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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Graeven, Hans: Typen der Wiener Genesis auf byzantinischen Elfenbein-Reliefs
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0112
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Typen der Wiener Genesis auf byzantinischen Elfenbeinreliefs.

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wollen; es sind ihm aber mancherlei kleine Versehen passirt. Die Hände seiner Figur sind nicht ge-
bunden sondern die eine umspannt das andere Handgelenk; überdies sind die Hände verwechselt,
die Rechte ist einer Linken gleichgebildet und umgekehrt. Ganz unklar ist auch die Gewandung
des Mannes; er hat zwar einen Kragen aber auf dem Rücken ist keine Stofffalte sichtbar, an den
Armen kein Aermelrand. Die übereinstimmende Haltung der Figur im Relief und im Vat. 747 be-
weist, dass dieser hier ein Detail der Originalcomposition treuer bewahrt hat als die übrigen Okta-
teuche.

Das Elfenbeinrelief hat die Hauptcharakteristika der Scene abgestreift: der Hingerichtete trägt
weder Krone noch Königsgewand, der Henker ist ungepanzert und unbehelmt, beide Figuren haben
genau dasselbe Costüm erhalten wie Kain und Abel auf dem Relief in Pesaro. Der einzige Unterschied
besteht darin, dass der Wulst um den Hals ersetzt ist durch einen schmalen verzierten Gewandsaum.
Denselben Saum finden wir wieder am Gewände Adams und Evas auf zwei Elfenbeinplättchen, die
ehemals in der Sammlung Pulszky waren.1 Die Ureltern sind hier einmal dargestellt bei der Ernte
des Kornes, einmal mit Schmiedearbeit beschäftigt. Die beiden Plättchen unterscheiden sich von der
Hauptgruppe der byzantinischen Reliefs, welche Adam und Eva vorführen, einerseits durch sorg-
fältigere Ausführung und grössere Zierlichkeit, andererseits durch die grös-
sere Steifheit in den Bewegungen der Figuren. Gestützt auf diese Kriterien
konnte ich eine isolirte Platte des British Museum bestimmen,2 die den Erz-
engel Michael zeigt (Fig. 16). Er gehörte zu einer Austreibung aus dem
Paradiese, die entweder von demselben Kasten stammt wie die beiden
Platten der ehemaligen Sammlung Pulszky oder sicherlich von einem ganz
gleichartigen. Ich habe die Abbildung des Michael hier wiederholt, weil die
Figur die engste Verwandtschaft hat mit dem Engel der Berliner Josef-
reliefs, zu deren Betrachtung wir jetzt zurückkehren können.

In der linken Ecke der ersten Tafel sitzt Jakob gleichwie auf dem
Dresdener Relief und auf dem Bilde der Wiener Genesis; aber vor dem
Patriarchen sehen wir nicht den zärtlichen Abschied Josefs von Benjamin. Fjg l6 Eifent,einrelief

Unmittelbar an die Figur des Vaters ist der fortwandernde Sohn gerückt im British Museum,

mit dem Engel, der ihn führt. Auch die Genesisminiatur stellt nach der

Abschiedsscene dar, wie sich zu Josef ein Engel als Reisebegleiter gesellt. Dieser erscheint als geflügel-
ter Jüngling in langer Tunica und Mantel; er schreitet lebhaft nach rechts mit vorgesetztem linken
Bein und wendet den Kopf rückwärts. Seine Linke hält einen Stab, die Rechte weist auf den Weg;
genau dieselbe Figur finden wir im Berliner Relief wieder; aber sie ist in die unbeholfene Formen-
sprache des spätbyzantinischen Elfenbeinarbeiters übersetzt.

In der Miniatur wendet Josef ebenso wie der Engel den Kopf zurück, um seinem Bruder Benja-
min noch einen letzten Blick zuzuwerfen. Die Kopfhaltung Josefs im Relief ist geändert, weil die
Figur Benjamins ausgelassen wurde. Die Verminderung der Personen, die Zusammendrängung der
Scenen hier hat ihre Analogie auf dem Bologneser Josuarelief.

Der Wanderscene folgt auf dem Berliner Relief sogleich der Verkauf Josefs an die Ismaeliten.3
Den Mittelpunkt der Handlung bildet die Brunnenöffnung, aus der der nackte Josef hervorgezogen
wird. Ein Jüngling rechts hat ihn am linken Arm gefasst. Auf der gegenüberliegenden Brunnenseite
steht ein Jüngling, der seine geöffnete Linke einer geballten oder gefüllten Rechten entgegenstreckt,
die nur aufgefasst werden kann als die Hand des Kaufmannes, der die zwanzig Goldstücke auszahlen
will. Ganz ähnlich sehen wir auf den Reliefs der ravennatischen Kathedra,4 wie ein Ismaelit einem

1 Abbildung bei Molinier, a. a. O., Taf. IX bis, 2.

2 S. L'Arte, giä archivio storico dell' Arte II (1899), p. 305.

3 Diese Scene und manche Details der übrigen haben die Herausgeber des Berliner Katalogs anders gedeutet als ich.
Eine Widerlegung ihrer Ansichten schien mir überflüssig, da, wie ich hoffe, meine Deutungen überzeugend sind.

* Abbildung bei Garrucci, a. a. O. VI, tav. 420.

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