestehen, dass er es
in seiner Innerlichkeit zu erfassen verstanden hat.
Wie weit die Porträtähnlichkeit der Dargestellten reichen dürfte, ist im Einzelnen schwer zu
sagen und würde eine Untersuchung erfordern, die weit über das mir gesteckte Ziel hinausschiesst.
Im Allgemeinen sind diese Charakterköpfe sicher frei erfunden; gewiss ist dies bei Albertus Magnus
der Fall, von dem ja, schon seiner Lebenszeit nach, dem Trevisaner kaum ein wirkliches Porträt vor-
gelegen haben wird.1

Schon Federici hat dem Tommaso ein anderes grosses Freskenwerk zugeschrieben. Es sind dies
die Gemälde, die teppichartig die gewaltigen Rundpfeiler des Hauptschiffes der Klosterkirche S. Niccolö
bedecken und von denen der grössere Theil heute wenigstens noch leidlich erhalten ist.

Ich gebe wieder zunächst eine kurze Beschreibung der einzelnen Fresken.

Pfeiler der Nordseite (vom Querschiff aus beginnend).
I. und II. Pfeiler ohne Schmuck.

III. Die Jungfrau auf dem Throne, mit hoch unter dem Busen gegürtetem Gewände (sie scheint
schwanger dargestellt zu sein), sitzend und in den Tractatus de incarnatione blickend, den ihr der

Fia

Pfeilerfresco aus S. Niccolö.

1 Der Profilkopf des Albertus bei Besnard, Icones virorura illustrium 1597 (gestochen von Th. de Bry), weicht völlig
von dem Fresco in Treviso ab und ist augenscheinlich ebenfalls frei erfunden. Desgleichen das Medaillon (Dreiviertelprofil)
im Dominikanerstammbaum des Frate Angelico in S. Marco, wo allerdings die Aufschriften aus späterer Zeit stammen.
 
Annotationen