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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 19.1898

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Abhandlungen
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Wickhoff, Franz: Sacchis Restauration der sterbenden Mutter des Aristides
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https://doi.org/10.11588/diglit.5780#0399
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Sacchis Restauration der sterbenden Mutter des Aristides.

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Werke wies, ihnen die einzelnen Figuren erklärte und seines Preises nie genug finden konnte. Dem
Leben von Andreas Schüler Francesco Lauro hat Pascoli einen langen Vortrag über die Malerei
eingefügt,1 der augenscheinlich auf eigenhändiger Aufzeichnung des Schülers beruht, der die gelegent-
lichen, kurzen, oft scharfen Bemerkungen des Meisters in ein Heft eintrug. Erst der Herausgeber hat
ihnen die unerträgliche Form einer nicht endenwollenden Strafpredigt gegeben. Betrachtet man die
Aeusserungen einzeln, so ist man betroffen, dass sie, von so vielerlei nützlichen Dingen sie auch
handeln mögen, immer auf den klaren Ausdruck der Gemüthsbewegung zurückkommen, wodurch die
Bilder erst verständlich würden.

Während Romanelli, ein geschickter Maler, den Bernini für seine grossen Absichten auf ein
decoratives Zusammenwirken aller Künste benützte, ohne vorgehende Naturstudien seine Composition
auf die Leinwand warf,2 zeichnete der an Gemälden so wenig productive Sacchi unablässig sein
ganzes Leben lang.3 Viele seiner Zeichnungen haben sich erhalten. Wir bringen die schöne Pinsel-
zeichnung einer sitzenden Madonna (Fig. 4), die uns zeigt, wie sorgfältig Sacchi das Gewand studirte,
das seine Zeitgenossen meistens ohne Vorbereitung auf der Leinwand improvisirten.4

Wenn das Bild der sterbenden Mutter ausserhalb des StofFkreises lag, der der Zeit nach unserem
Künstler vertraut war, so passt es gut zu seinem innersten Wesen. Sein Leben hatte er der Aufgabe
geweiht, entgegen den decorativen Absichten seiner Zeitgenossen, seine Compositionen geistig durchzu-
arbeiten und durch die bedeutungsvolle Gestaltung der Figuren die Handlung deutlich zu machen.
Raffael und Domenichino schätzte er vor allen, weil sie den Ausdruck bewältigten.

Sacchi, geistreich und witzig, liebte es zu sprechen, am liebsten nicht mit Malern, und verstand
es zu tadeln, beides Eigenschaften, die einen guten Gesellschafter abgeben. Wenn er auf sein Lieblings-
thema kam, mag ihm wohl einmal ein gelehrter Freund gesagt haben, dass es in Griechenland ehemals
einen Maler gegeben hätte, der wie er auf den Ausdruck der Gemüthsbewegungen ausgegangen wäre,
der diesen Ausdruck der Gemüthsbewegung zuerst beobachtet und dargestellt hätte. Wenn er ihn
noch darauf hinwies, dass uns von einem seiner Bilder eine Beschreibung vorliege, so hat es wohl
nichts als der Mittheilung dieser Beschreibung bedurft, um den Künstler zur Schöpfung unseres Bildes
anzuregen. Wenn wir es in diesem Sinne betrachten, so wird es geradezu zum Symbol von Andreas
Tendenzen und seiner Kunstübung.

1 Pascoli, a. a. O., II, p. 77—86.

3 Passeri, a. a. O., p. 332: Dipingeva quasi il tutto di maniera senza veder alcuna Cosa.
3 Passeri, a. a. O., p. 326; Pascoli, a. a. O. I, 18. 4 Passeri, a. a. O.

Fig. 5. Carlo Cignani, Caritas Romana.
(Wien, kaiserliche Gallerie.)
 
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