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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 22.1901

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Die Illumination des Johann von Neumarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5948#0081
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Die Illuminatoren des Johann von Neumarkt.

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In der Regel sind die provencalischen Handschriften derber und roher als die nordfranzösischen; es
scheint nirgends eine directe Werkstattüberlieferung vorzuliegen. Die Ornamente sind vergrössert, den
Miniaturen fehlt die kunstvolle Ausführung und die Farben sind grell und sandig, Kennzeichen, die
wir im XIII. und XIV. Jahrhundert überall finden können, wohin der neue Stil durch Bücher über-
tragen wurde.1 Als Beispiel, das man mit Variationen in allen sonstigen provencalischen Handschriften
wiederfindet, können die zwei den Philologen gut bekannten Sammlungen von provencalischen Chan-
sons Ms. fr. 12473 und 12474 in der Pariser Nationalbibliothek angeführt werden.

Die wenigen nachweisbaren liturgischen Handschriften aus der Provence oder aus dem Languedoc
beweisen, dass die Illustration und Ausschmückung der provencalischen Texte auch als die provenca-
lische und südostfranzösische überhaupt gelten kann. Wir finden ähnliche Miniaturen und Orna-
mente in dem Missale aus Avignon Nr. 176 der Municipalbibliothek in Avignon, in dem Anti-
phonar Nr. 190 derselben Bibliothek, welches in der zweiten Hälfte des XIII. Jahrhunderts in
der Mageloner Diöcese geschrieben und illuminirt wurde, in den Libri feudorum aus Avignon
(Nr. 190 derselben Bibliothek), in den Schriften des heil. Hieronymus und Beda, welche im
Jahre 1294 der Bischof von Alby Bernard de Castanet schreiben Hess (jetzt Nr. 157 der Municipal-
bibliothek in Toulouse), in dem Missale Nr. io3 derselben Bibliothek aus Toulouse oder in den
Institutiones der Erzbischöfe von Aix (Nr. 271 der Municipalbibliothek in Aix).

Diese Anlehnung an nordfranzösische Vorbilder beschränkte sich nicht
nur auf den älteren nordfranzösischen Stil. Um die Wende des XIII. und XIV.
Jahrhunderts dringt auch die Dornblattornamentik im Süden ein. Der vor-
geschrittene Stil der nordfranzösischen Werkstätten wurde in die Provence
übertragen, obwohl er keine so einschneidende Neuerung, die überall durch-
dringen musste, wie der Stil der ersten Hälfte des Jahrhunderts bedeutete. Die
m_ Provence war in dieser Zeit eben in der Kunst fast vollkommen von dem
Norden abhängig. Und so könnte, abgesehen von der rohen Ausführung
und von den hellen Schreiberfarben, etwa das Missale ad usum mona-
sterii Massiliensis aus den ersten Jahren des XIV. Jahrhunderts (jetzt
Nr. 106 der Municipalbibliothek in Carpentras) oder ein beiläufig
gleichzeitiges Missale aus Avignon (Nr. i33 der Municipalbibliothek
in Avignon) ebenso gut im Norden entstanden sein. Wir finden
wiederum denselben Stil auch anderswo im Süden, z. B. in zwei
Missalbüchern aus Toulouse (Nr. 90 und Nr. g3 der Municipalbiblio-
thek in Toulouse). Man kann nicht einwenden, dass vielleicht die
glänzenderen und selbständigeren Arbeiten verloren gegangen wären oder sich in den Fonds der
grossen Bibliotheken unter Handschriften befinden, bei denen keine Handhabe einer Localisirung ge-
boten wird. Ein neuer localer Werkstatt- und Schulstil wirkt in dieser Zeit, wie wir dies überall be-
obachten können, sehr bald auch auf die einfachsten und billigsten Arbeiten ein. Nur in Mont-
pellier scheint eine intensivere Handschriftenproduction bestanden zu haben; wenigstens weisen wissen-
schaftliche und vor Allem canonistische illuminirte Handschriften aus alten Beständen der Universi-
tätsbibliothek Eigenthümlichkeiten auf, die anderswo nicht zu belegen sind. Man kommt überall zu
demselben Resultat: die Entwicklung der Miniaturmalerei ist im XIII. Jahrhundert und zum Theil
wenigstens auch im XIV. Jahrhundert im Norden an bestimmte Culturcentren gebunden, an Uni-
versitätsstädte und höfische Residenzen; die übrige locale Production kommt kaum in Betracht. Erst
in der zweiten Hälfte des XIV. Jahrhunderts sind die neuen Werkstätten so fundirt, dass ihr Kunst-
besitz das Stabile und Wichtige wird; erst in dieser Zeit entstehen Kunstcentren auch in relativ un-
bedeutenden Städten.

Fig. 15. Initiale aus der Handschrift
Nr. 138 der Bibliothek des Musee
Calvet in Avignon, f. 354'.

1 Es erhielten sich auch in den provencalischen Handschriften des XIII. Jahrhunderts weit mehr romanische Elemen
als in gleichzeitigen nordfranzösischen.

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