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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 22.1901

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Die Illumination des Johann von Neumarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5948#0077
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Die Illuminatoren des Johann von Neumarkt.

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Die monumentale Kunst des XIII. Jahrhunderts entwickelte sich fast ganz und gar an den Kathe-
dralen: die Architektur an ihrem Baue, die Plastik an den Portalsculpturen, die Malerei in den Glas-
gemälden. Das ändert sich im XIV. Jahrhundert. Die Begeisterung war verschwunden, die unvoll-
endeten Bauten wurden vielfach nicht zu Ende geführt, es ist eine Reaction eingetreten. Die private,
die feudale, die höfische Kunst bekommt besonders in Frankreich wieder das Uebergewicht. Es ist der
Höhepunkt in der Entwicklung der feudalen Gesellschaft, wie sie sich in Frankreich nach den Kreuz-
zügen entwickelte und die für die Zeit von etwa 1250—1400 ebenso charakteristisch ist wie das Bürger-
thum für die folgenden zwei Jahrhunderte. Dabei handelt es sich um mehr als um die zeitweiligen
Lebenseinrichtungen einer bestimmten socialen Classe. Es concentrirt sich da die allgemeine Entwick-
lung der gesellschaftlichen Formen und des Geschmackes, es ist die Signatur des Zeitalters.

Bereits in der zweiten Hälfte des XIII. Jahrhunderts wird in dem Geburtslande der nordischen
Kunstentwicklung, in Nordfrankreich, kein einziger bedeutender Kirchenbau mehr begonnen.1 Das
Neue in der Kunst finden wir in den Illustrationen der weltlichen Texte, in den Tafelbildern der Trag-
altäre, in den Wandmalereien der Burgen und Paläste.

Dazu kommt etwas Anderes. In Italien entdeckte man das antik-orientalische Staatsideal wieder.
Zum erstenmale vereinigt sich der Werdegang des modernen Staates mit unmittelbarer antiker Tradi-
tion. Es entstehen die für die Zukunft in so vieler Hinsicht vorbildlichen feudal-despotischen Mon-
archien in Sicilien und Neapel, bei denen die centrale Verwaltung die Grundlage und die feudale Ge-
sellschaft im Gegensatze zum Mittelalter nur die äussere Form bildet.

Das Papstthum macht nothgedrungen alle Wandlungen des Regierungsprincipes im Abendlande
durch und so bedurfte es nicht einmal der persönlichen Beziehungen Johanns XXII. zu dem Hofe von
Neapel. Avignon wird die Residenz der päpstlichen Centralgewalt und des päpstlichen Hofes und
beide nehmen jene Formen an, welche als die besten, die glänzendsten gegolten haben. Es ist der
Höhepunkt der weltlichen Machtentfaltung, doch zugleich ein Uebergang zum absoluten Landes-
fürstenthum der Päpste im XV. Jahrhundert. Die Erinnerung an Gregor war ganz verschwunden.
Die Stadt der Päpste war im XIV. Jahrhundert die prunkvollste Residenz.

Clemens V., der letzte mittelalterliche Papst, war ein bedürfnisloser Einsiedler und wohnte in
Avignon bei den Dominikanern.2 Mit dem Regierungsantritte seines Nachfolgers Jacques Dueze beginnt
eine neue Zeit. Er war früher Kanzler des Königs Karl II. von Neapel, des modernsten der damaligen
Herrscher. »Homo perstudiosus et vehementioris animi«, sagt von ihm Petrarca. Er adaptirte zu-
nächst das alte bischöfliche Haus und begann einen neuen Palast zu bauen. Die Architekten, welche
diesen Bau durchführten, waren Provencalen, den Plan dürfte Guillaume de Coucouron entworfen
haben.3 In der Provence scheint sich seit der Antike eine ununterbrochene Tradition in der Ausfüh-
rung von gross angelegten Profanbauten erhalten zu haben; ich erinnere nur an den Pont St. Benizet.
Ausserdem Hess Johann XXII. das Schloss von Chäteauneuf von Hugues de Patras, Raymond Ebrard
und Guillaume Coste, das Schloss von Noves von Jean Aimeri und den päpstlichen Palast in Sorgues
von Guillaume de Coucouron, Pierre de Gauriac und Pierre de Aule bauen. Im Jahre i323 starb Guil-
laume de Coucouron, der auch einen Palast für den Cardinal Arnold de Via erbaute. Sein Nachfolger
wurde Raymond Mezier, dann Pierre Audebert und Arnaud Escudier.4

Eine ganze Legion von Malern wurde berufen, um die Paläste auszumalen.5 Zunächst wurde
die päpstliche Privatkapelle wahrscheinlich noch im alten Bischofshause ausgemalt, und zwar unter

1 Vgl. die Uebersichtstabelle bei Dehio, Die kirchliche Baukunst des Abendlandes, VIII. Lief.

2 Faucon, Les arts ä la cour d'Avignon I, 38.

3 Duhamel, Les origines du palais des papes in: Compte rendu du Congres archeologique de France 1882. Müntz,
Les architects du palais des papes ä Avignon in: La semaine des constructeurs 1887; Faucon a. a. O. und abschliessend
Ehrle, Historia bibliothccae Romanae pontificum, p. 588 ff.

* Faucon II, 87 ff.

5 Auszüge aus Register- und Rechnungsbüchern, die Nachrichten über die in päpstlichen Diensten beschäftigten Maler ent-
halten, wurden veröffentlicht von Faucon a. a. O. für die Zeit Johanns XXII.; von Müntz im Bulletin monumental 1884 und in den
Memoires de la Societe nationale des antiquaires de France 1885 für die Periode Benedicts XII. und Clemens VI. Vieles auch
 
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