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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 19.1898

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Abhandlungen
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Dollmayr, Hermann: Hieronymus Bosch: und die Darstellung der vier letzten Dinge in der niederländischen Malerei des XV. und XIV. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.5780#0381
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Hieronymus Bosch und die Darstellung der vier letzten Dinge.

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heilige Pflicht, zu heulen, was sie konnten, und wer sich einer guten Stimme erfreute, musste vor den
anderen laut und helle klagen. Auch Feldschlangen löste man darein, den Lärmen zu vergrössern.

Ich habe schon früher auf die Keime der bildlichen Darstellung des Höllenschlundes hingewiesen
und möchte hier nur noch ein Detail nachtragen, das, wie auf der Bühne, so auch auf Fresken und
Reliefs, ein ständiges ist, das Schleifen der Sünder an dem Seile, das sie Alle, wie ein Netz die Fische,
umfasst und nicht entrinnen lässt. Hier könnte man an Stellen, wie z. B. den Psalm 17, 6, gemahnt
werden, wo David spricht: »Der Höllen Bande umfingen mich und des Todes Stricke überwältigten
mich (Dolores inferni circumdederunt nie: praeoccupaverunt me laquei mortis).« Das Seil selbst
jedoch ist ein gar langes und, was es begriff, war so ziemlich Alles,
was die Welt an Ständen zählte und was das Volk dem Teufel in
die Klauen wünschte: den habest und den kardenal, patriarchen und
legat, dye den luten geben bösen rat, konig und keyser . . . grafen
und fursten . . ., rittere und knechte, dye sint (dem Lucifer) alczue-
mal rechte.«1 Sie müssen ihm die grossen Lücken in der Hölle
füllen, die durch den Auszug der Erzväter nach Christi Abstieg
in den Limbus entstanden sind, und drum befiehlt der Höllen-
fürst dem Satan in demselben Auferstehungsspiel: »bring mir her
an dinem seyl die schepphiri mit dem orteyl, den phaffen mit der
blatten, den monch mit der kappen, den Bierschenken, den Bäcker,
den Fleischer, den Weber, den Müller mit dem Metzen, den will
ich zu hinterst in die Hölle setzen«, und, wie sie alle heissen
mögen, von denen sich das Volk stets mehr oder minder geschoren
fühlte.

Allerlei für die Kunst werthvolle Zufälligkeiten mögen sich
auch ergeben haben, als man mit der Aufführung der Mysterien
aus der Kirche herausgetreten war und sie oft auf den Friedhöfen
spielte, wobei man aus den Domen selbst, als dem Himmel, die
heiligen Personen auf den irdischen Schauplatz schreiten liess. Da
lag es nahe, dass ein Künstler das gothische Kirchenthor als Para-
diesespforte in sein Gemälde übertrug und seine Giebel und Ba-
lustraden mit singenden und musicirenden Engeischaaren bevöl-
kerte, wie es Memling auf seinem Bilde in der Marienkirche zu
Danzig that, an das wir stark erinnert werden, wenn wir lesen,
dass bei dem Einzug der Königin Isabelle zu Paris im Jahre i38g

Gottvater, der Sohn und der heil. Geist, umgeben von Kindern des Chores als Engeln, die gar lieblich
sangen, über dem Thore von St. Denys sass, von wo zwei Engel, als die Sänfte der Königin darunter
weggetragen wurde, niederschwebten, um ihr eine goldene Lilienkrone aufs Haupt zu setzen.2 Einem
besseren Kenner der Litteratur mögen dazu noch manche Parallelen geläufig sein.

Im Mysterienspiele waren die Teufel Hauptpersonen und man nahm seine ganze Phantasie zu-
sammen, sie ihrer Würde gemäss herauszuputzen. Rabelais beschreibt uns ihren Aufzug: Die Teufel
waren eingehüllt in Wolfsfelle und Häute von Kälbern und Widdern, besetzt mit Schöpsenköpfen,
Hörnern von Rindern und umgürtet mit breiten Riemen, an denen Kuhglocken und Maulthierschellen
hingen und einen schrecklichen Lärm verbrachten. Fackeln trugen sie in den Händen u. s. f.

Diese Schilderung übertreffen noch an Scheusslichkeit die erhaltenen Masken, von denen ich
eine, die aus dem XVI. oder XVII. Jahrhundert stammt und sich im Innsbrucker Ferdinandeum be-
findet, hier nebenan zum Vergleiche abbilde (Fig. i3). Sie zeigt am besten, wie man Alles aufbot, den

1 Siehe: Däs Auferstehungsspiel bei Mone, Altdeutsche Schauspiele, Bibliothek der gesammten deutschen National-
literatur, Bd. XXI.

2 Chronique de Sir Jean Froissart, lib. IV, cap. 1 (citirt bei K. Hase, Das geistliche Schauspiel, S. 15).

Fig. i3. Teufelsmaske
im Innsbrucker Ferdinandeum.
 
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