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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 22.1901

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Die Illumination des Johann von Neumarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5948#0113
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Die Illuminatoren des Johann von Neumarkt.

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der kirchlichen Kunst empfunden; ein gleichzeitiger anonymer Kunstschriftsteller beklagt sie bitter,
ohne jedoch eine andere Auskunft zu kennen als die Aufstellung einer neuen typologischen Reihe.1
Doch erst im XIV. Jahrhundert vollzog sich die Wandlung. An die Stelle der Encyklopädien tritt
in der kirchlichen Kunst wiederum eine beschränkte Anzahl von Darstellungsstoffen. Es sind be-
stimmte Scenen aus dem Leben Christi, aus der Passion, aus dem Heiligenleben und dann vor Allem
Madonnenbilder. Die Entwicklung der Malerei und Plastik wird wieder an eine beschränkte Anzahl
von Darstellungen gebunden. Doch die Beschränkung besteht weniger, wie in der antiken Kunst, in
conventioneilen Typen als in der religiösen Inhaltsbestimmung, die ja z. B. bei einem Madonnenbilde
des Trecento im Wesentlichen dieselbe ist wie bei einem barocken Martyrium. Die kirchlichen Bilder
sind Andachtsbilder geworden. Die Passionsfolgen Dürers hatten denselben religiösen Zweck und Ur-
sprung wie der Uber de immitatione Christi.

In Italien fand man zuerst eine der Revolution im religiösen Denken und Empfinden völlig ent-
sprechende Kunst. Auf Grund dieser Erwägungen schien es mir leicht, die Frage zu beantworten,
warum — als die religiöse Bewegung auch im Norden tiefere Wurzeln gefasst hatte — bestimmte
italienische Compositionen in die nordische Kunst übernommen wurden. Einzelne Bilderreihen hatten
sich bereits früher aus Italien nach dem Norden verbreitet, so z. B. die schönen Illustrationen zu einem
Tractate über die Falkenjagd, Decretalen-Miniaturen u. A. Das wiederholt sich nun, doch in bahn-
brechenden Sachen. In contemplativen Schriften lassen sich wiederholt Beziehungen zu ähnlichen und
älteren italienischen Werken nachweisen und dasselbe gilt auch für Bilderreihen. Als ein besonders
merkwürdiges Beispiel können da die Illustrationen des Mst. fr. 9501 der Pariser Nationalbibliothek
angeführt werden. Die Handschrift ist eine französische Bible historiee mit italienischen oder italiani-
sirenden Miniaturen. Die grossen französischen Bilderbibeln des XIII. Jahrhunderts sind theologische
Compendien, in denen in typologischen und allegorischen Zusammenstellungen durch endlose Bilder-
cyklen das trockene System der scholastischen Schulweisheit und Moral erläutert wird. Es mangelt
ihnen jedes Interesse für den historischen Verlauf und den menschlich-reellen Inhalt der dargestellten
Begebenheiten. In dem genannten Codex gehört jedoch nur der erste Theil dieser Richtung an. Bis
zum fol. i3o ist der leitende Text dem alten Testament entnommen und mit je zwei oder sechs auf
den einzelnen Seiten typologisch oder allegorisch zusammengestellten Bildern illustrirt, welche mit
älteren französischen Cyklen übereinstimmen. In dem zweiten Theile wird das Leben Christi und der
Madonna in 76 schönen sienesisch beeinflussten Vollblattminiaturen in einfacher historischer Reihen-
folge geschildert. Die Handschrift stammt aus der Mitte des XIV. Jahrhunderts und bildet einen Beleg
für das Uebergangsstadium. In ähnlicher Weise vollzog sich wohl allgemein die Wandlung. Die ge-
lehrten und religiös inhaltlosen Compositionen verschwinden nach und nach aus der kirchlichen Kunst
oder werden in wenig gelesene Bücher verbannt. Die typologischen Reihen, die sich noch erhalten,
sind nur kurze Erläuterungen für die beliebtesten Darstellungen aus dem Leben Christi und der
Madonna. Den allgemein neuen Bahnen der religiösen Phantasie folgend, geht das moderne künst-
lerische Schaffen naturgemäss von jenen Compositionen aus, in welchen die neue religiöse Stimmung
zuerst zum künstlerischen Ausdruck gelangte. Es bedarf deshalb kaum einer weiteren Erklärung, wes-
halb in ähnlicher Weise wie etwa das Leben Christi des Ludolph von Saxen durch die Meditationes
sowohl die Miniaturen als auch die neuen monumentalen Bilderreihen wie z. B. in Emaus durch ita-
lienische Compositionen angeregt wurden oder weshalb ein so grosser Theil der ältesten Tafelbilder
der neuen Schulen in der ursprünglichen und vorbildlichen Darstellung auf sienesische und giotteske
Erfindungen zurückgeht.

Ganz müssig wäre die Frage, wie die moderneren Compositionen in die Skizzenbücher der Maler
gelangen konnten. Italienische Bilderhandschriften, die wie Mst. Ital. 115 der Pariser Nationalbibliothek
wahrscheinlich oft als Malerbücher benützt wurden, oder kleine Tafeln und Tragaltäre gelangten sicher
in alle Kunstcentren.

1 Der Bericht wurde von Delisle veröffentlicht in den Melanges.
XXII.

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