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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 22.1901

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Die Illumination des Johann von Neumarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5948#0096
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Max Dvofak.

toscanischen Büchermalerei. Man findet in sonstigen böhmischen Handschriften nirgends Miniaturen,
die so italianisiren würden. Einzelne Bilder, wie etwa die Marien am Grabe Christi auf S. 145 oder den
auferstehenden Christus auf S. 146 (Taf. XII), würde man in einer italienischen Handschrift kaum
anders finden. Ueberall sieht man, dass der Maler so componirt und malt wie die gleichzeitigen tos-
canischen Büchermaler. Man kann es auch in den Randleisten beobachten. Die Rankenornamente
haben noch nicht jene conventionelle und locale Form angenommen, welche für böhmische Hand-
schriften charakteristisch ist, sondern schliessen sich weit enger an den toscanischen Bücherschmuck
an. Bilderinitialen wie auf S. 146 (Taf. XII) finden wir in ganz gleicher Form in toscanischen Arbeiten.
Die Rankenornamente haben noch nicht die schwere und einförmige Form wie in späteren böhmischen
Handschriften und, wie die Italiener, verfügt der Illuminator über eine grosse Mannigfaltigkeit von
Motiven. Der toscanische Einfiuss äussert sich auch in den Drolerien. Werfen wir etwa einmal einen
Blick auf die Taf. XIII. Die bärtigen Männer in Medaillons und Knospen, die Fratzen, welche Zwickel
ausfüllen, der nackte wilde Mann, der mit einem Drachen kämpft, die halbnackte Figur rechts in der
Ecke, welche den Rankenabschluss in den emporgehobenen Händen hält, das sind alles Erfindungen,
die sich in italienischen Handschriften belegen lassen. Toscanisch ist endlich auch die Technik.

Vereinzelte französische Elemente sprechen jedoch auch für eine anderweitige Beeinflussung. Der
französische Einfiuss äussert sich in denselben Formen, welche wir in avignonesischen Handschriften
kennen lernten. Ja noch mehr: neben den rein toscanischen Decorationen finden wir solche, welche
wir als avignonesisch festgestellt haben. Die stilisirten, krausen Rankenborduren unserer Avignoner
Werkstatt überwiegen sogar gegenüber jenen, in denen die ursprüngliche toscanische Form bewahrt
wurde. Dasselbe gilt von den Miniaturen. Doch besonders auffallend ist die Uebereinstimmung in der
Farbengebung, die von der toscanischen ganz verschieden ist. Die Schrift und die kalligraphische Aus-
schmückung schliesst sich an französische Vorbilder an. Es liegt uns der Stil der Avignoner Schule in
jener Entwicklungsphase vor, welche er unter Clemens VI. und Innocenz VI. erreicht haben dürfte.
Die toscanische Grundlage des Stiles tritt noch stark zu Tage, stärker als in späteren Arbeiten; doch
unter französischem Einflüsse bilden sich bereits die Eigentümlichkeiten der Schule.

Die bedeutendste Arbeit der Schule steht also am Anfang der Reihe und stimmt in Stil und
Technik derart mit toscanischen und avignonesischen Arbeiten überein, dass sie das Werk eines Malers
sein muss, der seine Kunst in Avignon selbst lernte, der eine längere Zeit in einer Werkstatt in
Avignon beschäftigt war.

Die Miniaturen der zweiten Hand sind von einem unbedeutenderen Werkstattgenossen.

Den Meister des Viaticus haben wir als den Begründer der Schule anzusehen, er brachte eine
fremde Kunst nach Böhmen. Da fragt man jedoch, ob sich nicht anderweitige Arbeiten von seiner
Hand nachweisen Hessen. In einer parenthetischen Bemerkung hat Neuwirth einzelne Miniaturen des
Reisebreviers und das Mariale als das Werk einer Hand erklärt.1 Doch das ist ganz ausgeschlossen
und die Miniaturen stimmen nur in den Compositionen überein. Der Maler des Mariale war ein Schüler
des Meisters des Viaticus, doch von einer ganz anderen Individualität. Die Figuren im Reisebrevier
sind fein und zierlich, in dem Mariale sind sie kräftig und derb. Für die giottesken Architekturen des
Viaticus hatte der Maler des Mariale kein Verständnis und gab sie entweder verkürzt (in der Verkündi-
gung) oder im Sinne der nordischen Gothik umgewandelt. Man beobachte auch, wie verschieden die
Modellirung der Gesichter und der Faltenwurf ist (Taf. XIII und Taf. XVII, 1).

Dagegen stimmen auffallend mit den Miniaturen und Ornamenten des Reisebreviers die Minia-
turen und Randleisten des Brünner Missale überein (vgl. Taf. XII, XIII und Fig. 12 und 23 mit Fig. 20
und 21). In den Miniaturen mache ich auf die Uebereinstimmung in der genauen Durchmodellirung
der Gesichter, im Faltenwurfe, in den zierlichen Händen aufmerksam, die in allen übrigen Hand-
schriften ganz willkürlich und plump geformt erscheinen. Was die ornamentalen Formen anbelangt,
lassen sich nicht nur so ziemlich alle in dem Missale vorkommenden Motive in dem Viaticus nach-

1 Die Wandgemälde im Kreuzgange des Emausklosters in Prag, S. 77.
 
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