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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 22.1901

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Die Illumination des Johann von Neumarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5948#0100
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Max Dvofäk.

mentik geschlossen werden kann (Taf. XVIII). Besonders charakteristisch sind die halbmondartig zu-
sammengerollten Blättchen, die wir hie und da an den Rankenblättern oder in den Blüthenknospen
finden. Es wäre nicht unmöglich, dass das Orationale ein älteres Werk desselben Meisters sei.

Gegenüber dem Wiener Evangelium bedeuten das Missale und das Orationale einen
weiteren Fortschritt: aus dem Erlernten, Geerbten und Individuellen hat sich ein

m selbständiger, einheitlicher Stil ent-

wickelt.

Die Entstehungsperiode der neuen Schule
wird mit dem Missale des Johann von Neu-
markt abgeschlossen. Die technische und
künstlerische Schulung sämmtlicher Illuminatoren, welche die von uns besprochenen Werke
geschaffen haben, stammt — trotz der Verschiedenheiten im Einzelnen, welche auf verschiedene
künstlerische Begabung und auf verschiedene Entwicklungsstadien ihrer gemeinsamen Kunst
zurückgehen, — aus einer Quelle. Es wäre überflüssig, das erst mit vielen Worten beweisen zu
wollen. Ein Durchblättern der Abbildungen, die wir bieten können, ersetzt den Beweis. Die
Künstler verfügen über dieselbe technische Schulung, über dieselben Farben, über einen Fond
von gemeinsamen Compositionen, ornamentalen und figuralen Typen. Wir finden genau die-
selben Compositionen wiederholt, wie etwa die Himmelfahrt Christi im Viaticus und in dem

Prager Missale, dann modificirt, wie die Darstellung im Tempel
im Viaticus und im Mariale; ausserdem kehren einzelne Figuren
in verschiedenen Compositionen wieder. Die Künstler hatten,
wie überall, wo es eine Ueberlieferung und organisirte Arbeit
gab, Zeichnungen und Vorlagebücher. Doch wir können kaum
die Entstehung der Handschriften in eine und dieselbe local
stabile Werkstatt verlegen, etwa nach Brünn. Das ist schon
durch das Wenige, was wir über die Illuminatoren wissen, aus-
geschlossen. Das Verhältnis der einzelnen Künstler untereinander
war wahrscheinlich einzig und allein dasjenige der Lehrer und
Schüler. Das ist nicht unwichtig, weil uns dadurch die rasche Ver-
breitung des neuen Stiles in einem grossen Gebiete erklärt wird.

Recapituliren wir: Um die Mitte des Jahrhunderts werden
in Böhmen und Mähren überall noch eklektisch zufällige Vor-
lagen nachgemalt; das technische Können, welches diesen Nach-
ahmungen zu Grunde liegt, ist primitiv, das künstlerische Sehen
und Wollen mittelalterlich. Doch in dieser Zeit beginnt bereits die rasche, geradezu fieberhafte
Reception der fremden Cultur und etwa zehn Jahre später finden wir Büchermaler, welche über
eine Kunst verfügen, die in einem der wichtigsten Kunstcentren des Westens erlernt wurde. Von
einem successiven Eindringen und Herüberleiten von fremden Kunstrichtungen kann keine Rede
sein; denn die ersten Werke in dem neuen Stile sind so ausgesprochen in jeder Beziehung imitativ und
zugleich persönlich wie die Bestrebungen derjenigen Leute, welche damals in Böhmen und im Osten
überhaupt eine europäische Bildung besessen haben.

Doch beides konnte nicht lange auf einzelne Werke und Menschen beschränkt bleiben.
Es interessiren uns da zweierlei Fragen: Wie weit reicht der Einfluss unserer Schule? Entwickelt
sie sich weiter und wie?

. Bis zur Renaissance ist der technische Fortschritt in der Kunst mit dem rein künstlerischen fast
unzertrennlich verbunden und eine neue Losung, ein neues Können schliesst die Concurrenz einer
älteren Richtung völlig aus. So konnte auch die Technik und der Stil unseren Illuminatoren weder
wieder aufgegeben werden noch ohne Einfluss auf die gesammte Miniaturmalerei in Böhmen
bleiben.

F'ig. 23. Miniatur und Randleiste aus
dem Liber viaticus, f. 161.
 
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