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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 19.1898

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Abhandlungen
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Dollmayr, Hermann: Hieronymus Bosch: und die Darstellung der vier letzten Dinge in der niederländischen Malerei des XV. und XIV. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.5780#0349
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Hieronymus Bosch und die Darstellung der vier letzten Dinge.

3oi

Fig. Ii. Detail aus dem Jüngsten Gerichte der Wiener Akademie der bildenden Künste.

Wollen wir dabei das, was unsere höllenkundige Malerschaar geschaffen hat, nicht von vorne-
herein missverstehen, so dürfen wir es keineswegs, wie es bisher geschah, als freie Erfindungen wirrer
Schwarmgeister oder aus der Ordnung gekommener Köpfe betrachten sondern müssen es einzig und
allein als künstlerisch verdichteten Volksglauben erfassen, als einen Glauben, der im Grunde auch der
der christlichen Kirche ist, die ihn, wenn sie ihn auch nie für kanonisch erklärt, doch stets mit grosser
Liebe und Sorgfalt als Zuchtruthe der Geister gepflegt hat. Jedes Reis in ihrem Bunde hat seine eigene
Geschichte und, um dem Ganzen und dem Besonderen völlig gerecht zu werden, müssen wir diesen
jetzt ruhig lösen, Stück für Stück auseinandernehmen und geduldig den Wurzeln des Baumes nach-
gehen, von denen sie einst geschnitten wurden. Wir kommen dabei weit zurück, auf altehrwürdigen
Grund und Boden, mitten hinein in die Pflanzstätte des dogmatischen Christenthums, in das Alexan-
drien des II. und III. Jahrhunderts, wo man dem Reiche des Bösen in dieser wie in jener Welt ja seine
vornehmste Aufmerksamkeit zugewendet hatte.

So rasch war, als sich die Speculation ihrer bemächtigt hatte, die reine Lehre des Heilandes miss-
verstanden worden, der, da er noch auf Erden wandelte, den Mühseligen und Beladenen die frohe
Botschaft der allerbarmenden Liebe zu bringen, für jeden Uebereifer nur ein mitleidiges Lächeln hatte,
für die beleidigte Majestät seines Gesetzes aber keine unersättliche Rache kannte. Er hatte als ein
milder König des Teufels als Schergen für seine widerspenstigen Unterthanen nicht bedurft. Ihm war
der grimme Geselle eine blosse Personification gewesen für Alles, was seinem guten Willen widerstrebte
und was von seinem Reiche ausgeschlossen bleiben musste, ein Begriff, den er dem Gedankenkreise
seiner galiläischen Landsleute entnommen hatte, auf die im Verkehre mit ihren syrischen Nachbarn
nebst anderem Aberglauben auch die heillose Furcht vor Bezauberung und die Angst vor Dämonen
übergeströmt war.1

Wenn wir uns seine Gleichnissreden wiederholen und dabei vielleicht die einzige Parabel von
dem reichen Manne und dem armen Lazarus übergehen, die ohnehin fast wie ein jüdisches Volks-
märchen aussieht, so finden wir nirgends eine bestimmte Schilderung des Jenseits. Sein Blick ist stets
in erster Linie der Gemeinschaft der Lebenden zugewendet. Er hat sogar in seinen eschatologischen
Reden das grosse Weltgericht, das die hasserfüllte Judenschaft über ihre Bedrücker herbeisehnte, in
den Hintergrund gerückt und darauf nur in der Weise zurückgegriffen, als er der Mahnung Ausdruck

1 A. Hausrath, Neutestamentliche Zeitgeschichte I, 10.
 
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