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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Graeven, Hans: Typen der Wiener Genesis auf byzantinischen Elfenbein-Reliefs
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0103
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Hans Graeven.

den Schrägtheilen des Deckels trapezförmige Reliefs aber keines derselben hat so geringe Breite wie
unsere beiden Platten.1 Von gleich kleinen Dimensionen scheinen indess die trapezförmigen Silber-
reliefs zu sein am Reliquienkasten in Anagni, den ich im Vorjahre ans Licht gezogen habe.2 Er ist
den Elfenbeinkästchen mit profanen Figuren überaus nahe verwandt, unterscheidet sich jedoch in seinem
Decorationssystem von allen bisher bekannten Exemplaren dadurch, dass diese an den schrägen Lang-
seiten der Deckel entweder sehr langgestreckte Trapeze oder kleine oblonge Platten tragen, während
jener an der gleichen Stelle drei kleine trapezförmige Reliefs zeigt.

Der Silberkasten gibt uns nicht allein Aufschluss über die ehemalige Verwendung der Josefreliefs,
er hilft uns auch zu ihrer annähernden Datirung. Seine profanen Figuren und noch mehr die des

Fig. 8. Elfenbeinrelief in Berlin.

ihm nächstverwandten Elfenbeinkastens, der aus Volterra stammt und jetzt im Musee de Cluny ist,3
stimmen in ihren Formen und in ihrer Gewandbehandlung vollkommen überein mit den Figuren
Jakobs und seiner Söhne. Da nun am Kasten in Anagni sowohl als auch an dem in Paris die antiken
Typen schon theilweise entstellt sind,4 auch die Bildung der Figuren von dem classischen Gepräge,
das uns am Verolikasten so überrascht, bereits viel verloren hat, müssen wir die beiden Werke und
mit ihnen die Josefreliefs etwas später ansetzen als die ersten und besten Nachahmungen der Antike,
als deren Entstehungszeit ich die zweite Hälfte des IX. Jahrhunderts erwiesen habe.

Der inhaltliche Zusammenhang unserer beiden trapezförmigen Reliefs lässt darauf schliessen, dass
der Kasten, dem sie dereinst als Schmuck gedient haben, weitere Darstellungen aus der Geschichte
Josefs getragen hat. Das Museo Kircheriano in Rom beherbergt einen Elfenbeinkasten mit griechischen
Inschriften,5 der zeitlich den Josefreliefs nicht fernsteht. Auf der Oberfläche seines Deckels ist zu
unterst ein Ehepaar dargestellt, das laut der Inschrift den Kasten seinem Herrscherpaare, zum Geschenk
gemacht hat; über ihnen sehen wir den Kaiser und die Kaiserin selbst und Christus in der Mitte, sie

1 Die kleinsten der mir bisher bekannten Elfenbeintrapeze finden sich an den Schmalseiten der Kastendeckel in Pisa
und Florenz; jene haben i3, diese Ii cm untere Breite.

2 Abbildung im vorigen Bande dieses Jahrbuches, S. 28. Leider habe ich noch keine Gelegenheit gehabt, das Original
zu sehen, so dass ich die Maasse seiner Trapeze nicht genau anzugeben vermag.

3 Abbildung bei Molinier, Histoire generale des arts appliques ä l'industrie I: Ivoires, Taf. 8.

4 Vgl. was im vorigen Bande dieses Jahrbuches (S. 24) über den Kentauren des Pariser Kastens (S. 29) über die Tänzerin
des Silberkastens gesagt ist.

s Abbildung bei Graeven, Frühchristliche und mittelalterliche Elfenbeinwerke 1900, Nr. 57—61. Eine Publication des
Kastens durch G. Schlumberger wird in den Monuments Piot erfolgen. Im Gegensatze zu den Reliefs mit profanen Figuren
und unseren beiden Josefreliefs, die äusserst dünn sind und auf Holzkästen montirt wurden, haben die Reliefs des Kastens
im Museo Kircheriano solche Stärke, dass sie direct als Kasten wände verwendet wurden. Ornamentbänder mit Rosetten,
welche die Reliefs anderswo umziehen, sind an diesem Kasten nicht angebracht. Seine Darstellungen sind bei grosser Un-
 
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