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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 19.1898

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Wickhoff, Franz: Sacchis Restauration der sterbenden Mutter des Aristides
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https://doi.org/10.11588/diglit.5780#0396
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348

Franz Wickhoff.

dessen Bild des heil. Romuald die begeisterten Zeitgenossen als viertes an die drei Bilder angeschlossen
hatten, die er selbst als die drei ersten des bilderreichen Roms bezeichnet hatte, an die Transfiguration
Raffaels, an die Communion des heil. Hieronymus Domenichinos und an das Petruswunder des
Cigoli. Er war der Meister des Ausdrucks, um den sich in der Zeit der öden Maschinisten die Be-
wunderer der grossen alten Meister schaarten.

Erzherzog Leopold Wilhelm scheint Andrea Sacchi sehr geschätzt zu haben. Da es bei
der spärlich fliessenden Production dieses Malers schwer war, Originale zu erhalten, und er sich glück-
lich schätzen musste, ein so durchstudirtes Bild wie die sterbende Mutter zu besitzen, Hess er ein
anderes seiner berühmten Bilder, Noahs Trunkenheit, von einem niederländischen Maler in Rom
copiren 1 und kaufte ein kleines Bild eines seiner begabtesten Schüler, Andrea Camassei,2 dessen Ab-
bildung wir dieser Studie vorangestellt haben (Fig. i). Diese beiden Bilder sind noch heute in der
kaiserlichen Gallerie. Ein viertes Bild, eine Allegorie der göttlichen Weisheit, das dort dem Sacchi zu-
geschrieben wird, die verkleinerte Copie eines Deckengemäldes im Palaste Barbarini und nicht Sacchis
Skizze dazu, wie der Katalog Engerths angibt,3 dürfte, wie das ähnliche Exemplar in der Eremitage,4
in Sacchis Werkstatt gemalt sein, vielleicht bestellt von dem Cardinal Barbarini, um die Aufsehen
erregende Composition seinen Freunden bekanntzumachen. Die benachbarten Bilder der Wiener
Gallerie, die Sacchi zugeschrieben werden, bilden also kein Vergleichsmaterial zur Bestimmung des
Meisteis. Es genügt jedoch, auf Sacchis bekanntes Altarbild in S. Carlo ai Catinari in Rom mit
dem Hinscheiden der heil. Anna zu erinnern, um die Angabe des alten Inventars als verlässlich
und die hier gegebene Deutung seiner Notiz als richtig zu erweisen. Der Kopf der sterbenden Heiligen
dort und der Kopf der sterbenden Mutter auf dem Wiener Bilde sind fast identisch; nur das höhere
Alter der heil. Anna veranlasste unwesentliche Aenderungen.

Der Versuch, nach einer Beschreibung bei einem alten Schriftsteller ein verloren gegangenes
Werk der antiken Malerei wieder herzustellen, ist zur Zeit des Andrea Sacchi nur mehr ganz selten
gemacht worden. In der ersten Hälfte des XVI. Jahrhunderts waren solche Restaurationsversuche,
wenn nicht gerade häufig, doch überall in Italien unternommen worden, in Florenz und Siena so gut
wie in Venedig und In Rom. Aber auch damals hatte man sich an Philostratus und Lucian gehalten,
zuweilen wohl auch einen weniger gelesenen Schriftsteller, wie Ausonius, benützt, Plinius jedoch, der
so vieler Hunderte von Gemälden gedenkt, bei Seite liegen lassen, weil seine Beschreibungen zu wenig
sinnlich sind.5 Nur einmal hatte Giulio Romano eines der Bilder, von denen Plinius in seiner Ge-
schichte der antiken Malerei spricht, in der Villa Madama an die Wand gemalt,6 den schlafenden
Cyklopen des Timanthes, dessen Daumen die Satyrn mit einem Thyrsos messen,7 weil in diesem
Falle Plinius das anmuthige Motiv anschaulich mitgetheilt hatte.8

Als man in Italien am Ende des XV. und am Beginne des XVI. Jahrhunderts begann, antike
Stoffe zu malen, hatte man sich merkwürdige Episoden aus der antiken Poesie und Geschichte zu Vor-
würfen gewählt, hatte auch gleich zu Beginn auf Bilderbeschreibungen des Lucian geachtet. Es waren
natürlich immer die gebildeten Besteller, die diese Stellen in der Litteratur aufgesucht und dem Maler,
den sie beauftragten, gedeutet hatten. Dann, als der Bedarf an weltlicher Malerei grösser wurde, kam
eine Periode, in der die bekannten Stoffe der griechischen Mythologie, wie Liebschaften Jupiters und
ovidische Verwandlungen mit pathetischer Behandlung der römischen Geschichte wechselten, bis sich

1 Im Inventar von 165g unter den Niederländern als Nr. 388: »Copia so in Italien gemacht«. Engerth I, Nr. 402, hielt
das Bild für ein Original Andreas.

2 Im Inventare von 1659 als Nr. 437: »Von Andrea Camaseo, Original« (Jahrbuch I, p. CX), was schon im Register
des Jahrbuches als Camassei richtiggestellt ist; Engerth I, Nr. 403, hält es für ein Original des Andrea Sacchi.

3 Engerth I, Nr. 404. 4 Nr. 209.

5 Die Venus des Apelles, die Tizian gemalt hat in dem Bilde in Bridgewaterhouse in London, ist, obwohl sie bei Pli-
nius besprochen wird, wie Benndorf, Athen. Mittheilungen I (1876), p. 6of. nachgewiesen hat, nicht mit Benützung der Pli-
niusstelle, sondern nach einem Epigramm entworfen worden.

6 Nachgewiesen von K. Dilthey im Rheinischen Museum, Neue Folge, Bd. XXI (1871), S. 3oi.

7 Das Bild ist jetzt arg zerstört; die Composition ist in einer Nachzeichnung von unbekannter Hand, die sich im Louvre
befindet, für uns erhalten; vgl. Dollmayr, Raffaels Werkstätte, Jahrbuch XVI, 1, S. 331. 8 Km. hist. nat. XXXV, 74.
 
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