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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 19.1898

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Dollmayr, Hermann: Hieronymus Bosch: und die Darstellung der vier letzten Dinge in der niederländischen Malerei des XV. und XIV. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.5780#0379
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Hieronymus Bosch und die Darstellung der vier letzten Dinge.

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So schwere Früchte hat nun unser Baum wohl freilich niemals mehr getragen; doch kam an ihm
gar mancher Spätling noch zur Reife, woran die Höllenphantasie sich reichlich laben konnte. Ich will
davon nur einige wenige zur Probe reichen. Der Knabe Wilhelm, der nach Vincent de Beauvais1 mit
15 Jahren das Fegefeuer durchschritt, sah dort erwachsene Leute in Kesseln so lange kochen, bis sie
Gestalt und Grösse eines neugebornen Kindes hatten. War das geschehen, so nahm man sie mit
glühenden Fleischgabeln heraus, wodurch sie rasch wieder ihr früheres gealtertes Aussehen erlangten
und den Process von Neuem durchmachen konnten. Th. Wright2 meint, dass hier eine Erinnerung
an die Geschichte der Medea, wie bei der Vision Karls des III. an den Faden der Ariadne und bei den
verschiedenen Höllenschmieden an Vulkans Werkstätte, mitspiele. Ich glaube aber, dass für die Kessel
eher biblische Stellen massgebend waren, wie Jeremias 1, i3, oder besonders Ezechiel, cap. 24, wo der
Herr Jerusalem mit einem siedenden Topf vergleicht: »O der mörderischen Stadt, die ein solcher
Topf, da das Angebrannte darinnen klebet«, und dem Propheten befiehlt: »Trage nur viel Holz her, zünde
das Feuer an, dass das Fleisch gar werde, und würze es wohl, dass die Markstücke anbrennen.« Kessel
und Töpfe sind ja auch später noch, unabhängig von classischer Ueberlieferung, ein Haupteinrichtungs-
gegenstand der höllischen Küche, wo es oft gar heiss hergeht und wo Einer, wie wir gesehen haben,
kalt und warm muss vertragen können. Des Teufels russiger Bruder im Märchen, der ihre Kessel
sieben Jahre lang betreute und sich mit tüchtigem Heizen des Satans Zufriedenheit erwarb, wüsste
davon ein Liedlein zu singen. Und dass die Opfer wieder jung und ganz werden, das geschieht in
jenem Reiche immer; sonst wäre ja auch die Strafe zu Ende. Dagegen ist es eine Erinnerung an ein
historisches Ereigniss, wenn in der Vision des Mönches von Evesham3 die Sünder, wie einst Regulus
von den Karthagern, in einem Fasse voll spitziger Nägel gerollt werden.

Wo eine Stadt mit Allem derart wohl versorgt ist, fehlt's schliesslich auch an einem Theater
nicht. So versichert uns wenigstens Thurcill,4 der den Kobolden eine ganz besondere Vorliebe für das
Bühnenspiel zuschreibt und es mit ansah, wie sie das Stück der Sieben Todsünden über die Bretter
gehen Hessen, wobei die Frevler in der Rolle ihres lasterhaften Lebens auftraten, die Teufel aber als
Schlussact mit ihnen die Strafe aufführten, die ihnen für ewig zugedacht war.

Ganz übergehen will ich alle rein italienischen Visionen, da ich von ihnen, so sehr sie auf die
Kunst ihres eigenen Landes wirkten, keinen Einfluss auf unsere Künstler behaupten könnte. Ich denke
dabei hauptsächlich an die des Alberich,5 aus der ich nur den Wald mit den hohen Bäumen erwähnen
will, die von Stacheln starren und an deren spitzen Aesten die Weiber aufgespiesst sind, die mutter-
losen Kindern ihre Milch verweigert hatten, wofür sie jetzt zwei Schlangen an jeder Brust säugen
müssen. Auch sei der Predigt Gregors des VII. vor Nicolaus IV. kurz gedacht, der mit Alberich in der
Hölle wieder die Leiter sah, auf deren glühenden Sprossen die Sünder auf- und absteigen müssen und
von der sie am Ende in den glühenden See zu Füssen der Treppe stürzen, sowie des Giacomino da
Verona, welcher der Stadt Gottes, dem himmlischen Jerusalem, das höllische Babylon, nach der Apo-
kalypse, gegenübersetzt. Sie und die grösste aller Visionen des Jenseits, die göttliche Komödie, wirkten
erst in viel späterer Zeit auf die Maler der Niederlande. Ebenso glaube ich von der Erörterung Ab-
stand nehmen zu dürfen, wie Paradies und Hölle für sich und im Zusammenhange mit dem Jüngsten
Gerichte in Miniaturen oder in Reliefen und Fresken der gothischen Dome von Frankreich und Italien
geschildert wurden; denn auch sie blieben für die ohne künstlerische Tradition schaffenden, näheren
und entfernteren Nachfolger der van Eycks sämmtlich gleichgiltig.

Nur eines Elementes muss ich noch gedenken, des satirischen. So wie sich unter den Händen
der Troubadours das Paradies allmälig dem Schlaraffenlande näherte, so wussten diese Freunde des
ausgelassenen Humors bald auch in die Hölle einen komischen Zug zu bringen, der gewiss nicht ganz
verloren ging. Es hat sicherlich seine Wirkung nicht verfehlt, wenn Raoul de Houdaing in seinem

1 Speculum historiale, lib. XXVII, cap. 84 ff. 2 St. Patricks Purgatory, pag. 3 1.

3 Vinc. de Beauvais, Spec. hist., lib. XXIX, cap. 6ff.

4 Th. Wright, St. Patricks Purgatory, pag. 41 ff.
! Dante, Padua 1822, vol. V, pag. 284 ff.

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