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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 22.1901

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Die Illumination des Johann von Neumarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5948#0117
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Die Illuminatoren des Johann von Neumarkt.

I I I

Das gilt jedoch ganz und gar nicht mehr für burgundische und nordfranzösische Gemälde aus
der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. Die Darstellung wird da nicht mehr nur als die bildliche Ver-
deutlichung eines textlich gegebenen Sujets sondern stets zugleich als die Reproduction einer in einem
abgegrenzten Räume sich abspielenden Scene aufgefasst. Die Maler beginnen das Bild durch-
wegs als eine geschlossene Composition zu betrachten, als eine Composition, die in
eine Landschaft oder in einen Innenraum versetzt werden muss und nicht nur wie
früher blos das Wesentliche bieten sondern auch mit allen inhaltlich nebensächlichen
Accessorien als eine Einheit, als ein wirklicher Ausschnitt aus der Natur, soweit es dem
Maler möglich war, dargestellt werden soll. Damit hängt zusammen, dass alle Theile des
Bildes einen dreidimensionalen Raumwerth erhalten und einheitlich durchmodellirt werden.

Es gibt wohl eine Reihe von Uebergangsstadien zwischen dem alten und dem neuen Stile; diese
reichen jedoch nicht aus, die Wandlung zu erklären. Dagegen spricht eine Reihe von Merkmalen da-
für, dass sich die französischen Maler eine fremde Errungenschaft angeeignet haben. Die Formen der
Raumdarstellung sind vollkommen jener Kunst entlehnt, in welcher die malerisch-naturalistische und
raumdarstellende Malerei seit der Antike zum erstenmal wieder entdeckt wurde. Die Reproduction
einer Miniatur aus dem Psalterium Mst. fr. i3ogi der Pariser Nationalbibliothek (Fig. 3o), die als
typisch für unseren Kreis gelten kann, enthebt mich einer Beschreibung. Es ist natürlich kein Zufall,
dass hier und in allen anderen Werken gleicher Provenienz das Problem, eine Gestalt oder eine Scene
in einem geschlossenen Räume darzustellen, nicht nur in genau derselben Weise zu lösen versucht
wird wie in der toscanischen Kunst sondern dass auch dieselben architektonischen Formen dabei ver-
wendet werden.

Wolfgang Kailab hat in seiner Arbeit über die Geschichte der toscanischen Landschaftsmalerei1
den Beweis geführt, dass sich ein bestimmtes Conventionelles Schema einer Felsenlandschaft in der
Malerei seit der Antike erhalten hat und noch in die italienische Malerei des Trecento übergegangen
ist. Wir finden auch im Norden in der romanischen Malerei vereinzelt diese Schablone, doch in Werken
des gothischen Stiles verschwindet sie ganz. Erst in unseren W'erken aus der zweiten Hälfte des XIV. Jahr-
hunderts findet man sie wieder, das hundertjährige Requisitenstück der Ateliers wurde nun im Norden
von den Italienern entlehnt. So geht unzweifelhaft der wichtigste Fortschritt, der in der französischen
Malerei im XIV. Jahrhundert gemacht wurde, auf eine directe oder indirecte Beeinflussung durch die
gleichzeitige toscanische Malerei zurück.

Dieser Einfluss äussert sich auch in anderen Sachen, die für den Stilwechsel, der sich vollzogen
hat, charakteristisch sind. Das Auffallendste ist eine Aenderung des Farbengeschmackes. Unsere auf
farblose Reproductionen sich stützende Kunstwissenschaft übersieht fast ganz und gar die grossen
Wandlungen des Farbensinnes, die ebensowenig zufällig verlaufen wie die Wandlungen der Formen-
sprache oder der Tonverbindungen. Seit dem XIII. bis zur Mitte des XIV. Jahrhunderts ändert sich
das Colorit in Frankreich und in Gebieten, die unter dem Einflüsse der französischen Cultur stehen,
nur in den Grenzen einer ganz bestimmten Farbenzusammenstellung, in der die dunklen Töne vor-
herrschen und das Dunkelblau und Dunkelroth — diejenigen Farben, welche für die schönsten und
feierlichsten gehalten wurden, — die grösste Rolle spielen.2 Wer einmal in Chartres gewesen ist, wird
die bezaubernde, unvergleichliche Farbenharmonie der saphirblauen und rubinrothen Glasfenster aus
dem XIII. Jahrhundert nie vergessen. Mit der Zeit sind die herrlichen Farben und Farbenzusammen-
stellungen, bei denen man so gerne wissen möchte, ob hier das Material oder das ästhetische Ingenium
eines kunstbegabten Volkes neue Werthe geschaffen hat, Gesetz und Convention geworden und erst in
unseren Miniaturen und Gemälden aus der zweiten Hälfte des XIV. Jahrhunderts begegnet uns plötz-
lich eine neue Farbensprache. Die vornehmen dunklen und satten Töne werden kühn durch helle und
grelle Farben ersetzt, unter welchen ein schreiendes Roth, Lichtgrün und Weiss vorwiegt. Es ist hier

1 Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses, Bd. XXI.

2 Ueber <&e Gesetze der Farbenzusammensetzung in der gothischen Malerei ist der schöne Aufsatz von Viollet le Duc
im Dictionnaire de l'architecture VII, p. 56 ff. zu vergleichen.
 
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