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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 22.1901

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Die Illumination des Johann von Neumarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5948#0068
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Max Dvorak.

die Decoration reicher und im Sinne der Zeit wohl auch kunstvoller auszugestalten begonnen hatte,
verwendete man sie nach denselben Gesetzen, die in allen früheren Perioden bei der Entstehung einer
stilisirten Ornamentik gewaltet hatten. Es entsteht auf diese Weise ein merkwürdiges Compromiss
zwischen Altem und Neuem. Gewisse Grundformen stammen noch immer aus der romanischen Kunst
und so traditionell aus dem antiken Formenschatz (z.B. die beliebte Wellenranke). Andere sind kalli-
graphisch, primär oder aus der Technik zu erklären, wie die Streifen entlang der Columne. Die Motive,
mit denen man dieses Gerippe ausfüllt, sind neu. Wo sie frei verwendet werden, erscheinen sie mehr
oder weniger mechanisch aneinander gereiht als eine Tapete. Wie so oft früher, verdrängt ein Motiv
alle anderen. Es ist das Dornblatt, das rein ornamental zur Ausschmückung der Wellenlinien, der
Streifen und der weissen Flächen benützt wird.

In der französischen Büchermalerei hält sich derselbe gebundene Stil wie in gleich-
zeitigen Glasgemälden, wie in gleichzeitigen Sculpturen und entwickelt sich bis zur
Mitte des XIV. Jahrhunderts selbständig und in der Form, dass eine Reihe von neuen
Naturbeobachtungen gemacht wird, dass neue Cyklen erfunden werden und dass man
prunkvoller und reicher verfährt.

Ganz anders entwickelte sich die Büchermalerei in Italien. Es hängt das in erster Reihe damit
zusammen, dass die gesammte Kunstentwicklung eine andere Richtung genommen hat als in Frank-
reich. In Italien ging das neu erschlossene Darstellungsvermögen Hand in Hand mit einem neu er-
wachten Interesse für antike, altchristliche und byzantinische Kunstwerke. Die progressive Entdeckung
der Realitäten führte zu einer progressiven Entdeckung der alten Kunst.

Die Büchermalerei spielte dabei im Ganzen und Grossen eine geringe Rolle. Darin liegt einer
der Unterschiede dem Norden gegenüber. Ein tieferer Unterschied für die gesammte Malerei besteht
in den Aufgaben, welche sich die Künstler stellen. Etwas generalisirt, kann die Sache so zusammen-
gefasst werden, dass man in Italien von dem Zeichenstile der gothischen Zeit wieder den Weg zu dem
plastisch-malerischen Stile der späten Antike gefunden hat. Wie gesagt wurde, ist es ein Wechsel in
den Aufgaben. Im Norden war jedes Bild eine Illustration oder decorativ; was darüber hinausgeht,
sind zufällige oder traditionelle Accessorien. In Italien beginnt man im Ducento undTrecento zunächst
imitativ nach alten und byzantinischen Kunstwerken, dann nach und nach bewusster nicht nur jede
einzelne Figur als eine consequent auf dreidimensionalen Eindruck hinausgehende, möglichst treue
Wiederholung der Natur sondern auch das gesammte Bild als einen Ausschnitt aus der Natur zu
gestalten. Der Unterschied erscheint auf den ersten Blick als nur quantitativ in der Anwendung be-
stimmter Darstellungsmittel, ist jedoch auch principiell, worüber wir später sprechen wollen.

Diese Renaissance bestimmter formal-malerischer Probleme vollzog sich in erster Reihe in der
monumentalen Malerei. Eine analoge Entwicklung in der Illuminirkunst führte zu denselben Resultaten
und zu einer immer grösseren Abhängigkeit von der Tafel- und Wandmalerei. Wie in der spätantiken,
frühmittelalterlichen und byzantinischen Kunst, wurden die italienischen Miniaturen des XIII. und
XIV. Jahrhunderts zu geschlossenen, eingerahmten Gemälden mit völlig durchgeführter oder wenig-
stens angestrebter plastischer Wirkung. Die stilisirte Gebundenheit der französischen Illustrationen
wird durch einen Naturalismus nicht des Details sondern der Gesammtauffassung ersetzt. Ein Vergleich
unserer Abbildung Fig. 36 nach einer Miniatur, die in Italien in der ersten Zeit des neuen Stiles ent-
standen ist, mit der Abbildung Fig. 35 nach einer beiläufig gleichzeitigen französischen Miniatur ver-
deutlicht, was sich geändert hat und wo die Quellen des Umschwunges zu suchen sind.

Die ornamentale Ausschmückung der Handschriften entwickelte sich in ähnlicher Weise. Der
Anstoss, der durch die neue französische Ornamentik gegeben wurde, wirkte dahin, dass auch in Italien
sowohl in monumentalen als auch in handschriftlichen Decorationen die mittelalterlichen Ornamente auf-
gelöst und umgestaltet wurden. Wie in Frankreich, füllte man zunächst die alten und übernommenen
Schemen mit neuen Motiven, die man jedoch weit häufiger der alten Kunst als der Natur entlehnte.
Das häufigste und auffallendste Motiv der antiken und altchristlichen decorativen Malerei war die
Akanthusranke. Nun stammte jedoch auch das neue französische und italienische Ornament durch das
 
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