Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

DOI issue:
I. Theil: Abhandlungen
DOI article:
Graeven, Hans: Typen der Wiener Genesis auf byzantinischen Elfenbein-Reliefs
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0110
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Typen der Wiener Genesis auf byzantinischen Elfenbeinreliefs.

Pesareser das Mordinstrument des oberen Reliefrandes wegen nicht deutlich zur Darstellung kam und
deshalb von einem Copisten als Stein aufgefasst wurde.

Dem Relief in Pesaro steht das Bologneser Josuarelief ausserordentlich nahe; zwar ist es nicht
mit der gleichen Schärfe geschnitzt wie jenes und zeigt verwaschenere Formen; aber in den Propor-
tionen der Figuren, in der Gewandbehandlung stimmen die beiden Werke auffallend überein. Ihre
Gestalten sind untersetzt und kräftig, im Gegensatze zu den schmächtigen, langgestreckten Gestalten,
die uns auf so vielen anderen Erzeugnissen der byzantinischen Sculptur begegnen. Die Aehnlichkeit
der Gewandung sticht besonders in die Augen, wenn
man den befehlenden Josua mit Kain vergleicht. Um
den Hals schlingt sich ein wulstartiges Tuch; auf
dem Bruststücke des gegürteten Chitons sind drei
Steilfalten angegeben, die in die bekannten drei-
eckigen Augen auslaufen. Solche Faltenaugen sind
in der Wirklichkeit am Bausch unmöglich; sie können
sich nur bilden im frei herabhängenden Stoffe, sei es
am unteren Gewandsaume, sei es am Saume des
Ueberschlages, den die altgriechische Frauentracht
hatte. Die Uebertragung dieser Faltenaugen auf den
Bausch, der durch die Gürtelung entsteht, beruht auf
einem Missverständnis, für das übrigens schon antike
Statuencopien Beispiele bieten.

Von der Beinbekleidung bekommen wir durch
die Figuren Kains und Abels ein klareres Bild als
durch das Bologneser Relief. Dort ist der obere Ab-
schluss des Kleidungsstückes unterhalb des Knies
jedesmal kenntlich gemacht und es scheint, als ob
auch der Schuh und die Hülle des Beines gesondert
wären. Dies würde der Natur des Kleidungsstückes
entsprechen; denn wir haben hier offenbar die Ga-
maschen zu erkennen, die auf spätantiken und früh-
christlichen Monumenten Hirten, Landleute und Jäger

sehr häufig tragen.1 Sie waren also eine passende Ausstattung für Kain und Abel sowohl als auch
für ihre Eltern. In der That finden wir auf allen byzantinischen Elfenbeinreliefs, die Adam und
Eva bei der Arbeit zeigen, sie mit einer Beinbekleidung, die der Kains und Abels entspricht. Dass die
Pesareser Reliefs auf ein frühchristliches Vorbild zurückgehen, wird mit unumstösslicher Sicherheit
bewiesen durch die Säulenhalle, die hier hinter den Figuren erscheint. Das Motiv, beliebige Scenen
der heiligen Geschichte, auch solche, die im Freien spielen, mit einem derartigen Hintergrunde zu
versehen, ist der byzantinischen Kunst sonst fremd; auf frühchristlichen Sarkophagen und Elfenbein-
werken kommt es nicht selten vor.2

Die Personen, die in den frühchristlichen Monumenten mit den Gamaschen ausgestattet sind,
haben häufig auch die sogenannte »alicula«,3 einen Kragen, der die Schultern deckt und hinten eine
Kapuze hat. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Wülste, die wir am Halse Kains, Abels und Josuas

Fig. 14. Elfenbeinrelief der Sammlung Oppenheim
in Köln.

1 Vgl. z. B. das profane Elfenbeinrelief bei Buonarotti, Osservazioni sopra alcuni medaglioni antichi (Roma 1698),
p. 427; die christlichen Sarkophage bei Garrucci, a. a. O. V, tav. 295, 298, 299, 3oo, 304; die Lipsanothek in Brescia bei
Garrucci, a. a. O. VI, tav. 443; Graeven, Frühchristliche und mittelalterliche Elfenbeinwerke, Nr. 15.

2 Vgl. z. B. die Sarkophage bei Garrucci, a. a. O. V, tav. 324, 326 — 328; die Elfenbeinpyxiden ebenda VI,
tav. 438 — 440.

3 Vgl. die oben Anm. 1 aufgeführten Monumente, lieber den Namen vgl. Wilpert, Die Gewandung der Christen in den
ersten Jahrhunderten, S. 20.
 
Annotationen